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Coronavirus-Massentests: Löst Test-Pooling den Streit um die Kosten?

Über den geplanten Coronavirus-Massentests schwebt die alte Frage nach dem Geld: Wer bezahlt - und wie viel? Das Pooling von Tests könnte da Abhilfe schaffen. Jedoch hat der Ansatz seine Grenzen.
Ein Mediziner in Schutzkleidung nimmt einen Nasenabstrich von einem Autofahrer.

Eine neue Teststrategie könnte den Streit zwischen Regierung und Krankenkassen um die Kostenübernahme von Coronavirus-Tests beilegen und den Weg für Coronavirus-Massentests frei machen. Bei der als »Pooling« bezeichneten Technik werden Abstriche mehrerer Personen gewissermaßen in einen Topf (Pool) geworfen und gemeinsam getestet statt einzeln. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) hatte diesen Ansatz gefordert, um solche Massentests finanziell tragbar zu machen.

Getestet wird dann nur noch eine Probe pro Pool. Ist das Ergebnis für einen Pool negativ, sind keine weiteren Tests notwendig. Ist er positiv, können die Einzelproben aus dem betroffenen Pool nachgetestet werden, um Infizierte zu identifizieren. Das senkt die Zahl der nötigen Tests drastisch – und damit die Kosten, wenn Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern, Lebensmittelfirmen oder öffentlichen Einrichtungen auf systematisch auf eine Coronainfektion getestet werden sollen. Nach Angaben des Spitzenverbandes würden eine Million zusätzliche Tests pro Woche rund 1,7 Milliarden Euro bis Jahresende 2020 kosten.

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Zuletzt zahlten die Krankenkassen Coronavirus-Tests nur dann, wenn die Getesteten entweder typische Symptome hatten oder vorherigen Kontakt zu einem Infizierten. Das soll sich nun laut einem Entwurf einer neuen »Test-Verordnung« des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) vom 27. Mai ändern. Demnach sollen in Zukunft – und rückwirkend ab 14. Mai – auch dann Tests auf Sars-CoV-2 von den Krankenkassen übernommen werden, wenn diese Kriterien aber nicht erfüllt sind. Voraussetzung ist nur, dass ein Gesundheitsamt die Tests anordnet. Laut dem BMG sollen die Tests dann aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds finanziert werden, einer Rücklage der Krankenkassen.

Reihentests für einen Bruchteil der Kosten

Mit dem Ansatz könnte auch die Aktivität des Coronavirus in einer ganzen Region mit wesentlich weniger PCR-Tests als bisher geschätzt werden. Wie das funktioniert, erläutert das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) in einem Methodenpapier vom 28. Mai. Dabei wird eine bestenfalls repräsentative Stichprobe aus der Bevölkerung – zum Beispiel eines Landkreises – in Pools eingeteilt.

Statt die Prävalenz (Anteil der aktiven Infektionen in der Population) aus allen Proben zu bestimmen, könne der Wert dann auch aus dem Anteil positiver Pools geschätzt werden. Berechnen kann man so einen Schätzwert mit verschiedenen statistischen Methoden; das ECDC schlägt etwa Maximum-Likelihood und zwei bayessche Verfahren vor. In einer Simulation des ECDC mit 2000 individuellen Proben und einer Poolgröße von neun lagen die geschätzte Prävalenz ihr Konfidenzintervall nahezu perfekt auf jenen Werten, die eine Testung aller Einzelproben ergeben hätte. Und dass bei nur 222 statt 2000 PCR-Tests: eine Einsparung von 89 Prozent.

Doch der Pooling-Ansatz hat auch ein paar statistische Fallstricke. So hängt die Genauigkeit bei der Prävalenzschätzung von der tatsächlichen Aktivität des Coronavirus in der getesteten Gruppe ab. Denn je höher der Anteil der positiven Einzelproben, desto stärker schwankt der Anteil der positiven Proben in den Pools und damit die Genauigkeit der Schätzung. Um die Genauigkeit wiederherzustellen, muss die Größe der Pools verkleinert werden — und die Anzahl der Tests erhöht. Die Einsparungen beim Pooltesten sinken also umso mehr, je aktiver das Virus in der getesteten Population ist.

Auch Pooling hat Fallstricke

So sehen auch nicht alle Kommentatoren das Pooling als wünschenswerte Lösung. Zum Beispiel der Laborverband ALM e. V., der die Interessen von über 200 akkreditierten Laboren in Deutschland vertritt. In einem Bericht in der »Ärztezeitung« wird Professor Jan Kramer, Vorstandsmitglied beim ALM, mit dem Hinweis zitiert, beim Pooling werde das Probenmaterial zwangsläufig verdünnt. Das stelle ein hohes Risiko, dass asymptomatische Patienten bei dem Pooling-Verfahren übersehen werden, dar. Dass der Laborverbund sich so deutlich gegen das Pooling stellt, könnte aber auch von den finanziellen Interessen seiner Mitglieder beeinflusst sein, die den Test kommerziell anbieten.

»Der Verdünnungsgrad ist weniger das Problem«, sagt Professor Jörg Hofmann, Diagnostischer Leiter am Institut für Virologe der Charité Universitätsmedizin Berlin. »Wenn jemand akut infiziert ist, hat der so viel Virusmaterial im Abstrich, das man das im Dreier- oder im Zehnerpool nicht übersehen würde.« Das Problem sei vielmehr auch hier, die richtige Poolgröße zu wählen; in diesem Fall, um nicht zu viele Nachtestungen machen zu müssen. Und auch das hängt von wahrscheinlichen Prävalenz in der Testgruppe ab.

Bei Mitarbeitern von Unternehmen zum Beispiel, bei denen es nur darum geht, Infektionen regelmäßig auszuschließen, könne das Pooling sich da lohnen, sagt Hofmann. Bei Patienten mit typischen Covid-19-Symptomen und Kontakt zu einem Infizierten dagegen wäre der Ansatz weniger sinnvoll, da die Wahrscheinlichkeit positiver Pools und damit nötiger Nachtestungen deutlich erhöht ist.

Zumindest also bei einem geringem Anteil Infizierter in der Testpopulation – im Bespiel des ECDC sind es 0,5 Prozent – ließe sich mit gepoolten PCR-Tests das Infektionsgeschehen wohl günstiger überwachen. Bei Berufsgruppen mit viel Kontakt zu Risikopatienten würde das ein engmaschige Überwachung erlauben. Und auf der Ebene ganzer Landkreise könnte der Ansatz den Gesundheitsämtern eine neue Möglichkeit zur Intervention bieten: Asymptomatischen Fälle wurden bisher ja höchstens als Beifang bei der Testung von Verdachtsfällen gefunden.

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