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Wissenschaftsgeschichte: Malpunkt und Gleichheitszeichen

In der Renaissance hatten es die indischen Zahlen und ihr überlegenes Stellenwertsystem endlich bis ins mathematisch rückständige Europa geschafft. Doch gerechnet wurde weiterhin mit Steinchen, Rechenbrett und Abakus. Und selbst einfache Aufgaben erforderten wortreiche Beschreibungen. Es fehlte eben noch das Salz in der Kalkulationssuppe: die Rechenzeichen.
Zahlenformate
Tradition bewahrt wertvolles Wissen ... und ist nur schwer auszurotten. Selbst der zum Sprichwort gewordene Adam Ries ("nach Adam Riese") folgte in seiner Erfurter Rechenschule zunächst noch der althergebrachten Methode des Kalkulierens. Wer addieren, subtrahieren oder irgendwasieren wollte, zog in deutschen Landen zu Beginn des 16. Jahrhunderts seine Rechensteinchen – die calculi – über ein Linienbrett und hielt nur das Ergebnis schriftlich fest. Ganz wie Ries es in seinem 1518 erschienenen Buch "Rechnung auff der linihen" beschrieben hat.

Und dieses Verfahren war nicht übel. Seine Meister vollbrachten damit halbe mathematische Wunder – wie etwa der italienische Arzt und Mathematiker Gerolamo Cardano, dessen Name uns immer noch in der kardanischen Aufhängung sowie der Kardanwelle begegnet. Auf mathematischem Gebiet fand Cardano Lösungen für Gleichungen dritten (x3) und vierten Grades (x4) – obwohl er sich beharrlich weigerte, die Null in seinen Rechnungen zu verwenden. Überhaupt schien Starrköpfigkeit eine der hervorstechendsten Eigenschaften des Mannes zu sein: Davon überzeugt, den Zeitpunkt seines eigenen Todes vorausberechnen zu können, musste Cardano am betreffenden Datum mit 74 Jahren feststellen, dass er unheilbar gesund war. In seinen Augen ein offensichtlicher Irrtum der Natur, den er umgehend durch eigene Hand korrigierte und dadurch gewaltsam Recht behielt.

Algoristen gegen Abakisten | In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts fand der Wechsel vom Rechnen mit Rechentafeln zum schriftlichen Rechnen statt, wie dieser Holzschnitt aus dem Jahr 1508 darstellt.
Der Wechsel vom Rechnen durch Schiebung zum Rechnen durch Schreiben fand zum Glück friedlicher statt. Zwar ließen sich einfache Aufgaben mit dem Rechenbrett sehr schnell lösen, aber die beschränkte Anzahl der Steinchen führte bei komplexen Problemen zu Schwierigkeiten. Die Genauigkeit reichte einfach nicht aus, um beispielsweise Zins- und Zinseszinsrechnungen über längere Zeiträume zu verfolgen. Danach verlangte jedoch der Handel, und das lieferte die schriftliche Rechnung mit ihren beliebig vielen Nachkommastellen. Adam Ries erkannte den Umschwung rechtzeitig und veröffentlichte 1522 sein neues Buch "Rechnung auff der linihen vnd federn" – in deutscher Sprache, die Handwerker und Kaufleute verstanden und dem Werk über einhundert Auflagen bescherte.

Die "Sache" mit der Notation

Nun ist ein Rechenbuch kein Roman – auch wenn in der Renaissance auf dem ersten Blick kaum ein Unterschied festzustellen war. Denn Rechenschritte, Gleichungen, Funktionen ... alles wurde zunächst wortreich beschrieben, was die Mathematik nicht unbedingt verständlicher machte. Und was ziemlich lange dauerte. Mal eben eine Nebenrechnung durchführen oder einen Schuldenstand ermitteln, war so nicht möglich. Darum entwickelten Berufsrechner in ganz Europa ihre persönlichen Kurzschriften, in denen sie mathematische Operationen mit einfachen Symbolen kodierten. Infolgedessen kursierten bald ungefähr so viele Schreibweisen, wie es Mathematiker gab. So viel zu dem Aberglauben, in der Mathematik herrsche Ordnung und Eindeutigkeit.

