Mammut-DNA: Erstmals Chromosomen aus der Eiszeit rekonstruiert
Erstmals ist es Forschern gelungen, die dreidimensionale Struktur des Erbguts einer längst ausgestorbenen Tierart zu bestimmen. Dazu nahmen sie Proben von einem 52 000 Jahre alten Mammut. Der sibirische Permafrost hatte dessen Körper in gefriergetrocknetem Zustand bis in unsere Zeit konserviert. Wie sich nun zeigte, blieb dabei nicht nur die für Mammuts charakteristische Vokuhila-Frisur intakt, sondern auch Teile der DNA-Struktur, was nun sogar Rückschlüsse auf die einstige Genaktivität in den Zellen des Tiers zuließ.
Alte DNA zerfällt normalerweise zu kurzen Fragmenten, die sich über den gesamten Zellkern verteilen. Diese Bruchstücke liefern vielfältige Informationen über ausgestorbene Menschengruppen; sie verraten, wann Pferde domestiziert wurden oder wieso der Höhlenbär ausstarb. Sie liegen jedoch wie ein Stapel kunterbunt durchmischter Buchseiten vor. Das Team hinter der aktuellen Studie gewann aus den Mammutzellen hingegen Erbgutinformationen, die eher einem sorgfältig geführten Ordner ähneln, mitsamt etwaigen Lesezeichen.
Seine Ergebnisse publizierte es nun in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts »Cell«. Von einer erstaunlichen Studie spricht Adrian Lister, ein Paläontologe am Natural History Museum in London, der nicht an der Arbeit beteiligt war. »Sie eröffnet ganz neue Wege, um die Biologie ausgestorbener Arten zu erforschen.«
Viele Fachleute hielten es bislang für wenig wahrscheinlich, dass solche DNA-Strukturen in Fossilien überhaupt erhalten bleiben. Bei lebenden Organismen drehen und winden sich DNA-Moleküle, wenn bestimmte Gene aktiviert und andere deaktiviert werden. Nach dem Tod beginnen diese Moleküle jedoch zu zerfallen und in die Umgebung zu diffundieren. Auch in den Zellen des Mammuts zerfiel die DNA, aber die Bruchstücke blieben an Ort und Stelle, so dass Strukturen von gerade einmal 50 Nanometer Durchmesser bewahrt blieben.
Die Zellen stammten aus der Haut am Ohr des Mammuts. Das Team vermutet, dass sie deshalb so gut erhalten blieben, weil die Haut dort eine spontane Gefriertrocknung durchlief. Kurz nach dem Tod des Tiers bedeckte Permafrost seinen Körper. Die niedrige Temperatur der Tundra verlangsamte die Bewegung der Moleküle, gleichzeitig entzog die trockene Umgebungsluft der Haut das Wasser. Dadurch stand keine Flüssigkeit mehr zur Verfügung, durch die sich die DNA-Fragmente hätten bewegen können. Das verlieh der lederartigen Haut ihre verblüffende Haltbarkeit.
Haarige Genanalysen
Um die Anordnung der Chromosomen zu rekonstruieren, wandelten die Forschenden eine Technik namens Hi-C ab. Sie nutzt ein chemisches Verfahren, um Abschnitte zweier DNA-Stränge dauerhaft miteinander zu »verkleben«, sofern sie eng genug nebeneinanderliegen. Analysiert man anschließend die beiden Bindungspartner einer solchen Klebestelle, erhält man Informationen darüber, welcher DNA-Abschnitt in der 3-D-Struktur des Genoms neben welchem anderen DNA-Abschnitt liegt. Selbst wenn das gesamte Knäuel bei der Analyse zu Fragmenten zerfällt, lassen sich Rückschlüsse auf die ursprüngliche Anordnung ziehen.
Wie sich zeigte, ist das genetische Material des Wollhaarmammuts (Mammuthus primigenius) in 28 Chromosomenpaaren organisiert – genauso vielen wie bei Asiatischen und Afrikanischen Elefanten, den nächsten lebenden Verwandten des Wollhaarmammuts. Dies war ein positives Zeichen dafür, dass die Methode zuverlässige Ergebnisse lieferte. Anschließend analysierte das Team die DNA-Sequenz selbst und suchte nach aufschlussreichen Unterschieden zum Erbgut des Asiatischen Elefanten. Dabei identifizierten die Forscher Hunderte von Genen, die in der Haut der beiden Arten jeweils anders funktionierten. Im Speziellen fanden sie eine Gruppe von Genen, die für die typische Haarpracht der Mammuts und deren Kältetoleranz mitverantwortlich war.
