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Listen und Algorithmen: Der wichtigste Mensch der Welt

Listen sind toll - und ein wenig albern. Kann man Persönlichkeiten überhaupt sinnvoll nach ihrem globalen Einfluss auf die Menschheit sortieren? Forscher aus Frankreich sagen: "Oui!"
Römische Kopie von Platons Kopf

Plato? Jesus? Steve Jobs? Alle drei schaffen es in die neue Top-100 der wichtigsten Menschen aller Zeiten – allerdings nicht ganz an die Spitze. Was ist das für eine skurrile Rangliste der "bedeutendsten Personen der Menscheitsgeschichte", die Forscher um Young-Ho Eom von der Université Toulouse III da vorgestellt haben?

Zunächst einmal ein Marketinggag. Eigentlich haben die Forscher ja vor allem die Nützlichkeit von Algorithmen zur Analyse großer Datensätze verglichen. Aber warum das nicht gleich an einem gut vermarktbaren Thema von allgemeinem Interesse durchexerzieren? So bastelten die Forscher Listen der einflussreichsten Menschen einzelner Staaten und einzelner Epochen sowie eine kumulierte Liste der allerbedeutendsten Menschen aller Herren Länder seit Beginn der Zeit.

Der wichtigste Mann der Welt

Ihre Methode ist dabei zunächst recht simpel: Sie starteten mit einer Million ausgewählter Biografien aus der englischsprachigen Wikipedia und ordneten diese mit dem berühmt-berüchtigten Trefferqualität-Algorithmus von Google (dem "PageRank") sowie weiteren konkurrierenden Algorithmen wie etwa dem "2DRank". Wie diese Algorithmen genau arbeiten, ist hohe Mathematik und rein sprachlich nur mühsam wiederzugeben: Im Wesentlichen geht es auf komplexe Weise um Vernetzung, also darum, wer mit welcher Qualität von wo auf einen Eintrag verweist und wohin der Eintrag selbst dann wieder weiterleitet.

PageRank und 2DRank spuckten nun ein Bedeutungsranking historischer und zeitgenössischer Personen aus; besser gesagt: zwei Rankings, die zudem auch noch recht unterschiedlich ausfielen. Königin Elisabeth II. scheint vage bedeutend, sie taucht als einziger Name in beiden Listen unter den ersten Top-5 auf. Königin Elisabeth II., ein Kompromisskandidat für den Posten der wichtigsten Person der Menschheitsgeschichte?

Feintuning tut Not, erkannten die (französischen) Forscher, und begannen eine Internationalisierung ihrer Methode. Sie bestimmten nun die globale Bedeutung von allen vielleicht nur lokalen menschlichen Größen per Vergleich: Wer aus der englischsprachigen Wikipedia taucht auch in den Wiki-Pendants der Franzosen, Deutschen, Chinesen, Russen und aller anderen auf? Und wie wichtig sind diese Personen dort?

Bedeutung ist nicht nur amerikanisch

Am Ende standen zunächst einmal weitere, teilweise drollige Unterlisten, etwa die der bedeutendsten Namen in Deutschland (nach PageRank finden sich Napoleon, Hitler, Aristoteles oder Goethe) oder den USA (Michael Jackson, Madonna – die Sängerin, nicht die Mutter –, Barack Obama, Bob Dylan und Elvis Presley).

Man kann das nun fast nach Belieben und Spieltrieb ausweiten: Die Forscher ordneten berühmte Namen jeweils nach Geburtsort einer nationalen Wikipedia-Zugehörigkeit zu und sortierten die Persönlichkeiten auch nach Epochen. So kommt man dann etwa zu einer deutschen Top-100 der Deutschen oder einer Liste der berühmtesten Persönlichkeiten des Mittelalters. In all den Listen lauern drollige Zuordnungen (als Nazarener ist Jesus dann natürlich wikipedianisch Palästinenser, der Kaliningrader Immanuel Kant selbstredend Russe). Tatsächlich bildet sich aber durchaus auch etabliertes historisches Fachwissen in den Listen. So kann gut der Bedeutungs- und Einflusswandel einzelner Weltregionen über die Zeitläufte hinweg abgelesen werden: Vor dem 19. Jahrhundert dominieren in den Listen Kontinentaleuropäer (was auch in der englischsprachigen Wikipedia abzulesen ist), vor dem 17. Jahrhundert eher griechische und orientalische Philosophen und Gelehrte .

Und insgesamt? Wirft man alle Listen zusammen, so ergeben sich wieder zwei endgültige Rankings – die Algorithmen bleiben sich bis zum Schluss uneins. Je nach Vorliebe ist demnach der wichtigste Mensch aller Zeiten und Erdkreise entweder Adolf Hitler oder – Überraschung! – der Botaniker Carl von Linné. Frauen (außer Elisabeth II.) sind unterepräsentiert und verdienen eine eigene Liste, fanden die Forscher.

Wer die Listen wegen der wissenschaftlichen Methodik albern findet (und nicht, weil sie natürlich ein wenig albern sind), der sollte gewarnt sein: Die Forscher haben ihre Ergebnisse mit zwei anderen schon etablierten Listen der 100 bedeutendsten Menschen verglichen, der Hart-Liste, die auf den umstrittenen Astrophysiker und Wissenschaftshistoriker Michael Hart zurückgeht; sowie mit einem im Pantheon-Projekt des MIT zusammengestellten Ranking. Und die Überlappung der Wiki-Liste mit der MIT-Liste sind dabei größer als die der MIT-Liste mit dem Hart-Ranking. Wenn eines der Rankings falscher als das andere ist, dann wohl eher nicht ihre Version, hoffen Young-Ho Eum und seine Kollegen.

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