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News: Man ist nicht, was man isst

Ein sehr einfach gebauter Wurm wurde nach Jahrzehnten der Ratlosigkeit schließlich den Muscheln zugeordnet - die genetische Analyse schien eindeutig. Zu Unrecht, wie sich nun herausstellte: Das Erbgut stammte von der letzten Mahlzeit.
Viele charakteristische Merkmale hat er nicht zu bieten, der gerade mal zwei Zentimeter lange und zart gebaute Meeresbewohner Xenoturbella bocki: Vom durchgehenden Verdauungstrakt über organisierte Keimdrüsen und Ausscheidungsorgane bis hin zu einer Leibeshöhle fehlt ihm so ziemlich alles, was den typischen Bauplan höher organisierter Tiere ausmacht. Mit einem ausgeprägten Gehirn kann er ebenfalls nicht dienen, besteht sein Nervensystem doch nur aus einem lockeren Netz einzelner Stränge. Das ganze Exemplar erinnert mehr an einen einfachen Schlauch ohne viel Struktur.

Dementsprechend schwer fiel es den Zoologen, das 1949 erstmalig beschriebene Lebewesen im tierischen Stammbaum einzuordnen. So geriet das Würmchen in verschiedene Verwandtschaftskreise, von den Strudelwürmern über die Plattwürmer bis ganz an die Basis der Bilateria, also jener umfangreichen Gruppe, deren Bauplan sich durch eine einzige Symmetrieebene auszeichnet – im Gegensatz zu dem der Radiata, deren Symmetrie strahlenförmig ist wie bei den Quallen.

1997 jedoch schien Xenoturbella bocki seinen endgültigen Platz gefunden zu haben, an allerdings sehr überraschender Stelle: bei den Muscheln. Wissenschaftler hatten DNA-Proben der Tiere untersucht und so große Ähnlichkeit mit dem Erbgut der kleinen Meeresmuschel Nucula festgestellt, dass kein Zweifel mehr herrschen konnte. Außerdem hatten sie dabei im Innern der untersuchten Exemplare für Muscheln typische Eier und Larven entdeckt. Das ganz und gar Muschel-untypische Äußere des neuen Verwandten führten die Forscher darauf zurück, dass sich der Schlammbewohner einfach aller überflüssiger Ausstattung in seinem Erwachsenenleben entledige und als purer Schlauch sein Dasein friste.

Offenbar sind sie dabei aber über den letzten Speisezettel ihres Untersuchungsobjektes gestolpert. Denn die Nucula-ähnliche DNA sowie die Eier und Larven stammten wohl, so argumentieren Sarah Bourlat vom University Museum of Zoology in Cambridge und ihre Kollegen, tatsächlich von den Muscheln – die dem kleinen Wurm wohl als letzte Mahlzeit dienten. Die untersuchten Sequenzen ähneln den entsprechenden Abschnitten bei den Muscheln zu 97 Prozent – viel zu viel, um von einem Tier stammen zu können, das bei so enger Verwandtschaft dermaßen anders aussieht, meinen die Wissenschaftler. Als sie zudem in ihren Probem möglichst viel Darmgewebe entfernten, ging auch die Menge des Muschel-typischen Erbguts zurück. Und schließlich leben die Muscheln mit Xenoturbella so eng Seite an Seite, dass sie durchaus zu den täglichen Happen zählen könnten.

Indem sie die DNA der letzten Muschelmahlzeit weitgehend entfernten und nur das eindeutig Wurm-spezifische Erbgut analysierten, konnten die Forscher Xenoturbella nun einen neuen Platz im Tierstammbaum zuweisen: an der Basis der Deuterostomia, jener Gruppe, zu der neben Maus und Mensch auch beispielsweise die Seesterne zählen. Von ihrer kurzfristigen Heimat, den Mollusca, also Muscheln und Schnecken, sind sie nun wieder ein gutes Stück entfernt.
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