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Bewusstseinstrübung: Das Rätsel um den »Brain Fog«

Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme nach Covid-19 werden oft kleingeredet. Doch immer mehr zeigt sich, dass dieser »Brain Fog« eine klar definierte Störung des Bewusstseins ist.
Eine Frau hält sich die Hände vors Gesicht, umgebende Menschen sind verschwommen.
Als Brain Fog bezeichnet man eine Störung der Exekutivfunktionen – jener Fähigkeiten des Bewusstseins, durch die wir mit der Umwelt interagieren können.

Am 25. März 2020 schrieb Hannah Davis mit zwei Freunden Textnachrichten, als sie plötzlich merkte, dass sie eine Antwort nicht verstand. Heute weiß sie, dass dies das erste Anzeichen dafür war, dass sie Covid hatte. Es war auch ihre erste Erfahrung mit einem Phänomen, das »Brain Fog« oder Bewusstseinstrübung genannt wird, und der Moment, in dem ihr Leben sich zu dem veränderte, das es heute ist. Sie arbeitete zuvor auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz und analysierte ohne zu zögern komplexe Systeme. Heute läuft sie gegen eine »geistige Wand«, wenn sie einfache Aufgaben wie das Ausfüllen eines Formulars erledigen möchte.

Ihr früher lebhaftes Erinnerungsvermögen ist heute unzuverlässig. Einstige Routineaufgaben wie einkaufen gehen, kochen oder sauber machen werden zu schwierigen Unterfangen. Ihr inneres Erleben – in ihren Worten »geistige Nebentätigkeiten, etwa tagträumen, planen, Vorstellungen entwickeln« – ist verschwunden. Der geistige Nebel »ist so umfassend«, berichtete sie mir, »dass es jeden Bereich meines alltäglichen Lebens betrifft«. In einem Zeitraum von 900 Tagen, in dem andere Covid-Symptome kamen und gingen, lichtete der Nebel sich niemals ganz.

Von allen Long-Covid-Symptomen ist Bewusstseinstrübung »bei Weitem das einschränkendste und zerstörerischste«, erklärte mir Emma Ladds, eine Spezialistin für Erstversorgung der University of Oxford. Zudem ist sie eines der am wenigsten verstandenen Symptome. In der Liste der möglichen Covid-Symptome tauchte es zu Beginn der Pandemie nicht einmal auf. Allerdings berichteten 20 bis 30 Prozent der Patienten von Bewusstseinstrübungen innerhalb der ersten drei Monate nach der Infektion und 65 bis 85 Prozent derjenigen, die sehr viel länger mit der Krankheit kämpfen. Es kann Leute betreffen, die nie so krank waren, dass sie ein Beatmungsgerät gebraucht hätten – oder überhaupt nur ins Krankenhaus mussten. Und es kann sogar bei jungen Menschen auf der Höhe ihrer geistigen Kräfte auftreten.

Mehr als nur Müdigkeit

Long-Covid-Patienten mit Bewusstseinstrübung sagen, dass das Symptom keinem der Phänomene gleicht, mit denen sie – auch von vielen medizinisch ausgebildeten Menschen – leichtfertig verglichen wird. Es sei tiefgreifender als das träge Denken, das mit einem Kater, Stress oder Müdigkeit einhergeht. Für Davis fühlte es sich anders und schlimmer als die Erfahrungen an, die sie mit ADHS gemacht hatte. Es ist nicht psychosomatisch und bringt tatsächliche Veränderungen der Struktur und der Chemie des Gehirns mit sich. Ebenso wenig handelt es sich um eine affektive Störung: »Wenn jemand behauptet, dass dieses Symptom von Depressionen oder Angststörungen herrührt, hat er dafür keine Beweise. Die Daten weisen eher darauf hin, dass es umgekehrt abläuft«, erklärte mir Joanna Hellmuth, Neurologin an der University of California in San Francisco.

