Artenschutz: Madagaskar könnte im Jahr 2070 waldfrei sein
Der Klimawandel ist eine der größten Bedrohungen für die bereits gestressten Ökosysteme des Planeten. Doch für die meisten Tiere stellt er dieser Tage womöglich nicht die größte Gefahr dar, berichten Forscherinnen und Wissenschaftler im Magazin »Nature Climate Change«. Ob kleiner Krabbler oder großes Säugetier – alle tierischen Erdbewohner seien gleich an mehreren Fronten bedroht, schreiben sie. Als Beweis dienten Madagaskars Lemuren.
Es sei nur verständlich, dass der Klimawandel besondere Aufmerksamkeit bekomme, schreibt das Team um die Ökologin Toni Lyn Morelli von der University of Massachusetts Amherst. Schließlich wirke er weltweit, könne gesamte Ökosysteme verändern und damit Lebensräume beeinflussen, die eigentlich geschützt sind. Doch schwindender Lebensraum – etwa durch Brandrodung oder Abholzung –, intensive Jagd, eingeschleppte Arten und Umweltverschmutzung seien als akute, gegenwärtige Gefahren nicht zu unterschätzen.
Unter welch großem Druck manche Tiere bereits heute stehen, haben Morelli und ihre Kollegen anhand der ausschließlich in Madagaskar lebenden Schwarzweißen Varis gezeigt. Das Team hat berechnet, wie sich die Abholzung auf die bedrohten Lemuren bis zum Ende des Jahrhunderts auswirkt, und die Zahlen mit den möglichen Folgen des sich wandelnden Erdklimas verglichen. Daten aus 88 Jahren Forschung sind in das Modell eingeflossen.
75 Prozent des Waldes durch Klimawandel bedroht
Das Ergebnis: Bis zu 60 Prozent des für Lemuren bewohnbaren Regenwaldes könnten bis zum Jahr 2070 verschwinden, weil Bäume abgeholzt oder abgebrannt werden. Wegen des Klimawandels allein wiederum könnten bis zu 75 Prozent des Ökosystems verloren gehen. Komme beides zusammen, könnte der Lebensraum gar bis dahin vollständig zerstört sein. Mit dem Wald würden die Schwarzweißen Varis sterben, schreiben die Forscher. »Auch ohne den Klimawandel verlieren wir den Regenwald und seine Lemuren, aber mit dem Klimawandel geht es noch schneller«, sagt Morelli in einer Pressemitteilung.
Die Daten passen zu einer Studie aus dem Jahr 2018. Die Autoren hatten mit Hilfe von Karten dargelegt, welch große Teile des Regenwaldes der Mensch zerstört hat: Madagaskar liegt im Südwestindischen Ozean vor der Küste von Mosambik. Der Inselstaat bietet derzeit noch eine ungewöhnliche Vielfalt an Lebensräumen, die dicht beieinanderliegen, von immergrünem Regenwald bis zu Halbwüsten. Die Lemuren bewohnen die Regenwälder im Osten der Insel. Die Baumbewohner sind vor allem am Tag aktiv, insbesondere am frühen Morgen und am späten Nachmittag. Die Tiere gelten als bedeutsamer Teil des Regenwaldes in Madagaskar, weil sie Pflanzensamen weit verteilen und damit als Indikatoren für die Gesundheit des Waldes dienen. Derzeit gelten 96 Prozent der 101 bekannten Lemurenarten Madagaskars als bedroht. Was die Autoren der aktuellen Studie betonen: Die Lemuren in Madagaskar sind nur ein Beispiel von vielen dafür, dass die Biodiversität nicht allein durch den Klimawandel bedroht ist. Wer Arten langfristig schützen will, sollte deren Heimat schon heute bewahren.
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