Magdalenenflut: Als das Mittelalter den Boden unter den Füßen verlor
Erstaunlicherweise kennen wir heute nur ein einziges Todesopfer mit Namen, verzeichnet auf einem Reliquienkreuz in der Göttinger Kirche St. Albani: Im Jahr 1342, so heißt es dort, »ver drank hermen goltsmet in der groten vlot«. Der Goldschmied Hermann, ertrunken in der großen Flut. Wie viele Menschen im Juli jenes Jahres noch ihr Leben verloren haben, ist unbekannt. Es könnten wohl Tausende gewesen sein.
Niemals zuvor in der bekannten Geschichte und niemals wieder seitdem erlebten Menschen auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands Vergleichbares. Ganze Gegenden bekamen binnen Stunden ein neues Gesicht verpasst. Und eine ohnehin schon durch Dekaden der Wetterextreme im Mark erschütterte Gesellschaft sah ihre Lebensgrundlagen auf dem Acker davonschwimmen, mitsamt zahlreicher Bauwerke entlang der Flüsse. Das Land war von einer Flut biblischen Ausmaßes getroffen worden.
»Über die Mauern der Stadt Köln fuhr man mit Kähnen. Die meisten Brücken und Türme stürzten ein, von den Wassermassen unterspült«, fasst der Autor der »Vita Clementis VI.« – einer Lebensbeschreibung über Papst Clemens (1290–1352) VI. – zusammen. Die Donau überflutete die Brücke in Straubing. Die Nürnberger Stadtchronik berichtet von einem »groß guß in aller Welt«. Erfurt, Kassel und Meißen meldeten Land unter. »In Friesland, Eiderstedt und dem benachbarten Dithmarschen wurden durch eine Überschwemmung der Eider und Elbe alle Äcker verwüstet«, notierte ein dänischer Geschichtsschreiber.
Jahrtausendflut mit Ansage
Dass die Wassermassen eine derart zerstörerische Wirkung entfalten konnten, war jedoch nur zum Teil dem Wirken der Natur zuzuschreiben. Durch ihren tief greifenden Umbau der Landschaft hatten die Menschen des Mittelalters über Jahrhunderte der Flut den Boden bereitet, freilich ohne es zu ahnen. Aus heutiger Sicht allerdings erscheint der Schicksalsschlag des Jahres 1342 wie eine Umweltkatastrophe mit Ansage.
Eine Fülle von Schriftquellen vermittelt einen Eindruck von den Ausmaßen des Hochwassers. »Als die Überschwemmung so große Ausmaße erreichte, dass sie über Äcker, Felder, Saat und Bepflanzungen ragte von gleicher Größe wie die Fluten des Meeres, da versuchten alle Menschen sie einzudämmen, damit sie nicht nach Überschreiten der Mauern alles fortrissen«, schreibt der Gelehrte Heinrich von Herford (um 1300–1370) über die Geschehnisse in seiner Heimatstadt Minden. »Denn überall stürzten sie Mauern, Türme, Pforten, steinerne Häuser und Brücken ganz und gar um, wobei sie die Steine der Mauern und Brücken sehr weit wegführten. Leichen rissen sie aus der Erde der Gräber und aus dem Friedhof der neuen Stadt bei Lemgo mit sich.«
Auch aus den Niederlanden, der Lombardei, Frankreich und Böhmen sind Ausnahmezustände überliefert. In einigen Fällen lässt sich nicht genau unterscheiden, ob die jeweiligen Gegenden direkt von den Starkniederschlägen oder eher indirekt durch die Flutwellen betroffen waren, die sich im Anschluss daran die Flüsse hinabwälzten.
Der Main wurde zur Wasserwalze
Vor allem aber traf es die Mainregion. Das Wasser stieg so hoch, »dass die steinerne und prächtige Brücke zu Würzburg mit den Türmen und ihren Mauern und den Stadtmauern und auch viele steinerne Häuser dort und ringsherum plötzlich einstürzten«, heißt es in einem Geschichtswerk. In Frankfurt hatte der Main fast alle Kirchen überflutet und im Stadtteil Sachsenhausen eine riesige Grube in den Boden gewühlt. Die Einwohner flüchteten in höher gelegene Gebiete oder ins Umland, »da sie einen Einsturz der Stadt fürchteten«. Dank einiger Angaben aus den Quellen lässt sich für Frankfurt ein Wasserstand von 7,85 Metern rekonstruieren. Heute gilt ein Pegel von 3,40 als Hochwasser. Nie wieder stand der Fluss hier so hoch.