Trotz seines schwammigen Namens ist Brain Fog auch kein Überbegriff für jedes denkbare mentale Problem. Der Kern, sagte Hellmuth, sei fast immer eine Störung der exekutiven Funktionen – jene Art geistiger Fähigkeiten, zu der Konzentration, das Behalten von Informationen und das Ausblenden von Ablenkungen gehören. Diese Fähigkeiten sind so grundlegend, dass ein großer Teil des mentalen Gebäudes einer Person zerfällt, wenn sie verloren gehen. Alles, was mit Konzentration, Multitasking und Planung zusammenhängt – also fast alle bedeutsamen Tätigkeiten –, wird auf absurde Weise extrem aufwändig. »Es hebt Prozesse, die bei gesunden Menschen unterbewusst ablaufen, auf die Ebene der bewussten Entscheidungen«, klärte mich Fiona Robertson auf, eine Autorin, die in Aberdeen, Schottland, lebt.

So verliert Robertson mitten in einem Satz plötzlich den roten Faden, was sie scherzhaft das »Ähm, na ja-Syndrom« nennt: »Ich vergesse, worüber ich spreche, schweife ab, und sage dann häufig ›Ähm, na ja‹«, erzählt sie. Die Bewusstseinstrübungen halten Kristen Tjaden davon ab, mit dem Auto zu fahren, weil es vorkam, dass sie unterwegs die geplante Route vergaß. Über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr konnte sie nicht lesen, weil das Verstehen des Inhalts einer längeren Reihe von Wörtern zu schwierig geworden war. Angela Meriquez Vásquez berichtete mir, dass es einmal mehr als zwei Stunden gedauert hatte, ein Meeting per E-Mail anzusetzen: Sie prüfte ihren Kalender, doch die Information über freie Termine entglitt ihr in der Sekunde, die es dauerte, ihr Mailprogramm zu öffnen. Als es am schlimmsten war, konnte sie nicht einmal mehr den Geschirrspüler leeren, da das Erkennen der Objekte darin, das Erinnern, wo diese eingeräumt werden, und sie dann dorthin zu stellen, zu kompliziert geworden war.

Probleme mit der Erinnerung

Auch die Erinnerung leidet, doch auf eine andere Weise als bei degenerativen Erkrankungen wie der Alzheimerkrankheit. Die Erinnerungen sind zwar vorhanden, da aber die Exekutivfunktionen gestört sind, wählt das Gehirn weder die wichtigen Informationen aus, die gespeichert werden sollen, noch kann es die Informationen korrekt wieder abrufen. Davis, die Teil des Patient-Led Research Collaborative, also des patientengeführten Forschungsverbands ist, kann sich an Fakten aus wissenschaftlichen Artikeln merken, allerdings keine Ereignisse. Wenn sie an die Menschen denkt, die ihr nahestehen, oder an ihr altes Leben, kommt ihr das weit entfernt vor. »Begebenheiten, die mich früher betrafen, fühlen sich so an, als wären sie kein Teil mehr von mir«, sagt sie. »Es fühlt sich so an, als wäre ich ein leerer Raum, der wiederum in der Leere lebt.«

Die meisten Personen mit Bewusstseinstrübungen sind nicht so schwer betroffen, und ihre Situation bessert sich mit der Zeit. Doch selbst wenn diese Menschen so weit genesen, dass sie wieder arbeiten können, kann es sein, dass sie darunter leiden, nicht mehr die mentale Leistung erbringen zu können, die sie von sich gewohnt waren. »Wir waren es gewohnt, einen Sportwagen zu fahren, und müssen jetzt mit einer Schrottkiste vorliebnehmen«. sagt Vásquez. In manchen Berufen genügt eine Schrottkiste einfach nicht. »Mir kamen Chirurgen unter, die keine Operationen mehr durchführen konnten, weil sie dafür ihre Exekutivfunktionen benötigen«, erklärte mir Monica Verduzco-Gutierrez, eine Reha-Spezialistin vom UT Health in San Antonio.