Besonders ernsthaft betrieben die Notation die Anhänger des Coss. Das Wort leitet sich vom italienischen Begriff "Regula de la Cosa" ab, der frühen Variante unserer Algebra. Aus dem cosa, das "Ding" oder "Sache" bedeutete, wurde im deutschen Sprachraum "Coss". Erklärte Absicht der Cossisten war es, die Wortschwälle aus der Mathematik zu verbannen und durch einheitliche Rechenzeichen zu ersetzen. Das Ziel rückte mit der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern in greifbare Nähe, denn endlich konnte jeder Interessierte die Arbeiten seiner Kollegen mit nur wenigen Jahren Verspätung verfolgen. Die Mathematik war nun beinahe in Echtzeit international.

"+" und "-"

Zunächst griffen die Mathematiker lediglich auf, was der Handel als kräftige Triebkraft der Rechenkunst bereits entwickelt hatte. Besonders "plus" und "minus" lagen den Kaufleuten am Herzen. Ursprünglich wurden die beiden Worte in Rechnungen voll ausgeschrieben, doch etablierten sich früh die Abkürzungen "a" und "m", jeweils mit einem waagerechten Strich über dem Buchstaben zum Zeichen, dass es sich um eine Rechenvorschrift handelt.

Der Faulheit war damit jedoch keinesfalls Genüge getan. Irgendwie gingen die Buchstaben am Ende des 15. Jahrhunderts ganz verloren, und das "minus" hatte seine endgültige Gestalt als einfacher Strich "-". Der durfte natürlich nicht ebenfalls für das Plus stehen, und so strich man womöglich den Strich noch einmal durch, was ein Kreuz ergab, eben "+".

Allerdings ist dieser Werdegang nicht durch entsprechende Dokumente gesichert. Vielleicht schälte sich das "+" auch aus dem "t" des lateinischen Worts et. Jedenfalls sind beide Symbole in dem 1489 erschienenen Buch des Leipziger Rechenmeisters Johannes Widmann "Behende vnd hubsche Rechnung auf allen kauffmanschafft" beschrieben.

"="

Weit weniger dunkel erscheint die Herkunft des Gleichheitszeichens "=", auch wenn die beiden Striche beinahe von einem anderen Symbol ausgestochen worden wären. Im Mittelalter drückte man Gleichheit noch mit dem lateinischen aequalis oder dessen Kurzform "aeq." aus. Reduziert auf ein "æ" wandelte es sich schließlich zum "∝", das wir heutzutage für Proportionalität verwenden. Im Europa des 17. Jahrhunderts nutzte es aber beispielsweise der französische Philosoph, Naturwissenschaftler und Mathematiker René Descartes für Gleichheit.

Die parallelen Striche mussten zunächst einmal die britische Insel erobern. Der Waliser Robert Recorde hatte sie 1557 in seinem Buch "The Whetstone of Witte" ("Der Wetzstein des Wissens") eingeführt, weil sich seiner Ansicht nach nichts so sehr gleichen konnte wie zwei parallele Linien der gleichen Länge. Weil Recorde wie Ries in der Sprache des Volks schrieb, prägte er die mathematische Bildung seines Landes. Der Einsatz zahlte sich allerdings nicht aus, denn 1558 starb der Mathematiker im Schuldgefängnis.

Von seinem Gleichheitszeichen erfuhr jedoch der einflussreiche Gottfried Wilhelm Leibniz, der vermutlich die Werbetrommel für das "=" rührte, bis es sich schließlich auch auf dem Kontinent durchgesetzt hatte.