Aus den historischen Aufzeichnungen lässt sich der ungefähre zeitliche Ablauf der Katastrophe rekonstruieren. Demnach begann schon ab dem 19. Juli eine von Südosten heranrückende Regenfront ihr Wasser über dem heutigen Deutschland auszuschütten. Und hörte scheinbar nicht mehr damit auf. Der 22. Juli, der Tag der heiligen Magdalena, wurde zum Namensgeber der Katastrophe. Hydrologen berechneten, dass in der Mainregion während dieser Woche etwa die Hälfte der Niederschlagsmenge eines ganzen Jahres vom Himmel gekommen war.
Mensch und Natur – eine Geschichte voller Missgriffe
Zeit ihres Bestehens verändern Menschen die Umwelt. Schon Jahrhunderte vor der industriellen Revolution schürften sie nach Bodenschätzen, leiteten Abwasser in Flüsse, rodeten Wälder, um Äcker zu gewinnen, oder dezimierten die Tierwelt. Die Folgen spürten die einstigen Gesellschaften – insbesondere wenn ihre Umwelteingriffe Naturkatastrophen verschärften. Doch wie stark war der Einfluss des Menschen tatsächlich? Und hat sich die Natur nicht längst erholt?
Aus Buße führten die Einwohner Frankfurts am 26. Juli des Jahres – als das Wasser langsam wieder zurückging – eine Prozession durch. Dieses Ritual wiederholten sie fast 200 Jahre lang immer am Tag der heiligen Maria Magdalena, hielten so die Erinnerung an die Katastrophe lebendig und verfestigten die Bezeichnung »Magdalenenhochwasser« überregional im kollektiven Gedächtnis.
Klimachaos am Ende des Mittelalters
Welche Wetterlage dieses »bisher größte historisch belegte Hochwasser in Mitteleuropa«, so die Schweizer Hydrologin Eveline Zbinden im Fachblatt »Wasser Energie Luft«, auslöste, lässt sich heute nur durch Vergleiche mit gegenwärtigen Erscheinungen rekonstruieren. Die meisten Experten gehen davon aus, dass ein Tiefdruckgebiet vom Atlantik kommend im westlichen Mittelmeer warme und feuchte Luft aufgesaugt und über Österreich, Tschechien und Polen nach Norden transportiert hatte. Seine westlichen Ausläufer waren schließlich auf kalte Luftmassen aus dem Norden getroffen, was heftige Niederschläge vor allem auf deutschem Gebiet auslöste. Die Schriftquellen zeigen, dass der Regen etwa über dem heutigen Franken begann und dann weiter nach Westen zog. Das entspricht der Bahn einer so genannten Vb-Wetterlage (Fünf-b-Wetterlage), die beispielsweise auch für das »Jahrhunderthochwasser« an der Elbe im August 2002 verantwortlich war.
Doch abschließend lässt sich die Ursache fast 700 Jahre später nur schwer klären. Für Zweifel an dieser Deutung sorgt zum Beispiel das weite Vordringen der Niederschläge in westlichere Regionen. Als zweite Option ist deshalb auch eine Troglage möglich, in der Tiefausläufer bis weit nach Mitteleuropa wirkten. Eine solche Wetterkonstellation brachte etwa die verheerenden Wassermassen 2021 ins Ahrtal. So oder so muss es eine Extremversion des verantwortlichen Phänomens gewesen sein, denn ein Hochwasser dieses Ausmaßes tritt höchstens einmal in 1000 Jahren ein. Und Extremereignisse waren in dieser Zeit keine Seltenheit. Im 14. Jahrhundert steckte Europa mitten in einem Klimakarussell.