»Vielen von uns sagte man: Ach, das ist nur eine kleine depressive Episode«Fiona Robertson

Robertson studierte indessen theoretische Physik an einer Universität, als sie erkrankte. Der Gehirnnebel hängte einen Schleier vor einen Karriereweg, der zuvor hell erleuchtet gewesen war. »Ich strahlte förmlich, ich hatte das Gefühl, alles miteinander in Verbindung setzen zu können und zu verstehen, wie das Universum funktioniert«, erzählte sie mir. »So habe ich mich seitdem nie wieder gefühlt, und ich vermisse es jeden Tag. Es schmerzt förmlich.« Dieser Identitätsverlust war ebenso niederschmetternd wie die körperlichen Aspekte der Krankheit, mit welchen »ich immer dachte, dass ich klarkäme … Wenn ich nur richtig denken könnte«, klagte Robertson. »Das hat mich am meisten aus der Bahn geworfen.«

Brain Fog gibt es auch jenseits von Covid-19

Robertson sagte im März 2020 voraus, dass die Pandemie eine regelrechte Welle von kognitiven Einschränkungen auslösen würde. Ihre Bewusstseinstrübung begann zwei Dekaden zuvor, wahrscheinlich infolge einer viralen Erkrankung, doch sie entwickelte dieselben Störungen der exekutiven Funktionen, mit denen auch Patienten mit Long Covid zu kämpfen haben. Als sie 2021 Covid bekam, verschlimmerte sich die Situation. Diese spezifische Symptomkonstellation betrifft auch viele Menschen, die mit HIV leben, nach einem Schlaganfall Epileptiker wurden, Krebspatienten, die ein so genanntes Chemobrain entwickeln, und Personen mit verschiedenen komplexen chronischen Erkrankungen wie Fibromyalgie.

Es ist eines der Diagnosekriterien für myalgische Enzephalomyelitis, die auch unter dem Namen Chronisches Erschöpfungssyndrom oder ME/CFS bekannt ist – ein Syndrom, mit dem viele Long-Covid-Patienten jetzt leben müssen. Bewusstseinstrübungen existieren schon sehr viel länger als Covid und betreffen viele Menschen, deren Zustand stigmatisiert, verworfen oder vernachlässigt wurde. »All die Jahre behandelte man uns, als wäre es den Aufwand nicht wert, erforscht zu werden«, erinnerte sich Robertson. »Vielen von uns sagte man: Ach, das ist nur eine kleine depressive Episode.«

Mehrere Krankenhausärzte, mit denen ich sprechen konnte, waren der Meinung, dass die Bezeichnung Brain Fog dieses Symptom verharmlost und so klingt, als handle es sich um eine kleinere Unannehmlichkeit. Es bringt die Patienten um die Legitimität, die ein medizinisch klingender Begriff wie »kognitive Einschränkung« dem Krankheitsbild verleihen würde. Aparna Nair, eine Historikerin der University of Oklahoma, die sich mit der Geschichte von körperlichen Einschränkungen befasst, merkt an, dass die Gemeinschaft der Menschen mit Behinderung den Begriff bereits seit Jahrzehnten verwendet und dass hinter der Zurückweisung der Bewusstseinstrübung als ernstes Symptom viele weitere Gründe stecken. (Die komplizierten Begriffe Fibromyalgie und myalgische Enzephalomyelitis haben die jeweiligen Krankheitsbilder nicht davor bewahrt, kaum ernst genommen zu werden).

Verstecktes Leiden

Hellmuth beispielsweise merkt an, dass in ihrem wissenschaftlichen Feld der kognitiven Neurologie sich »nahezu die gesamte Infrastruktur und Lehre« auf neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer fokussieren, bei denen fehlgeleitete Proteine das Gehirn älterer Menschen nach und nach einschränken. Da wenige Forscher wissen, dass Viren bei jüngeren Menschen kognitive Störungen auslösen können, untersucht kaum jemand dieses Phänomen. »Hieraus folgt, dass im Medizinstudium kaum jemand etwas darüber lernt«, sagt Hellmuth. Und weil »in der Medizin wenig Demut herrscht, machen die Leute letztlich ihre Patienten dafür verantwortlich, anstatt selbst nach Antworten zu suchen«, fügt sie hinzu.

