Teilchenphysik: Lang vermisste Majorana-Teilchen aufgespürt
Schon seit Jahrzehnten sind Physiker den schwer zu fassenden Majorana-Teilchen auf der Spur – bisher jedoch vergeblich. Diese nach dem italienischen Theoretiker Ettore Majorana benannten Partikel sind zugleich ihre eigenen Antiteilchen. Dadurch besitzen sie besondere Eigenschaften und müssen etwa elektrisch neutral sein. Der 1906 geborene Majorana fand dies 1937 bei quantenmechanischen Kalkulationen heraus – nur ein Jahr vor seinem mysteriösen Verschwinden, das bis heute ungeklärt ist.
Doch nicht nur das Leben, auch das Werk des genialen Theoretikers stellt die Wissenschaft bis heute vor Rätsel. Viele Forscher haben Majoranas Ideen aufgegriffen und sich auf die Suche nach den von ihm postulierten Teilchen gemacht. Denn obwohl Majorana-Teilchen bislang nur als Spekulation existieren, sind die mit ihnen verbundenen mathematischen Modelle sehr allgemein und könnten den Weg für eine künftige Physik weisen. Manche Forscher vermuten sogar, Majorana-Teilchen könnten hinter der unbekannten Dunklen Materie stecken. Eventuell sind auch die außerordentlich flüchtigen Neutrinos Majorana-Teilchen. Mehrere hochpräzise Experimente gehen derzeit dieser Möglichkeit nach. Doch bislang sind alle Ergebnisse negativ.
Aber auch, wenn die Teilchenphysiker noch keine Majorana-Teilchen präsentieren konnten, bleiben ihre Kollegen von der Festkörperphysik dennoch zuversichtlich. Denn vor einigen Jahren konnten Rechnungen zeigen, wie sich unter ganz bestimmten Bedingungen Materialien konstruieren lassen, die Zustände mit allen Eigenschaften eines Majorana-Teilchens hervorbringen. Es handelt sich hierbei zwar nicht um neu entdeckte Teilchen wie etwa das Higgs-Boson. Aber die Quantenzustände dieser Materialien erfüllen die mathematischen Gleichungen, die Majorana aufgestellt hatte. Die Physiker sprechen deshalb auch von "Quasiteilchen". Einige Arbeitsgruppen weltweit suchen nach diesen speziellen Zuständen; ein eindeutiges Signal stand bislang jedoch aus.
Ali Yazdani und seine Kollegen von der Princeton University fanden nun eine Möglichkeit, ein solches Majorana-Quasiteilchen herzustellen. Auf einem ultrareinen Einkristall aus Blei schieden sie winzige Fäden aus Eisen ab, nur ein Atom breit und drei Atome hoch. Mit Hilfe eines über mehrere Jahre konzipierten und gebauten Rastertunnelmikroskops – zwei Stockwerke hoch, mit Hochvakuum arbeitend und extrem erschütterungsfrei aufgehängt – konnten sie die Oberfläche des Kristalls mit höchster Präzision abtasten und ausmessen. "Mit unserem Rastertunnelmikroskop können wir magnetische Felder aufzeichnen wie bei einer Festplatte, nur eben in atomarem Maßstab", erklärt Yazdani.
Wie sich dabei zeigte, verbanden sich bei extrem tiefen Temperaturen die Eigenschaften des Bleikristalls und der dünnen Eisendrähte auf eine besondere Weise. Denn bei nur gut einem Grad über dem absoluten Nullpunkt ist Blei supraleitend – eine Eigenschaft, die sich mit dem Ferromagnetismus des Eisens eigentlich schlecht verträgt. Starke Magnetfelder stören normalerweise die Supraleitfähigkeit. Da der Eisendraht aber nur atomdünn war, bildeten sich an seinen Enden stattdessen besondere Quantenzustände, die die Wissenschaftler als die gesuchten Majorana-Quasiteilchen identifizieren konnten.
Dank umfangreicher Messungen konnten sie ausschließen, dass es sich um andere Effekte mit ähnlicher Wirkung handele, berichten die Wissenschaftler. Interessanterweise benötigte das Experiment keine exotischen Elemente wie etwa Seltene Erden, die man häufig für Supraleitungsphänomene braucht. "Es ist erstaunlich, wie einfach die Zutaten sind", so Yazdani. "Es sind nur Blei und Eisen."
Solche tiefgekühlten Majorana-Teilchen könnten nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern etwa auch für die Entwicklung von Quantencomputern interessant sein. Ihr Quantenzustand ist angenehm stabil und lässt sich prinzipiell gut mit anderen verschalten.
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