Zuvor hatte die so genannte mittelalterliche Klimaanomalie dem Kontinent für rund 300 Jahre überdurchschnittlich milde Temperaturen und gute Ernteerträge beschert. In England wurde sogar Wein angebaut. Die Bevölkerung wuchs enorm, von rund 40 auf 60 Millionen Menschen. Was diese lokale Erwärmung auslöste, die im Übrigen deutlich schwächer ausgeprägt war als der aktuelle Temperaturanstieg durch den menschengemachten Klimawandel, ist bislang nicht abschließend geklärt. Genauso wenig ist klar, wieso das Klima danach allmählich in ein entgegengesetztes Muster umschlug: in die so genannte Kleine Eiszeit, eine Phase geringerer Temperaturen, die bis ins 19. Jahrhundert andauern sollte. »Trockene, warme Sommer und milde Winter der Jahrhunderte zuvor wurden abgelöst von kühleren und regenreicheren Sommern und langen, strengen Wintern«, sagt Klimahistoriker Rüdiger Glaser von der Universität Freiburg.
Bereits im Februar 1342 sorgte die Schneeschmelze für zerstörerische Überschwemmungen und auch 1343 traten wieder Flüsse über die Ufer
Was auch immer der Grund dafür war, jedenfalls hatte das Heilige Römische Reich, als es auf jene schicksalhafte Woche um den Magdalenentag zusteuerte, bereits Ernteausfälle, Viehseuchen und entsprechende Hungersnöte zu verkraften. So zum Beispiel zwischen den Jahren 1315 und 1318. Geradezu alttestamentarische Heuschreckenschwärme zogen zwischen 1336 bis 1338 aus Asien über Ungarn bis an den Rhein und vernichteten in mehreren Jahren erhebliche Teile der Ernte. Im Jahrzehnt der Magdalenenflut erreichte das Klimachaos schließlich seinen Höhepunkt. »Tatsächlich ergibt sich aus unabhängigen paläoklimatologischen Daten, dass die 1340er und die frühen 1350er Jahre einen Zeitabschnitt fast einzigartiger klimatischer Instabilität darstellen«, fasst der Historiker Martin Bauch vom Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa zusammen. Das Hochwasser vom Juli 1342 sei das Zentralereignis eines von meteorologischen Extremen geprägten Doppeljahres gewesen.
Denn bereits im Februar 1342 transportierten die Flüsse nach einem schneereichen Winter durch die einsetzende Schneeschmelze große Mengen Wasser und Eis. Solche Eisstöße und damit verbundene Überschwemmungen richteten enorme Schäden an. In Prag wurde die Judithbrücke, der Vorgängerbau der heutigen Karlsbrücke, »an mehreren Stellen zerbrochen, so dass kaum ein Drittel von ihr übrig blieb«, schreibt der Chronist Franz von Prag (um 1290–1362).
Ähnliches passierte an der Donau und der Elbe. Im französischen Rouen trat die Seine über die Ufer. Im Folgejahr 1343 wiederholte sich nach der Schneeschmelze das Hochwasser an der Elbe. Ende Juli traten erneut große Überschwemmungen vor allem im Südwesten und in der Rheingegend auf. »Von Schaffhausen bis zur Stadt Straßburg wurden alle Brücken des Rheins durch das Hochwasser und den stürmischen Lauf zerstört und fortgerissen, mit großem Verlust an Menschen«, schreibt etwa der Chronist Johannes von Winterthur (um 1300–1348/49), der zudem von intensiven Gewitterschauern im September berichtet, die eine »erstaunliche Vergrößerung des Bodensees, besonders um Lindau herum« verursachten.
Die Umweltkatastrophe nach der Naturkatastrophe
Diese Fluten und allen voran das Magdalenenhochwasser hatten zahllose Häuser, Brücken und andere Infrastrukturanlagen beschädigt oder zerstört sowie die hygienischen Bedingungen allgemein verschlechtert. Trinkwasserquellen blieben über längere Zeit verschmutzt, da sich das Hochwasser vielerorts erst nach Wochen zurückzog. All das ließ sich wiederaufbauen und reparieren oder es regelte sich mit der Zeit von allein. In vielen Gegenden allerdings mussten die Menschen feststellen, dass die Flut ein die Zeiten überdauerndes Opfer gefordert hatte.
Eine Chronik des Klosters Loccum westlich von Hannover berichtet davon. So vernichteten die Wassermassen nicht nur die Saaten und die Pflanzen auf den Feldern, heißt es darin, sondern »auch die Äcker selbst«. Als sich die Wassermassen aus dem heutigen Deutschland zurückzogen, lagen die von Bodenerosion betroffenen Ackerflächen im Mittel um etwa 25 Zentimeter tiefer als noch eine Woche zuvor.