Ein Interview mit Ed Yong über seine Erfahrungen und die Reaktionen von Betroffenen auf den Artikel ist ebenfalls auf »Spektrum.de« erschienen. »Es gibt so viele Menschen da draußen, die unter erheblichen Einschränkungen leiden und denen nicht die geringste Spur von Verständnis entgegengebracht wird«, sagt der Autor dort, der für seine Berichterstattung über Covid-19 den Pulitzer-Preis erhielt.

Menschen mit Bewusstseinstrübung sind außerdem Meister darin, diese zu verbergen: Keiner der Betroffenen von Long Covid, die ich interviewt habe, klang so, als wäre er kognitiv eingeschränkt. Doch bisweilen, wenn ihre Sprache besonders verwaschen klingt, »dürfen mich nur meine Mutter und mein Mann sehen«, gibt Robertson zu. Die Stigmatisierung, die Patienten mit Long Covid erfahren, bringt sie dazu, sich in sozialen Situationen oder bei Arztterminen gesund zu präsentieren, was den Glauben bestätigt, sie seien weniger eingeschränkt, als sie tatsächlich sind. Und das kann anstrengend sein. »In Testsituationen machen sie, was von ihnen verlangt wird, und die Ergebnisse sagen dann, dass sie gesund sind«, sagte mir David Putrino, der eine Rehabilitationsklinik für Long Covid in Mount Sinai leitet. »Erst wenn du zwei Tage später wieder nach ihnen siehst, merkst du, dass du sie für eine Woche außer Gefecht gesetzt hast.«

»Es fehlen uns außerdem die richtigen Werkzeuge, um Bewusstseinstrübung zu messen«, klagte Putrino. Ärzte verwenden häufig das Montreal Cognitive Assessment, das dafür geschaffen wurde, bei älteren Personen mit Demenz extreme geistige Probleme aufzudecken, und für »niemanden unter 55 Jahren freigegeben ist«, erklärte mir Hellmuth. Selbst eine Person mit massiver Bewusstseinstrübung besteht diese Tests mit Bravour. Es gibt auch komplexere Tests, doch diese vergleichen Patienten mit dem gesellschaftlichen Durchschnitt und nicht mit ihrem früheren Leistungsniveau. »Eine hochfunktionelle Person, deren Fähigkeiten abnehmen und die so in den Durchschnittsbereich fällt, bekommt zu hören, dass sie kein Problem hat«, sagt Hellmuth.

Das Gehirn schrumpft

Diese Muster fallen bei vielen Long-Covid-Symptomen auf: Ärzte setzen auf unpassende oder zu einfache Tests, deren negative Ergebnisse dann verwendet werden, um die tatsächlichen Symptome des Patienten kleinzureden. Dabei ist es nicht gerade von Vorteil, dass Bewusstseinstrübung – und Long Covid ganz allgemein – Frauen überproportional häufig betrifft, welche historisch von medizinischen Institutionen seit Langem als überemotional und hysterisch abgestempelt werden. Doch jeder Patient mit Brain Fog »berichtet mir von genau den gleichen Symptomen hinsichtlich seiner Exekutivfunktionen«, sagt Hellmuth. »Wenn die Menschen das erfinden würden, wäre die Geschichte der klinischen Symptome nicht immer dieselbe.«

Im März 2022 überführte ein Team britischer Wissenschaftler die Unsichtbarkeit des Gehirnnebels in das kontrastreiche Schwarz-Weiß der MRT-Scans. Gwenaëlle Douaud von der University of Oxford und ihre Kollegen analysierten Daten aus der UK Biobank Study, in der regelmäßig die Gehirne hunderter Freiwilliger jahrelang gescannt wurden, und zwar vor der Pandemie. Als nun einige dieser Freiwilligen an Covid erkrankten, konnte das Team die Scans nach der Erkrankung mit jenen davor vergleichen.

