Pädagogik: Märchen können Kinder ehrlicher machen
Geschichten und Märchen dienen oft nicht nur der Unterhaltung, sondern sollen Kindern auch gesellschaftliche Werte vermitteln. So werden in den Erzählungen Tugenden belohnt und unerwünschte Verhaltensweisen bestraft. Ob die Kinder daraus tatsächlich etwas lernen – vor allem in puncto Ehrlichkeit –, haben nun Forscher um Kang Lee von der University of Toronto untersucht.
Dabei sollten Kinder im Alter von drei bis sieben Jahren zunächst verschiedene Spielzeuge nur anhand ihres Geräuschs erkennen. Zwischendurch verließ die Versuchsleiterin unter einem Vorwand den Raum und ermahnte die Kinder, bloß nicht zu schummeln und die Spielzeuge anzuschauen. Bei ihrer Rückkehr las sie ihnen eine Geschichte vor:
Einige Kinder hörten von Pinocchio, dessen Nase beim Lügen wächst. Anderen las die Versuchsleiterin das Märchen eines jungen Schafhüters vor, der ständig vortäuscht, er würde von einem Wolf angegriffen. Bei einem echten Wolfsangriff nimmt ihn niemand mehr ernst, so dass alle seine Schafe gefressen werden. Eine dritte Gruppe von Kindern hörte die Geschichte "George Washington and the Cherrytree", in der George Washington als Kind den geliebten Kirschbaum seines Vaters fällt, diese Tat aber zugibt und vom Vater für seine Ehrlichkeit gelobt wird.
Ehrlich wie George Washington
Am Ende der Geschichte fragte die Versuchsleiterin die Kinder, ob sie in ihrer Abwesenheit die Spielzeuge heimlich angesehen hätten. Dabei stellte sie jeweils einen Bezug zur vorherigen Erzählung her, indem sie den Kindern zum Beispiel sagte, sie sollten so ehrlich sein wie George Washington beziehungsweise nicht lügen wie Pinocchio oder der Hirtenjunge.
Wie die Forscher per Videoüberwachung beobachteten, schauten sich die meisten Kinder verbotenerweise die Spielzeuge an. Nach "Pinocchio" und "Der Hirtenjunge und der Wolf" gab nur rund ein Drittel der Teilnehmer das Schummeln zu. Damit unterschieden sie sich nicht von einer Kontrollgruppe, die eine Geschichte ohne Bezug zum Lügen gehört hatte. Dagegen sagte etwa die Hälfte der Kinder die Wahrheit, nachdem man ihnen "George Washington and the Cherrytree" vorgelesen hatte.
Der wichtigste Unterschied zwischen den Erzählungen liegt nach Ansicht der Forscher darin, dass "George Washington and the Cherrytree" die positiven Folgen der Ehrlichkeit hervorhebt, während "Pinocchio" und "Hirtenjunge" kurz- oder langfristige Konsequenzen des Lügens thematisieren.
Ehrlichkeit belohnen statt Lügen bestrafen
Um zu prüfen, ob die Washington-Geschichte tatsächlich wegen ihrer positiven Aussage so erfolgreich ist, lasen die Forscher einer weiteren Gruppe von Kindern eine leicht veränderte Version vor, in der der kleine George seine Tat leugnet und sein Vater sehr enttäuscht ist, als er herausfindet, dass sein Sohn ihn belogen hat. In der Tat war diese Erzählung weniger erfolgreich als das Original.
Die Wissenschaftler schließen daraus, dass Geschichten, die erwünschtes Verhalten wie Ehrlichkeit positiv hervorheben, für die Erziehung erfolgreicher sind als solche, in denen negative Handlungen bestraft werden. Auch in anderen Lebensbereichen könnte diese Erkenntnis wichtig sein: Denn in der Praxis tadeln Eltern ihre Kinder häufiger für Lügen, als dass sie Ehrlichkeit loben. Den neuen Ergebnissen zufolge bringt es dagegen vermutlich mehr, positives Verhalten zu bestärken.
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