Wer an die Landschaft im Mittelalter denkt, mag ausgedehnte Urwälder vor Augen haben und Dörfer wie Inseln in einem Meer aus Bäumen. Tatsächlich war der Waldbestand bis 1300 auf gerade einmal die Hälfte seines heutigen Werts geschrumpft: Nur 15 Prozent der Landesfläche war mit Wald bedeckt, erklärt der Geoarchäologe Hans-Rudolf Bork von der Universität Kiel.
Die wachsende Bevölkerung verlangte fortwährend nach mehr Ackerflächen. Man schuf sie, indem man rodete. Die Brennöfen der Töpfereien, die Eisenverhüttung, all das verschlang Unmengen von Brennholz. Und nicht zuletzt fällte man Bäume für eine gesteigerte Bautätigkeit und neue Wirtschaftszweige, etwa die Papierherstellung.
Ausgerechnet die fetten Jahre des Hochmittelalters mit ihrer expansiven Landnutzung hatten eine großflächige Bodenerosion in den Mittelgebirgen losgetreten.
Zur Versorgung der Bevölkerung ordnete man die Agrarlandschaft einem Effizienzgedanken unter, wie man ihn sonst eher mit dem 20. Jahrhundert in Verbindung bringt. Zum Beispiel durch die Dreizelgenwirtschaft. Der Flickenteppich zahlloser kleiner Äcker wurde aufgegeben zu Gunsten eines Systems aus jeweils drei Großfeldern (Zelgen), die sich von der Gemeinschaft einheitlich bewirtschaften ließen. In den modernsten Agrarflächen der Zeit konnten die Bauern hunderte Meter geradeaus pflügen, ehe sie sie zur Wende ansetzen mussten. Dadurch schrumpfte die Fläche, die als Raum für die Wende verloren ging. Auch brauchte es weniger Zugangswege. Die Landwirtschaft »erschloss damit die letzten Flächenressourcen«, schreibt der Historiker Rainer Schreg von der Universität Bamberg im Buch »Strategien zum Überleben«. »Die Öffnung der Flächen und Reduzierung von Hecken und Rainen dürfte Wind und Wetter größere Angriffsflächen geboten haben, so dass Bodenerosion im Spätmittelalter stark zunahm.«
Auf diese Ausgangslage traf das Magdalenenhochwasser. »Der Abfluss eines einzigen außergewöhnlich starken Niederschlags kann weitaus mehr Boden abtragen als sämtliche übrigen, weniger intensiven Niederschläge eines ganzen Jahrhunderts«, erklären Hans-Rudolf Bork und Kollegen im Buch »Landschaftsentwicklung in Mitteleuropa«. Etwa 13 Milliarden Tonnen Boden seien in Deutschland durch das Hochwasser von 1342 verloren gegangen.
In den »Archiven der Landschaft«
Vor allem Hans-Rudolf Bork war es, der die starken Regenfälle von 1342 und das Ausmaß der mit ihr verbundenen Erosionsvorgänge in den »Archiven der Landschaft« sichtbar machte. Die ersten Hinweise fanden er und seine Kollegen bei Grabungen 1979 und 1980 in einer Lehmgrube in der Nähe des Dorfes Rüdershausen bei Göttingen. Unter einer recht homogenen Schicht aus Material, das durch Bodenerosion über Jahrhunderte hinweg vom benachbarten Acker den Hang hinuntergespült worden war, fand sich in etwa acht bis zehn Meter Tiefe »ein unerwartetes Chaos unterschiedlicher Materialien«, schreibt Bork in einem Aufsatz 2014. Hier lagen mehrere tonnenschwere Blöcke aus Löss und Braunerde, darunter dann kleinere Brocken, die mitunter zwei verschiedene Farben aufwiesen. Die Zwischenräume füllten »hunderte dünne Schichten (…), die von fließendem Wasser abgelagert worden waren«. Der Geomorphologe liefert eine Erklärung, wie diese Schichtlage entstanden ist: »Der extrem starke Abfluss eines Starkniederschlags hatte eine mehr als zehn Meter tiefe Schlucht in den Löss eingerissen. Die Wände der Schlucht hingen teilweise über, waren instabil und brachen bald nach dem Starkregen ein.« Die zweifarbigen Blöcke gehörten zur ursprünglichen Oberfläche des Ackerbodens. Niederschläge in den Monaten nach der Katastrophe hatten schließlich das feine Material in die Zwischenräume gespült.