Ihnen fiel auf, dass selbst Infektionen mit leichten Verläufen das Gehirn und das Volumen der neuronenreichen grauen Substanz verkleinern konnten. In den schlimmsten Fällen war die Veränderung vergleichbar mit einem Altern um zehn Jahre. Besonders stark waren die Auswirkungen im Gyrus parahippocampalis, der für das Speichern und Abrufen von Erinnerungen von Bedeutung ist, und dem orbitofrontalen Kortex, der eine wichtige Rolle bei den exekutiven Funktionen spielt. Diese Veränderungen traten auch bei Personen auf, die nicht ins Krankenhaus mussten, und gingen mit kognitiven Problemen einher.

Entzündungen am Nervengewebe

Sars-CoV-2, jenes Coronavirus, welches Covid auslöst, kann zwar das zentrale Nervensystem infiltrieren und infizieren, dies gelingt ihm allerdings selten, und wenn doch, ist es hierbei weder effizient noch kann es sich lange festsetzen, klärte mich Michelle Monje auf, die in Stanford als Neurologin arbeitet. Sie glaubt eher, dass das Virus das Gehirn in den meisten Fällen indirekt schädigt, ohne es direkt zu infizieren. Sie und ihre Kollegen konnten kürzlich zeigen, dass, wenn Mäuse milde Infektionen mit Covid erleiden, entzündungsfördernde Stoffe von der Lunge ins Gehirn gelangen können, wo sie Zellen befallen, die so genannten Mikroglia. Normalerweise agieren Mikroglia als »Hausmeister«, sie unterstützen die Neurone, indem sie unnötige Verbindungen kappen und unerwünschte Abfallprodukte entsorgen.

Wenn sie sich entzünden, werden sie jedoch übermäßig aktiv und zerstörerisch. Sind sie in der Nähe, erzeugt der Hippocampus – eine Region, die für das Erinnern unerlässlich ist – weniger neue Nervenzellen, und viele der bestehenden Zellen verlieren ihre schützende Ummantelung. Dies führt dazu, dass elektrische Signale langsamer durch sie hindurchfließen. Es handelt sich um dieselben Veränderungen, die Monje bei Patienten mit »Chemo Fog«, Bewusstseinstrübung bedingt durch eine Chemotherapie, sieht. Und auch wenn sie und ihr Team ihre Covid-Experimente mit Mäusen durchgeführt haben, fanden sie große Mengen derselben inflammatorischen Stoffe bei Personen mit Long Covid, die unter Brain Fog leiden.

Monje denkt, dass eine Entzündung auf neuronaler Ebene »vermutlich die am weitesten verbreitete Art« ist, wie Covid zu Bewusstseinstrübung führt, es aber sehr wahrscheinlich viele solcher Störungsbilder gibt. Covid könnte Autoimmunreaktionen auslösen, bei denen das Immunsystem fälschlicherweise das Nervensystem angreift, oder es könnte latente Viren wie das Epstein-Barr-Virus reaktivieren, das mit verschiedenen Krankheitsbildern wie ME/CFS und multipler Sklerose in Zusammenhang gebracht wird.

Weil Blutgefäße beschädigt und mit kleinen Gerinnseln gefüllt werden, verlangsamt Covid außerdem die Blutzufuhr des Gehirns und dreht dem energetisch anspruchsvollsten Organ so den Sauerstoff und die Nährstoffe ab. Dieser Sauerstoffmangel ist nicht groß genug, um zum Tod von Nervenzellen zu führen oder Personen in die Notaufnahme zu bringen, doch »das Gehirn bekommt nicht das, was es braucht, um auf allen Zylindern zu laufen«, erklärte mir Putrino. (Der schwere Sauerstoffmangel, der manche Betroffenen in die Notaufnahme zwingt, führt zu anderen kognitiven Problemen als jenen, unter denen Long-Covid-Patienten leiden.)

