Direkt zum Inhalt

News: Männchen oder Weibchen - Nachkommen auf Wunsch?

Im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten ist es einer Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Freiburg gelungen, das sogenannte Responder-Gen zu klonieren. Dieses Gen wird zu 95 Prozent von Männchen auf ihre Nachkommen vererbt. Es enthält die Information für die Herstellung einer neuartigen Proteinkinase, die vermutlich die Beweglichkeit von Spermien kontrolliert. Mit diesem Gen kann vermutlich die Vererbungsrate von Chromosomen, insbesondere auch der Geschlechtschromosomen verändert werden. Damit ließen sich beispielsweise in der Tierzucht gezielt entweder mehr männliche oder weibliche Nachkommen erzeugen.
Chromosomen werden gewöhnlich mit gleicher Wahrscheinlichkeit vererbt. Mit Blick auf die Geschlechtschromosomen bedeutet dies, daß eine gleiche Anzahl von Spermien ein X- bzw. ein Y-Chromosom trägt. Da sowohl X- als auch Y-Spermien gleichermaßen ein Ei befruchten können, entstehen letztendlich ebenso viele männliche wie weibliche Nachkommen. Anders verhält es sich bei Chromosomen, die das sogenannte Responder-Gen (Tcr) tragen, wie beispielsweise das Chromosom 17 bei Mäusen. Die Vererbungsrate dieses Chromosoms von Männchen auf ihre Nachkommen beträgt beim Wildtyp 17 Prozent. Mit Hilfe zusätzlicher mutierter Faktoren, der sogenannten Distorter (D1 bis D5) läßt sich die Vererbungsrate dieses Chromosoms jedoch auf bis zu 95 Prozent erhöhen (Nature vom 11. November 1999).

Das Responder-Gen kodiert, wie sich nun bei der Klonierung zeigte, für eine neuartige Proteinkinase. Es ist Mitglied einer Genfamilie, Smok genannt (für sperm motility kinases), deren Gene während der Spermiogenese exprimiert, also abgelesen und in die entsprechenden Proteine umgesetzt werden. Die runden haploiden, also nur mit dem einfachen Chromosomensatz ausgestatteten Spermatiden werden im Verlauf der Spermiogenese in die beweglichen Spermatozoen umgewandelt. Smok-Kinasen, Tcr und Distorter sind vermutlich an der Kontrolle der Spermienbewegung beteiligt, die durch ein langes, peitschenähnliches Flagellum vermittelt wird. Während der mutierte, also genetisch veränderte Distorter die Spermienbewegung beeinträchtigt, kann der Responder diese Beeinträchtigung ausgleichen und die normale Spermienbeweglichkeit wiederherstellen – allerdings nur in den Spermienzellen, die auch das Responder-Gen tragen. Damit besteht ein funktioneller Unterschied zwischen Spermien mit und ohne Responder. Im Ergebnis haben Spermien mit Responder-Gen einen entscheidenden Vorteil im Wettbewerb um Eizellen – wie bei einem 200m-Kraulwettbewerb haben die schwimmfähigeren Spermien nämlich die besseren Aussichten, die Eizelle vor ihren Konkurrenten zu erreichen und erfolgreich mit ihr zu verschmelzen. Damit erhöht sich natürlich auch die Wahrscheinlichkeit für die Weitergabe der von diesen Spermien getragenen Chromosomen bzw. Merkmalen.

Das Phänomen dieser ungleichgewichtigen Vererbungsrate ist seit mehreren Dekaden bekannt und wurde von Generationen von Mausgenetikern untersucht. Die Faktoren, die für die Verzerrung der Vererbungsrate verantwortlich sind, konnten jedoch bislang nicht isoliert werden. Somit lag der molekulare Mechanismus, durch den dieses Phänomen zustande kommt, bis heute im Dunkeln. "Die Schwierigkeit beim Auffinden des Responder-Gens lag einerseits darin, daß das Gen in einen Chromosomenabschnitt eingebettet ist, der in der Evolution mehrfach vervielfältigt und umgelagert wurde, und zum anderen darin, daß der Nachweis dafür, das richtige Gen isoliert zu haben, nur durch Tests von transgenen Männchen erbracht werden konnte", sagt Bernhard Herrmann, der Leiter der Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Immunbiologie in Freiburg. "Dieses Projekt war sehr arbeitsaufwendig und verlangte eine äußerst sorgfältige Analyse des in Frage kommenden Chromosomenabschnitts."

Die Klonierung des Responder-Gens ebnet den Weg für die Erforschung der Spermienbewegung auf molekularer Ebene und könnte menschliche Gene ans Tageslicht bringen, die bei manchen Formen der Unfruchtbarkeit eine Rolle spielen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, daß eine Verzerrung der Vererbungsrate auch bei anderen Säugern oder beim Menschen vorkommt.

Diese neuen Erkenntnisse haben möglicherweise auch größere Bedeutung für die Tierzucht. So geht Bernhard Herrmann davon aus, daß es in naher Zukunft möglich sein sollte, das Responder-Gen bzw. entsprechend optimierte Konstrukte auf das Y-Chromosom landwirtschaftlicher Nutztiere wie Kühe, Schweine, Schafe etc. zu übertragen. Die genetisch veränderten männlichen Nutztiere werden dann, je nachdem ob das Responder-Gen mit oder ohne die Distorter-Faktoren eingesetzt wurde, mehr männliche oder mehr weibliche Nachkommen zeugen. Ein Einsatz des Responder-Gens zusammen mit Distorter-Faktoren setzt allerdings voraus, daß letztere ebenfalls molekular isoliert werden. Damit ließe sich die Produktivität in der Tierzucht enorm steigern.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.