Orientierung: Magnetsinneszellen führten in die Irre
Tauben (Columbia livia) gelten als Meister der Navigation, die auch aus großer Ferne wieder punktgenau zum heimatlichen Schlag zurückfinden können – eine Leistung, die vielfach auf ihren Magnetsinn zurückgeführt wird, mit dessen Hilfe sie sich am Erdmagnetfeld orientieren können sollen. Als Sitz dieser Wahrnehmungsfähigkeit wurden bislang stark eisenhaltige Nervenzellen oberhalb des Schnabelansatzes der Tiere betrachtet, doch war dies womöglich eine drastische Fehleinschätzung, berichten David Keays vom Institut für Molekulare Pathologie in Wien und seine Kollegen.
Ihre Studie zeige, dass diese eisenreichen Zellen tatsächlich spezialisierte weiße Blutkörperchen sind, die als Makrophagen eine wichtige Rolle im Immunsystem spielen, so die Forscher. "Wir hatten gehofft, dass wir magnetische Nervenzellen finden. Stattdessen entdeckten wir an deren Stelle tausende Fresszellen, die jeweils mit winzigsten Eisenkugeln gefüllt waren", erklärt Studienleiter Keays. Diese Leukozyten helfen dem Körper zwar, Infektionen zu bekämpfen, und sie recyceln Eisen aus abgestorbenen roten Blutkörperchen, doch tragen sie keinesfalls zur Sinneswahrnehmung bei: Sie lassen sich nicht erregen, weshalb sie auch keine elektrischen Signale erzeugen können, die wiederum von den Nerven ans Gehirn übermittelt würden.
Die Biologen hatten sich systematisch mit den Zellen des oberen Schnabelansatzes der Tauben auseinandergesetzt und mit Hilfe von Magnetresonanz- und Computertomografie die Verteilung der eisenreichen Zellen kartiert. Im Gegensatz zu bisherigen Erwartungen verteilten sich diese nicht gleichmäßig über den untersuchten Bereich, wie es für den Magnetsinn angenommen worden war. Stattdessen traten die Zellen in Clustern mit unterschiedlicher Bestückung auf. Eine genauere Untersuchung zeigte anschließend, dass neben den Eisenkügelchen typische Bestandteile von Makrophagen vorhanden waren, etwa Hämosiderin (ein wasserunlöslicher Komplex aus Eisen und verschiedenen Proteinen) oder Filopodien, die als Fangarme Keime zur Zelle ziehen. Ähnliche Zellen entdeckte Keays' Team anschließend an verschiedenen Stellen im Taubenkörper.
Da sich Fresszellen gerne in der Schleimhaut der Atemwegsorgane tummeln, ist ihre Anwesenheit im Nasenbereich der Vögel nicht einmal sonderlich überraschend. Eines der untersuchten Tiere litt auch unter einer Entzündung an dieser Stelle: Der Infektionsherd war von etwa 80 000 eisenhaltigen Makrophagen umgeben, wie die Forscher herausfanden. Ihre Studie kommt deshalb zum Schluss, dass der Magnetsinn der Vögel mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht im Bereich des oberen Schnabels lokalisiert ist, sondern an anderer Stelle sitzen muss. Als Alternative verweisen sie auf das olfaktorische Epithel, ein Drüsengewebe in der Nasenhöhle, das zum Beispiel bei der Regenbogenforelle als Sitz des Magnetsinns in Betracht gezogen wird. "Das Geheimnis, wie Tiere Magnetfelder wahrnehmen, wurde nun noch geheimnisvoller", meint Keays abschließend.
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