Es gibt Hoffnung auf Heilung

Keine dieser Erklärungen ist in Stein gemeißelt, aber gemeinsam bringen sie etwas Licht in das Dunkel um das Symptom des Gehirnnebels. Sauerstoffmangel würde komplexe und energieaufwändige kognitive Fähigkeiten zuerst treffen, was erklärt, warum Exekutivfunktionen und Sprache »als Erstes wegfallen«, sagte Putrino. Ohne ihre isolierenden Schichten arbeiten die Neurone wesentlich langsamer, was wiederum erklärt, weswegen es sich für viele Betroffene so anfühlt, als sei ihre »Rechengeschwindigkeit« eingebrochen: »Dir geht dasjenige verloren, das die schnelle neuronale Verbindung zwischen den Teilen des Gehirns ermöglicht«, erläutert Monje.

Faktoren wie Schlaf und Ruhephasen können die Symptome verstärken oder auch abschwächen. Deshalb haben viele Personen mit Bewusstseinstrübung gute und schlechte Tage. Während andere Atemwegserkrankungen ebenfalls durch Entzündungen im Gehirn wüten können, ist Sars-CoV-2 in dieser Hinsicht sehr viel gefährlicher als etwa die Grippe. Aus diesem Grund entwickelten Menschen wie Robertson lange vor der Pandemie eine Bewusstseinstrübung, und darum tritt das Symptom bei Long-Covid-Patienten besonders häufig auf.

Die vielleicht wichtigste Information im Zusammenhang mit der aufkommenden Forschung zur Bewusstseinstrübung ist, dass sie »womöglich rückgängig gemacht werden kann«, sagte Monje. Wäre das Symptom die Folge einer andauernden, hartnäckigen Infektion des Gehirns oder eines massenhaften Absterbens von Neuronen infolge massiven Sauerstoffmangels, wäre es schwer, es zu heilen. Doch eine neuronale Entzündung ist kein endgültiges Urteil. Krebsforscher zum Beispiel haben Medikamente entwickelt, die amoklaufende Mikroglia bei Mäusen beruhigen und den Tieren ihre kognitiven Fähigkeiten zurückgeben können. Manche dieser Stoffe werden bereits in frühen klinischen Studien getestet. Monje hofft, dass »das Gleiche auch für Covid-Fälle gilt«.

Wie man die Symptome lindert

Biomedizinische Fortschritte können allerdings Jahre dauern, und Long-Covid-Patienten benötigen die Hilfe jetzt. In Ermangelung wirksamer Therapien konzentrieren sich die meisten Behandlungen darauf, die Patienten beim Umgang mit ihren Symptomen zu unterstützen. Guter Schlaf, gesunde Ernährung und andere allgemeine Veränderungen im Lebenswandel machen den Zustand meist erträglicher. Atem- und Beruhigungstechniken können den Menschen durch schwere akute Phasen helfen. Sprachtherapie kommt oft jenen zugute, die unter Wortfindungsstörungen leiden. Manche frei erhältlichen Medikamente wie Antihistaminika können Entzündungssymptome lindern und Stimulanzien dem verlangsamten Denken wieder etwas Schwung geben.

»Manche Menschen erholen sich plötzlich wieder bis hin zu jenem Niveau, das sie vor der Erkrankung hatten«, erzählte mir Hellmuth, »doch nach zweieinhalb Jahren geht es vielen Patienten, die ich sehe, noch immer nicht besser.« Zwischen diesen beiden Extremen befinden sich wahrscheinlich die meisten Betroffenen von Long Covid – diejenigen, deren Bewusstseinstrübung besser wurde, aber noch nicht ganz verschwunden ist und die »ein relativ normales Leben führen können, jedoch erst nachdem sie deutliche Veränderungen hingenommen haben«, sagte Putrino. Lange Rehabilitationsphasen und eine ganze Reihe Tricks machen ein normales Leben möglich, aber nur langsam und zu einem hohen Preis.

