Gleichstellung in der Wissenschaft: Männer profitieren stärker vom Pionier-Vorteil als Frauen
Männer profitieren in der Physik mehr als Frauen von einem Phänomen, das als »Pionier-Vorteil« bezeichnet wird. Zu dieser Erkenntnis kommen Hyunsik Kong, Samuel Martin-Gutierrez und Fariba Karimi vom Complexity Science Hub Vienna, nachdem sie Tausende von Veröffentlichungen aus mehr als 100 Jahren analysiert haben. »Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Pionier-Vorteil eine entscheidende Rolle dabei spielt, wie in der Physikgemeinschaft geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wahrnehmung von Forschungsarbeiten entstehen«, schreiben sie im Fachmagazin »Communications Physics«.
Die erste Person, die eine Forschungsarbeit zu einem Thema veröffentlicht, wird in der Regel deutlich öfter von anderen Wissenschaftlern zitiert als diejenigen, die später über dasselbe Thema veröffentlichen. Männer haben jedoch einen kumulativen historischen Vorteil, da Frauen erst allmählich und deutlich langsamer in die Physik einsteigen. Solche Verzerrungen tragen dazu bei, dass sich Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen in einem von Männern dominierten Umfeld unsichtbar und ignoriert fühlen. Das Gefühl, nicht Teil der Gemeinschaft zu sein, kann eine erhöhte Abbrecherquote nach sich ziehen. Das wiederum hat langfristig weitere negative Effekte, da es an Vielfalt, Integration, Innovation und vor allem an Vorbildern mangelt. »Deshalb ist es von größter gesellschaftlicher Bedeutung, diese Vorurteile genau zu erkennen und Bottom-up-Ansätze zu entwickeln, um sie zu bekämpfen«, fordern die Studienautoren.
Um den Pionier-Vorteil zu untersuchen, fasste die Gruppe Forschungsarbeiten, die sich mit ähnlichen Themen befassten und innerhalb weniger Jahre veröffentlicht wurden, zu Paaren zusammen; bei jedem Paar war einmal ein Mann der Erstautor, einmal eine Frau. Das Team ermittelte dann die Anzahl der Zitate, die jede Arbeit im Lauf der Zeit erhielt. Wenn Frauen als Erste zu einem Thema publiziert hatten, wurden sie tendenziell weniger oft zitiert als der männliche Gegenpart. »Das kann dazu führen, dass die Arbeit von Frauen übersehen wird, was ihre Erfolgschancen auf dem Gebiet schmälert«, folgern Kong und Kollegen. »Diese Verzerrungen sollten schnellstmöglich beseitigt werden, indem die Beteiligung von Frauen und anderen Minderheiten an Forschungsarbeiten gezielt und nachhaltig gefördert wird.«
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