Die fetten Jahre des Hochmittelalters hatten der Bodenerosion Tür und Tor geöffnet
All diese Formen wären so nicht erhalten geblieben, wenn der gesamte Prozess Jahre gedauert hätte. Neben der Schlucht fanden sich weitere Spuren, die auf das gleiche Ereignis zurückzuführen waren. Die im Mittelalter weit verbreiteten Wölbäcker, bei denen sich vom Pflug aufgeworfene Dämme mit Furchen wie in einem Streifenmuster abwechselten, waren wohl besonders anfällig. In den Einschnitten rauschte das Wasser hinab und riss dabei große Mengen Erde mit sich. Anhand von Keramikfunden konnten Bork und sein Team die entscheidende Schicht auf das 14. oder frühe 15. Jahrhundert datieren.
Bodenerosion ohnegleichen
Weitere Funde dieser Art bestätigten den Verdacht, dass ein einziges Starkregenereignis für das Schluchtenreißen verantwortlich war. In einer aufgegebenen Siedlung, der Wüstung Drudewenshusen, ergaben Grabungen, dass das Wasser den Boden der anliegenden etwa 65 Hektar umfassenden Nutzfläche fast vollständig abgetragen hatte. Die hier gefundene Keramik datierte der Mittelalterarchäologe Hans-Georg Stephan von der Universität Halle-Wittenberg zwischen 1310 und 1340 – also in die unmittelbare zeitliche Nähe zur Magdalenenflut.
Geoarchäologen, die nach Spuren der Tragödie suchten, wurden nicht nur in Drudewenshusen fündig. Die ehemalige Ortschaft Winnefeld im Waldgebiet Solling des Weserberglands zum Beispiel verlor an das Hochwasser Häuser, Brücken, eine Straße und fruchtbaren Boden, wie Grabungen zeigten. Möglicherweise verließen die Einwohner das Dorf deswegen kurze Zeit später. Auch im Spessart und im Frankenwald hat sich das Regenwasser in die Landschaft gekerbt.
Hier zeigt sich ein Muster: Weiter nördlich waren die Ackerflächen eher auf ebenem Gelände angelegt. In den Mittelgebirgen jedoch beackerten die Menschen die gerodeten Hänge. Das rächte sich nun. »Im Verlauf von wenigen Stunden oder Tagen hatten Teile des Spessarts und des Sollings ihre ursprüngliche Furchtbarkeit verloren; sie wurden danach zwangsläufig zu Waldlandschaften, die bis in das 18. Jahrhundert von Eichen und Buchen dominiert waren«, fasst der Kieler Experte Bork gemeinsam mit Arno Beyer und Annegret Kranz in einem Aufsatz von 2011 zusammen. An den zahlreichen Standorten in den deutschen Mittelgebirgen, an denen seit 1342 steinreiche Schuttdecken an der Oberfläche liegen, werde erst in etwa 100 000 Jahren wieder ertragreicher Ackerbau möglich sein, wenn sich Löss abgelagert und neuer Boden gebildet habe.
Hochwasserschutz wird zur Chefsache
Hinweise auf ausbleibende Ernten und Nahrungsmittelknappheit finden sich spätestens im Folgejahr 1343. Johannes von Winterthur berichtet von »ungeheurer Theuerung« in diesem Jahr, weshalb Menschen im Südwesten Deutschlands Hafermehl mit gemahlenem Holz streckten oder Flechten zu Mehl verarbeiteten und daraus Brot buken. Im Herbst und Winter 1343/44 wurden »in vielen Gegenden Deutschlands« Menschen »von des Hungers Stachel gequält. Denn selbiges Jahr war gänzlich unfruchtbar und brachte weder Baumfrüchte noch Rüben noch Kohl in jenem Umkreise hervor.«
Weitere Indizien finden Historiker vor allem zwischen den Zeilen der Schriftquellen. »Wir haben auffällig viele Regulierungsmaßnahmen im zeitlichen Umfeld, die sich als Reaktionen auf konkrete Mangellagen deuten lassen«, erklärt der Historiker Martin Bauch. Ein im April 1343 erlassener Teil der Würzburger Polizeisätze beispielsweise regelte Preis und Qualität von Backwaren. Vorgeschriebene Höchstwerte deckelten zudem die Preise von Mehl aus Weizen und Hafer. Die Stadt Gartz an der Oder rief bereits 1342 ihre Bevölkerung dazu auf, Vorräte anzulegen, regulierte die Ausfuhr von Mehl und Getreide und verbot Spekulationen mit diesen Gütern.