Kristen Tjaden kann wieder lesen, wenn auch nur kurze Passagen, nach denen sie sich längere Zeit ausruhen muss. Zur Arbeit dagegen kann sie noch nicht wieder gehen. Angela Meriquez Vázquez kann zwar arbeiten, Multitasking und das Ansetzen und Durchführen von Meetings sind ihr jedoch weiterhin unmöglich. Julia Moore Vogel, die für ein großes biomedizinisches Forschungsprogramm mitverantwortlich ist, bringt genügend exekutive Funktion für ihre Arbeit auf, aber »ich habe fast alles andere in meinem Leben zurückgestellt, um hierfür Energie zu haben«, erklärte sie mir. »Ich gehe nur noch einmal die Woche aus dem Haus oder treffe mich mit Freunden.« Über ihre Probleme spricht sie selten offen, denn »in meinem Tätigkeitsbereich ist dein Gehirn dein Kapital«, sagte sie. »Ich weiß, dass mein Wert in den Augen vieler Menschen sinken wird, wenn sie von meinen kognitiven Einschränkungen erfahren.«

Erzwungene Normalität macht Long Covid nur schlimmer

Den Patienten fällt es schwer, sich mit der Veränderung, die sie durchmachen müssen, und der Stigmatisierung, die damit einhergeht, abzufinden, und das unabhängig davon, wo sie sich letztlich wiederfinden. Ihr verzweifelter Wunsch, zur Normalität zurückzukehren, kann gefährlich sein, besonders wenn kulturelle Normen sie dazu drängen, sich durch Herausforderungen und »post-exertional malaise« zu kämpfen – größere Zusammenbrüche, bei denen sich nach auch nur schwacher körperlicher oder geistiger Anstrengung alle Symptome verschlimmern.

Viele Betroffene von Long Covid zwingen sich selbst zurück in ihre Arbeit, wobei sie sich stattdessen »in einen schweren Zusammenbruch drängen«, erzählte mir Robertson. Als sie sich zur Normalität zu zwingen versuchte, endete es damit, dass sie für ein ganzes Jahr zu Hause bleiben und ganztags betreut werden musste. Selbst heute, wenn sie versucht, sich an einem schlechten Tag zu konzentrieren, »endet es mit einer physischen Reaktion, die sich in Erschöpfung und Schmerz ausdrückt, als wäre ich einen Marathon gelaufen«, berichtete sie.

»Post-exertional malaise« kommt bei Long-Covid-Patienten so häufig vor, dass »körperliches Training als Behandlungsform für Menschen mit Long Covid ungeeignet ist«, sagte Putrino. Selbst mentales Training – das von fraglichem Wert ist, aber häufig als mögliche Therapie für Bewusstseinstrübung genannt wird – muss sehr vorsichtig dosiert werden, da auch mentale Erschöpfung eine Form körperlicher Erschöpfung ist. Menschen mit ME/CFS mussten dies am eigenen Leib erfahren und haben sich hartnäckig dafür eingesetzt, dass die Bewegungstherapie, die häufig in ihrem Fall verschrieben wurde, aus den offiziellen Richtlinien in den USA und dem Vereinigten Königreich gestrichen wird. Sie haben außerdem gelernt, ihr Energielevel vorsichtig zu erspüren und die Energie einzuteilen, um Zusammenbrüche zu vermeiden.

Vogel erreicht dieses Ziel mit Hilfe eines Wearable, das ihre Herzfrequenz, ihren Schlaf, ihre Aktivität und ihr Stresslevel trackt, um so einen Näherungswert für ihr tägliches Energielevel zu erhalten; wenn es sich niedrig anfühlt, zwingt sie sich zur Ruhe – sowohl kognitiv als auch körperlich. Auch Social Media und das Prüfen der E-Mails lässt sie dann sein. In solchen Momenten »musst du akzeptieren, dass du eine gesundheitliche Krise hast und das Beste, was du tun kannst, wortwörtliches Nichtstun ist«, sagte sie. Wenn man im Nebel feststeckt, ist es manchmal das Schlauste, stehen zu bleiben.

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