Befruchtung : Männliche Mitochondrien schreiben Lehrbücher um
Bei der Befruchtung verschmilzt das Spermium mit der Eizelle und sorgt für eine Oozyte mit ordentlicher Chromosomenausstattung – beide, Vater und Mutter, steuern ihre Gene zum werdenden Embryo bei. Das gilt allerdings nur für die Gene des Zellkerns: Immer und ausschließlich von der Mutter stammt das vergleichsweise kleine Erbgut aller Mitochondrien außerhalb des Zellkerns – den für die Energieproduktion der Zellen zuständigen Organellen mit ihrer eigenen ringförmige Mini-DNA. Das zumindest haben Biologen seit Jahrzehnten in ihre Lehrbücher geschrieben. Womöglich macht die Natur aber auch bei den ehernen Regeln gelegentliche Ausnahmen, meinen nun Forscher in einem Beitrag in »PNAS«.
Die Forscher um Taosheng Huang vom Cincinnati Children’s Hospital Medical Center hatten sich in ihrem Experiment mit unerwartetem Ausgang die so genannte rein maternale Vererbung der Mitochondrien vorgenommen – und damit einem wissenschaftlich eigentlich unumstritten akzeptierten Prinzip. Denn schließlich gelangen männliche Mitochondrien mit ihrem Erbgut auch bei einer Befruchtung nie in Eizellen, wie Wissenschaftler wussten: Spermien tragen zwar spezielle Mitochondrien mit eigener DNA zur Energieproduktion für den Geißelantrieb der Samenzellen. Sie sind aber an der Wurzel des Spermiums konzentriert und bleiben fast immer außerhalb der Eizellhülle zurück, während das Spermium seine väterlichen Gene in die Eizelle einschleust. Zudem markiert die Eizelle die wenigen ab und zu doch eingedrungenen Mitochondrien des Spermiums mit dem zellulären Abfallmarker Ubiquitin für eine sofortige Entsorgung. Demnach müssen sämtliche Mitochondrien eines Menschen Erbe der Mutter sein: Sie entstammen nur jenen Mitochondrien, die bei der Befruchtung bereits in der Eizelle vorhanden waren, sich dann wie Bakterien teilen, vermehren und nach dem Zufallsprinzip an die Tochterzellen des wachsenden Embryos weitergegeben werden.
Huang und Kollegen stellten nun aber mit verschiedenen unabhängigen Methoden fest, dass offenbar doch väterliche Mitochondrien-DNA in die Eizellen gelangt – zumindest gelegentlich. Sie hatten dafür die Gene von miteinander verwandten Freiwilligen aus mehreren Generationen verglichen und in gleich 17 Fällen bemerkt, dass die Mitochondriengene nicht ausschließlich von den Müttern stammten. Zudem scheint das Phänomen nicht rein zufällig aufzutreten: Es korreliert mit bestimmten auf den Chromosomen des Zellkerns aktiven Regulatorgenen, die zudem wohl dominant vererbt werden. In drei Familien mit diesen aktiven Regulatoren werden demnach zwischen 24 und 76 Prozent der Mitochondriengene einzelner Zellen von den Vätern beigesteuert.
Der biologische Hintergrund und der zu Grunde liegende molekulare Mechanismus des überraschenden Funds ist auch den Wissenschaftlern um Huang noch völlig unklar. Denkbar seien mehrere, womöglich kombiniert wirkende Möglichkeiten, mit denen Spermien ihre Mitochondrien in die nächste Generation schaffen. Vermutlich sind unter anderem Gene abgeschaltet, die die Entsorgung der wenigen übertragenen väterlichen Mitochondrien-Erbgutmoleküle in der Eizelle steuern – diese werden dann nicht mehr wie üblich abgebaut. Eine Mutation mit ähnlicher Auswirkung kennt man immerhin aus Versuchstieren wie dem Fadenwurm C. elegans. Schon 2016 hatte man auch eine in Eizellen aktive, Erbgut abbauende Endonuklease entdeckt, die Mitochondrien-DNA aus Spermien schon an der Hülle der Eizelle abfängt – womöglich kann dieser Mechanismus entweder abgeschaltet werden oder in Folge von Mutationen defekt sein.
Die Forscher halten es allerdings für eher unwahrscheinlich, dass ihre Beobachtung auf einem einfachen Fehler im Zellmechanismus beruht: Dann würde sich trotzdem wegen der überwältigenden Überzahl der vielen mütterlichen Mitochondrien in der Eizelle insgesamt nur extrem wenig väterliche Mitochondriengene finden lassen. Offenbar aber sorgt ein Mechanismus dafür, dass das väterliche Erbgut in den Ausnahmefällen nun plötzlich deutlich bevorzugt an die Tochterzellen vererbt wird. In Frage kommen für die Forscher schon bekannte Gene, die die Kopienzahl von Mitochondrien-Erbgut in der Blastozyste – einem frühen embryonalen Stadium – erhöhen: Diese müssten aber auf irgendeinem unbekannten Weg väterliche und mütterliche Mitochondrien-DNA erkennen und dann fördern oder aussieben.
Die Entdeckung der Mitochondrienforscher muss nun noch weiter untersucht werden und ist zunächst vor allem kurios. Immerhin aber kennen Mediziner Krankheiten, die durch fehlerhafte Mitochondriengene verursacht sind – und von denen man daher womöglich falsch annahm, dass sie auch nur in den mütterlichen Linien vererbt werden. Zumindest dies sollte vielleicht noch einmal genauer analysiert werden.
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