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Ökologie: Mahl-Zeit

Um den weichen Kern von Muscheln zu verspeisen, gilt es für Meeresschnecken zunächst die harte Schale zu knacken. Ob sie sich langsam oder schnell zu ihrer Beute durchbohren, hängt offenbar entscheidend von der Anzahl der Feinde und Konkurrenten ab.
<i>Chicoreus</i>-Schnecke
Viele Wege führen zum Ziel – auch für die "gepanzerten" Bewohner von Seegras-Lebensräumen im nordöstlichen Golf von Mexiko: Die zu den Stachelschnecken zählenden Arten Chicoreus dilectus und Phyllonotus pomum verzehren schmackhafte Chione-elevata-Muscheln. Zu deren Innenleben stoßen sie vor, indem sie langsam ein Loch in die Mitte der dicken Schalenwand bohren. Ein mühsames Unterfangen, das oftmals eine ganze Woche in Anspruch nimmt. Und diese langsame Nahrungsbeschaffung ist mit Risiken behaftet: Während ihrer Bohrtätigkeit laufen die Tiere Gefahr, sich die Beute von hungrigen Mitbewerbern wegschnappen zu lassen. Oder gar selbst Fischen und Krabben zum Opfer zu fallen.

Schnecke mit Beute | Je nach der Anzahl der Konkurrenten durchbohren räuberische Seeschnecken entweder langsam die dickere Schalenwand von Muscheln oder verschaffen sich schneller am dünneren Schalenrand Zugang zu dem weichen Kern des Opfers.
Wesentlich schneller können sich die Stachelschnecken am dünneren Schalenrand zu den Muschelinnereien vorarbeiten. Mit dieser Bohrtechnik reduzieren sie den zeitlichen Aufwand um den Faktor drei – und vermindern gleichzeitig das Risiko, ihr Futter oder Leben zu verlieren. Dieser Aspekt sollte am wichtigsten sein, wenn Feinde und Konkurrenten zahlreich vorhanden sind. Doch auch diese Methode hat einen Haken: Klappt die Muschel ihre Schalenhälften zu, amputiert sie womöglich den Futterrüssel, die so genannte Proboscis, der Meeresschnecken. Folglich sollten die Räuber diese Strategie vermeiden, wenn die Diebstahls- und Lebensgefahr gering ist.

Im Labor beleuchten Gregory Dietl von der University of North Carolina und seine Kollegen genauer, wie sich die Anwesenheit von Mitbewerbern auf die Bohransatzpunkte der Stachelschnecken auswirkt. Als sie Chicoreus-Individuen einer Konkurrenzsituation aussetzten, attackierten die Versuchstiere ihre Opfer in 37,5 Prozent der Fälle am Schalenrand. Befand sich hingegen kein Artgenosse in der Nähe, so wandten sie diese schnellere Methode nur äußerst selten an. 97,4 Prozent der Angriffe zielten vielmehr auf die dickere Schalenwand ab.

Chicoreus-Schnecke | Die zu den Stachelschnecken zählende Art Chicoreus dilectus (hier abgebildet ein Chicoreus-Fossil) bohrt ein Loch in Muschelschalen, um an das Innenleben zu gelangen.
Wie die Experimente belegen, wählen die Schnecken die zeitintensive Bohrtechnik nur, wenn das Risiko von "Mitessern" gering ist. "Sie verfügen über denselben Genpool, doch man kann ihnen verschiedene Verhaltensweisen entlocken, abhängig von der Konkurrenz in der Umgebung", hebt Geerat Vermeij aus dem Forscherteam hervor.

Aber welche Strategie wandten die "Seeräuber" bevorzugt in der Vergangenheit an? Zwangen auch hier zahlreiche Feinde und Futterneider die Schnecken zu Vorsichtsmaßnahmen bei der Nahrungsbeschaffung? Um dieser Fragestellung nachzugehen, sammelten die Wissenschaftler Beweismaterial aus dem frühen Pliozän bis zur heutigen Zeit, an dem Chicoreus- und Phyllonotus-Individuen eventuell ihre Fraßspuren hinterlassen hatten. Insgesamt 11429 fossile und 5328 "moderne" Schalen von Chione-Muscheln flossen in die Untersuchung ein.

Das Ergebnis: In Muschelresten aus dem mittleren bis späten Pliozän identifizierten die Forscher insgesamt 881 vollständige Bohrlöcher, von denen sich 50 – dies entspricht 5,7 Prozent – am Schalenrand befanden. 94,3 Prozent der Schnecken-Angriffe setzten an der dickeren Schalenwand an. Im Gegensatz dazu wies keine einzige Muschel aus dem frühen und mittleren Pleistozän oder aus der Gegenwart Bohrgänge am dünneren Schalenrand auf. Alle der 1142 hier vorgefundenen Löcher klafften in der Schalenmitte. Um die Zeit des frühen Pleistozäns verschwinden demnach die Spuren der schnellen Bohrtechnik gänzlich – nahezu zwei Millionen Jahre vor jeder menschlichen Störung der Seegras-Ökosysteme.

Was könnte die Schnecken zu ihrer Verhaltensänderung bewogen haben? Die eingestellten Bohrungen am Schalenrand fallen zeitlich mit einem Massensterben im westlichen Atlantik am Ende des Pliozäns vor 1,7 Millionen Jahren zusammen, erläutern die Forscher. Schätzungsweise 70 Prozent der Arten fielen dieser regionalen Katastrophe zum Opfer, darunter vermutlich auch Feinde und Konkurrenten der Meeresschnecken.

Folglich scheint sich das Gleichgewicht von einer großen zu einer geringen Zahl an Mitbewerbern verschoben zu haben, sodass die Stachelschnecken zu einer sicheren, wenn auch gemächlicheren Beschaffung ihrer Mahlzeiten übergehen konnten. Und wie die Ergebnisse nahe legen, hat sich die Intensität des Wettbewerbs bislang nicht wieder auf das Niveau vor dem Massensterben eingependelt – obwohl seitdem eine lange Zeitspanne verstrichen ist.

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