Geschlechter: Männerschnupfen ist keine Einbildung
In sozialen Medien wird oft über Männerschnupfen gelästert – es könne ja nicht sein, dass das vermeintlich starke Geschlecht so arg unter Erkältungskrankheiten leidet, wie es gerne öffentlich kundgibt. Dem Mediziner Kyle Sue von der Memorial University of Newfoundland in St John’s ließ dies jedenfalls keine Ruhe, wie er augenzwinkernd in seinem Beitrag für die Weihnachtsausgabe des "British Medical Journal" schreibt: Da die Hälfte der Menschheit männlich ist, könnte es große Folgen für Männer haben, "wenn ohne ausreichende wissenschaftliche Belege behauptet wird, dass Symptome ihrer Atemwegserkrankung als übertrieben dargestellt werden. Sie könnten beispielsweise unzureichend behandelt werden."
Tatsächlich scheint es zwar einige Studien zu geben, die sich damit beschäftigen, ob es einen "Männerschnupfen" gibt und wodurch er bedingt wird. Doch existierte bis dato keine zusammenfassende Übersicht zum Thema, ob Männer wirklich stärker von Schnupfen, Husten, Heiserkeit – und Grippe – betroffen sind als Frauen, so Sue. Einige Mausstudien beispielsweise hatten herausgefunden, dass weibliche Tiere eine stärkere Immunantwort aufweisen als Männchen. Die geschlechtsspezifische Verteilung von Hormonen könnte diesbezüglich eine wichtige Rolle spielen, war eine der Thesen aus diesen Arbeiten: Östrogene würden demnach die Immunabwehr stärken, Testosteron sie dagegen schwächen. Eine weitere Studie an Nasenzellkulturen in der Petrischale wies ebenfalls in diese Richtung. Die Ladung an Influenza-A-Viren reduzierte sich deutlich in Proben aus Frauennasen, wenn diesen Östrogene zugeführt wurden, nicht aber bei den männlichen Gegenproben – weil diesen auch die entsprechenden Östrogenrezeptoren fehlten.
Der antivirale Effekt wurde allerdings gehemmt, wenn man den weiblichen Zellen zusätzlich rezeptorblockierende Mittel zuführte. Dann konnten die Grippeviren ebenfalls stärker zuschlagen. Und gleichfalls in die Hormonrichtung wies eine Untersuchung an Zellkulturen mit Schnupfenviren, bei denen Proben von Männern heftiger reagierten als die von Frauen mit gleichem Alter. Der schützende Effekt schwächte sich jedoch deutlich ab, wenn Frauen die Menopause durchlebt hatten – in diesem Fall sprangen die Zellen ähnlich heftig nach einer Infektion an wie die der jungen Männer.
Sue merkt kritisch an, dass Nagetier- und Petrischalenstudien nur eingeschränkt als Beleg dienen. Allerdings deuten epidemiologische Studien an, dass Männer bei Grippeepidemien tatsächlich öfter wegen Komplikationen in die Klinik müssen und häufiger sterben als Frauen gleichen Alters. Umgekehrt deutet sich an, dass Frauen besser auf Grippeimpfungen reagieren und durch diese geschützt werden als Männer. Außerdem fiel auf, dass die Immunreaktion auf die Impfung umso schwächer ausfiel, je höher der männliche Testosteronspiegel war. Zusammengefasst stärkten also auch diese Studien den Eindruck, dass Hormone eine entscheidende Rolle bei der Ausprägung des "Männerschnupfens" spielen.
Allerdings zeigten einige Untersuchungen, dass sich Männer im Krankheitsfall weniger schonen und Ärzte krankheitsbedingte Symptome bei ihnen als schwächer einstufen als bei Frauen. Verzerrungen könne es zudem geben, weil einige Studien offensichtlich nicht berücksichtigt hatten, dass Männer weltweit mehr rauchen und seltener Vorsorge betreiben als Frauen – was sie anfälliger für Atemwegserkrankungen macht, so Sue.
Trotz dieser Einschränkungen spreche vieles weiterhin für eine wichtige Rolle der Hormone, so Sue. Aber warum? Einer der von dem Mediziner zitierten Wissenschaftler führt dafür evolutionäre Gründe an: Die mit dem Testosteron verbundenen positiven Eigenschaften wie erhöhte Wettbewerbsfähigkeit und verstärkte Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale, die die Männlichkeit betonen, wögen demnach mehr als die abgeschwächte Immunantwort. Andere Forscher argumentieren, dass im Laufe unserer Entwicklungsgeschichte die männliche Wettbewerbsfähigkeit Vorrang vor Langlebigkeit genoss: "Eine schwache Immunabwehr ist für Männer weniger wichtig, weil sie mit höherer Wahrscheinlichkeit durch eine schwere Verletzung (im Kampf) sterben als durch eine Infektion." Zumindest habe diese über hunderttausende Jahre gegolten. Gleichzeitig würde eine heftiger verlaufende Erkrankung auch dafür sorgen, dass Männer im Bett – oder in der Höhle – blieben, statt sich geschwächt auf die Jagd oder in den Kampf zu schleppen.
Sue fordert schließlich, dass es noch viel mehr fundierte Studien zum Thema geben müsse. Unklar sei etwa, ob der "Männerschnupfen" nicht auch von den allgemeinen Umweltbedingungen beeinflusst werde – beispielsweise könnte er in wohlhabenden Ländern oder Kreisen gemäßigter ausfallen als unter schlechten Verhältnissen. Klinische Studien sind ebenfalls erwünscht, in denen ein Teil von gezielt infizierten Männern bestens ärztlich versorgt werde, während andere selbst zurechtkommen müssten. Und interessant wäre es auch festzustellen, ob Herren mit robustem Immunsystem weniger erfolgreich bei der Partnersuche sind als Geschlechtsgenossen mit übersprudelndem Testosteron, aber schwächerer Immunabwehr. Unabhängig davon sei es an der Zeit, dass endlich männerfreundliche Krankenräume mit riesigen Fernsehbildschirmen und bequemen Lehnstühlen eingerichtet werden, in denen sich Männer in Ruhe und Komfort von ihrem Leiden erholen könnten, wünscht sich Sue in seinem Schlusssatz.
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