Bewegung und Kognition: Macht Sport doch nicht schlauer?
Dass moderate Aktivität gesund ist und den körperlichen Allgemeinzustand verbessert, ist wissenschaftlicher Konsens und weitgehend unbestritten. Immer wieder heißt es allerdings, Sport verbessere zusätzlich auch die kognitiven Funktionen wie Gedächtnisleistung, Aufmerksamkeitsfähigkeit und Informationsverarbeitung. Sogar die Weltgesundheitsorganisation WHO hat dies vor einigen Jahren offiziell in ihre Richtlinien und Empfehlungen aufgenommen. Eine Forschungsgruppe um Luis Ciria von der Universidad de Granada in Spanien hat sich jetzt die Studienlage angesehen und festgestellt: Es gibt derzeit keinen handfesten Beleg dafür, dass diese Behauptung stimmt. Die Ergebnisse hat sie in der Fachzeitschrift »Nature Human Behaviour« veröffentlicht.
Zusammen mit sechs Kollegen schaute Ciria sich 24 Metaanalysen an, die 271 Primärstudien umfassten, bevor sie sich auf 109 Studien mit insgesamt 11 266 gesunden Teilnehmern konzentrierten. Die Forscher beschränkten sich auf Studien mit randomisierten Kontrollversuchen, die üblicherweise zur Untersuchung von Kausalzusammenhängen verwendet werden. Das Team stellte fest, dass die anfänglich kleinen, statistisch signifikanten positiven Auswirkungen körperlicher Betätigung auf die Kognition nach Berücksichtigung möglicher Einflussfaktoren (wie etwa Unterschiede zwischen den Kontrollgruppen und den Ausgangssituationen der Studien) und nach Korrektur der Publikationsverzerrungen verschwanden.
In ihrer Re-Analyse der Studien nutzten die Autoren diverse statistische Methoden, um herauszufinden, ob lediglich die Evidenz fehlt (»absence of evidence«) oder ob belegt werden kann, dass es den Effekt nicht gibt (»evidence of absence«). »Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die in früheren metaanalytischen Übersichten berichteten Auswirkungen von körperlicher Betätigung auf die Kognition wahrscheinlich überschätzt wurden«, heißt es in dem aktuellen Fachaufsatz. Ein kausaler Effekt von regelmäßiger körperlicher Bewegung auf die Kognition könne nicht belegt, allerdings auch nicht final ausgeschlossen werden. Es gebe sicherlich Unterschiede zwischen den untersuchten Sportarten, der Intensität des Trainings und den Anforderungen. So könne Yoga etwa andere Auswirkungen auf die Kognition haben als Fußball oder Aerobic.
»Wir sind der Meinung, dass die Anhäufung von qualitativ minderwertigen Belegen eher zu einer Stagnation als zu Fortschritten darin geführt hat, die tatsächlich vorhandene Wirkung zu ermitteln«, schreiben die Autoren in ihrem Fazit. Die Zahl der veröffentlichten Experimente und Übersichtsarbeiten zu diesem Thema stehe »in krassem Gegensatz zum Mangel an einem soliden theoretischen Modell, das die trainingsinduzierten kognitiven Verbesserungen beim Menschen erklärt«.
Das Team kommt daher zu dem Schluss, dass die Vorteile körperlicher Bewegung für das menschliche Wohlbefinden an sich schon ausreichen, um evidenzbasierte gesundheitspolitische Maßnahmen zu rechtfertigen. Dazu brauche es keine zusätzlichen kognitiven Effekte. »Sport bringt zudem nicht nur körperliche, sondern auch soziale Vorteile, da die Teilnahme an kollektiven Aktivitäten ein Gefühl der Zugehörigkeit vermittelt.« Und schließlich dürfe man nicht vergessen, dass der Wert einer sportlichen Betätigung einfach darin liegen könne, dass es Spaß macht.
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