Ein Gen namens EGFR war zum Beispiel im Mammut abgeschaltet, im Asiatischen Elefanten ist es aktiv. Laut früheren Studien führt es bei Menschen und Schafen zu ungeordnetem Haarwuchs, wenn EGFR inaktiv ist. Vielleicht hatte es auf das Fell der Mammuts einen ähnlichen Einfluss. Anders als bei vielen anderen eiszeitlichen Mammutfossilien ist beim untersuchten Exemplar übrigens die lange Mähne größtenteils erhalten geblieben, weshalb es jetzt den Spitznamen »Chris Waddle« trägt: Der englische Fußballprofi stand in den 1980er Jahren mit ganz ähnlicher Vokuhila-Matte auf dem Platz wie einst das Mammut in der Tundra.
Von diesen mammutspezifischen Erkenntnissen abgesehen zeige die Studie auch, wie viel genetische Information noch in Fossilien enthalten sein könne, sagt Koautor Erez Lieberman Aiden, ein Genetiker am Baylor College of Medicine. Das Team testete sein Verfahren zugleich an einer Probe eines weiteren gut erhaltenen Mammuts, fand dabei allerdings nur Chromosomenstrukturen größeren Maßstabs, nicht die feinsten Details, die es bei »Chris Waddle« entdeckt hatte.
Auch andere Mumien könnten ihre DNA-Struktur preisgeben
Noch sind die Fachleute uneins, ob das 52 000 Jahre alte Exemplar eher die Ausnahme oder die Regel darstellt. Ganz unterschiedliche Bedingungen könnten die nötigen molekularen Bedingungen für eine derart exzellente Konservierung erzeugen. Dazu gehört auch die Mumifizierung durch Trocknung mittels heißer Luft. Das testete die Gruppe mit Rindfleischstücken, denen sie die unterschiedlichste Behandlung angedeihen ließ: Frische Proben durften drei Tage verrotten, danach hatten die Zellen ihre ursprüngliche Chromosomenstruktur bereits verloren. Anders sah es aus, als Fleisch mit Heißluft oder durch Gefriertrocknung dehydriert wurde. In diesen Proben behielt das Erbgut seine Struktur mindestens ein Jahr und wahrscheinlich länger – selbst dann noch, als die Wissenschaftler ihre Teststücke mit dem Auto überfuhren, Baseballbälle darauf abfeuerten und in Säure tauchten. (Nach einem Jahr im Labor sei man vielleicht ein bisschen übergeschnappt, räumt Aiden ein.)
Der Forscher hofft, dass nun andere Wissenschaftler selbst nach Proben suchen, die für diese Art von Untersuchung geeignet sein könnten. »Ich bin optimistisch, dass es da draußen noch viel mehr gibt«, sagt er. Das Team hat kalkuliert, dass das abgewandelte Hi-C-Protokoll sogar bei bis zu zwei Millionen Jahre alten Proben funktionieren könnte. Das ist die Grenze, ab der die Buchstaben im »Text« des Genoms eigentlich nicht mehr zu lesen sind.
Sein Koautor Juan Rodríguez, Genetiker an der Universität Kopenhagen, verspricht sich vom verbreiteten Einsatz der Technik präzisere DNA-Analysen, auch von Arten, bei denen dies bislang nicht möglich war. Im Normalfall müssen Wissenschaftler die Reihenfolge der Fragmente erraten, indem sie das Genom eines lebenden Verwandten als Schablone heranziehen. Dabei gehen mitunter wichtige Unterschiede zwischen alten und heutigen Arten verloren. Und der Ansatz scheitert ganz, wenn es – wie bei Wollnashörnern und Säbelzahnkatzen – gar keine heute lebenden Verwandten mehr gibt. Die neue 3-D-Strukturanalyse umgeht diese Hindernisse. Damit lassen sich vielleicht bald evolutionäre Stammbäume vervollständigen oder die Anpassung von Arten an sich verändernde Umgebungsbedingungen erforschen, so Rodríguez. Das wiederum könnte auch Erkenntnisse für moderne Naturschutzbemühungen liefern.
»Wir können wahrscheinlich noch gar nicht vorhersehen, welche Auswirkungen die Studie haben wird«, sagt Olga Dudchenko, eine Computergenetikerin ebenfalls am Baylor College of Medicine und Koautorin der Studie. Seit ihrer Entstehung in den 1980er Jahren habe sich das Feld der Paläogenomik in unvorstellbarer Weise erweitert. Nun bleibe zu hoffen, dass auch andere Teams ihre eigenen »Chris Waddles« finden.
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