Neben den Versorgungsengpässen folgten auf die Katastrophe aber auch konstruktive Initiativen. Die Einwohner bauten ihre Städte wieder auf und konzentrierten sich auf Maßnahmen zum Hochwasserschutz. Unterstützt vom Kaiser, dem Wittelsbacher Ludwig der Bayer (1282/86–1347), verlegten beispielsweise die Benediktiner des Klosters Oberalteich in der Nähe von Straubing den Lauf der Donau durch einen Flussdurchstich, um nicht zuletzt durch immensen finanziellen Aufwand eine erneute Überschwemmung ihrer Gebäude zu verhindern. Laut Martin Bauch handelt es sich hierbei um die »erste bekannte Flussbegradigung der Donau«. Im Engagement des Kaisers sieht der Historiker zudem »im Bereich des Hochwasserschutzes zaghafte Anfänge obrigkeitlicher Daseinsvorsorge jenseits lokaler Zuständigkeiten«. Andernorts, etwa in Geldern, organisierten Landesherren Deichbauinitiativen und -gemeinschaften.
Welche langfristigen Folgen das Hochwasser und vor allem der Verlust an fruchtbarem Boden hatte, lässt sich jedoch nur schwer abschätzen. Zum einen blieb das Wetter auch in den folgenden Jahren schlecht – die Sommer 1346 und 1347 gehören zu den kältesten des ganzen Jahrhunderts. Zum anderen stand die nächste Katastrophe bereits bevor: Im Jahr 1347 erreichte die Pest Mitteleuropa. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen ihrem Ausbruch und der Magdalenenflut wurde zwar konstruiert, er lässt sich aber nicht stichhaltig belegen. Eines dürfte jedoch klar sein: Der Erreger, das Bakterium Yersinia pestis, traf auf eine von Wetterextremen und Lebensmittelknappheit geschwächte Bevölkerung. Etwa ein Drittel der Einwohner Europas, schätzen Fachleute, fiel dem Schwarzen Tod bis Mitte der 1350er Jahre zum Opfer.
Bleib weg vom Wasser!
Egal ob vom Menschen ausgelöst oder durch natürliche Vorgänge verursacht – ein Klimawandel bringt Wetterextreme. Das zeigte zuletzt der Dürresommer 2022, das zeigt aber auch das Hochwasser 1342. Kann sich also eine Flutkatastrophe wie das Magdalenenhochwasser heute wiederholen? »Klimatologisch ist ein solches Niederschlagsereignis genauso wieder möglich, an den gleichen Orten mit der gleichen Abfolge«, sagt Klimaforscher Rüdiger Glaser. »Es könnte sogar noch extremer ausfallen, da die erwärmte Atmosphäre heute mehr Wasserdampf aufnehmen und transportieren kann.« Und auch Ackerboden könnte bei einem solchen Ereignis erneut in großem Maßstab verloren gehen. »Im Vergleich zu damals haben wir zwar mehr bewaldete Flächen und auch Maßnahmen des Hochwasserschutzes wie Rückhaltebecken und Reservoirs zeigen eine Wirkung, aber sicherlich wäre eine solche Flut heute noch immer ein Ereignis signifikanter Erosivität«, sagt Glaser.
Der Geograf plädiert deshalb dafür, historische Hochwasser wie die Magdalenenflut bei heutigen Risikoabschätzungen stärker zu berücksichtigen. Im Ahrtal habe man etwa übersehen, dass es bereits 1804 und 1910 ähnliche Katastrophen gegeben hat wie 2021, und die gleichen Stellen bebaut. »Wir müssen wieder lernen, diese Hochwassersituationen ernster zu nehmen. Maßnahmen wie Dämme und Spundwände sind keine hundertprozentige Garantie vor Schäden.« Die beste Absicherung sei immer noch, in einem normalen Rahmen Abstand zu halten und die Dichte der Bebauung und die Versiegelung des Bodens zu reduzieren. Damals wie heute gelte die einfache Grundformel: Bleib weg vom Wasser!
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