"x", "." und "*"

Der Durchbruch des Gleichheitszeichens ist spät erfolgt – bei der Multiplikation herrscht hingegen nach wie vor ein symbolischer Dreikampf. Das Kreuz "x", das unangefochten einen Platz auf den Tasten von Taschenrechnern behauptet, ist wahrscheinlich eine Erfindung des Engländers William Oughtred. Ihm wird die Autorenschaft an einem Anhang des mathematischen Textes "Descriptio" des schottischen Universalgelehrten John Napier aus dem Jahr 1618 nachgesagt, in dem das "x" zum ersten Mal als Multiplikationsoperator auftritt. Auch in seinem eigenen Werk "Clavis Mathematicae" von 1631 verwendet Oughtred sein "x".

Bei Leibniz stieß es jedoch auf wenig Zuspruch, da es zu leicht mit dem Buchstaben x verwechselt werden kann. Er bevorzugte einen Punkt, der ein wenig von der Grundlinie nach oben verschoben war. Ob er diese Symbolik selbst erdacht oder von dem Engländer Thomas Harriot übernommen hat, der den Punkt gelegentlich und wohl nicht sehr systematisch nutzte, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall entwickelte sich der "." mit Leibniz' Unterstützung letztlich zum offiziellen Multiplikationszeichen.

Doch dann sollte eine unvollkommene Rechenmaschine auftauchen, deren Zeichensatz so eingeschränkt war, dass es keinen Platz für den Malpunkt gab. Genau diese paradoxe Situation entstand im 20. Jahrhundert, als dem ASCII-Satz früher Computer (wörtlich sind dies professionelle "Rechner") ausgerechnet der "." fehlte. Aus unerfindlichen Gründen gab es jedoch das Sternchen "*", und dies hatte bereits 1659 der Schweizer Johannes Rahn in seiner "Teutschen Algebra" für die Multiplikation vorgeschlagen. Flugs entstaubten die modernen Informatiker das beinahe schon vergessene Zeichen und setzten es auf die Computertastatur – als geschütztes Rückzugsgebiet antiker Operatoren.

":", "/" und "÷"

Einen ähnlichen Konkurrenzkampf wie bei der Multiplikation erleben wir bei der Division. Abermals entschied Leibniz sich für den Punkt – diesmal in zweifacher Ausführung als Doppelpunkt ":". In einem 1684 erschienenen Beitrag für die erste wissenschaftliche Zeitschrift Deutschlands, die "Acta eruditorum", bezeichnete er damit sowohl Verhältnisse wie auch Divisionen.

Der ärgste Widersacher stammt erneut von Oughtred. In seiner "Clavis Mathematicae" feierte der Schrägstrich "/" seinen Einstand. Neben den Informatikern – deren ASCII-Satz eigentlich den Doppelpunkt enthielt, aber irgendwie scheint das Computerlager Leibniz nicht zu mögen – nutzen auch Drucker und Setzer diese Variante gerne, wenn sie Terme mitten im Text unterbringen müssen. Denn bei 4/5 kommt niemand auf die Idee, das Rechensymbol mit dem Satzzeichen zu verwechseln, wie es bei 4:5 passieren könnte.

Somit hat die Insel vor Europa eigentlich ein ureigenes Divisionssymbol. Da verwundert es, dass mitunter das "÷" als "englisches Geteiltzeichen" betitelt wird – denn "÷" ist eine Schweizer Erfindung. Der schon erwähnte Johannes Rahn teilte in seiner "Teutschen Algebra" so und dürfte erfreut sein, dass sein Zeichen auf jedem Taschenrechner zu finden ist.

Formeln machen das Rechnen leichter

Der Traum der Cossisten, mit einheitlichen Symbolen eine kompakte mathematische Notation zu ermöglichen, ist mittlerweile längst Realität geworden. Und sie hatten recht: Mit der neuen Schreibweise ist die Mathematik leichter verständlich geworden.

Sie glauben das nicht? Dann werfen wir doch zum Test einen schnellen Blick auf den altbewährten Satz des Pythagoras:

Die Summe der Quadrate der Katheten ist gleich dem Quadrat der Hypothenuse (in Worten)

a2+b2=c2 (als Formel)

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