Greenpeace gegen Grundschleppnetze: »Man muss genau schauen, wo man Steine hinwirft«
Seit dem 26. Juli werfen Aktivisten der Umweltorganisation Greenpeace im Meeresschutzgebiet Adlergrund östlich der Insel Rügen Granitblöcke in die Ostsee. Damit wollen sie verhindern, dass Fischer mit ihren Schleppnetzen den Meeresboden »durchpflügen«, wie die Organisation mitteilte. Bisher seien rund 50 Felsblöcke versenkt worden. Mit 150 bis 200 Steinbrocken könne das Schutzgebiet Adlergrund komplett vor der Grundschleppnetzfischerei geschützt werden, behauptet Greenpeace. Der Fischereibiologe Christian von Dorrien vom Johann Heinrich von Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock erklärt, warum die Aktion keinen Sinn ergibt und welche Folgen zu erwarten sind.
»Spektrum.de«: Herr von Dorrien, was halten Sie aus ökologischer Sicht von der Aktion?
Christian von Dorrien: Ich würde sagen, sie ist im besten Fall sinnlos. Man muss genau schauen, wo man Steine hinwirft. Wenn es sich dort um reine Sandflächen handelt, würde man eine so genannte Habitatverfälschung bewirken. Das wäre so, als ob man plötzlich eine Wüste bewässern würde. Das klingt zwar erst mal gut, aber man verändert damit das Habitat. Sandflächen am Meeresboden haben eine andere Artenzusammensetzung, als wenn dort Steine liegen.
Sie haben ja für uns einen Blick in die Karten geworfen – wo haben die Aktivisten die Steine denn nun versenkt?
Die Positionen liegen mir noch nicht alle vor, aber es sieht so aus, als hätten sie sich bisher auf Bereiche beschränkt, in denen es eher sandig ist. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass sich dort auch kleine Riffe oder Steine befinden. Genau aus diesem Grund findet in diesen Gebieten wenig bis gar keine Fischerei mit Grundschleppnetzen statt.
Das bedeutet dann ja, dass die Aktion im Hinblick auf die Verhinderung der Grundschleppnetzfischerei überhaupt nichts bringt.
Sofern sich die Aktivisten auf dieses Gebiet beschränken, ja. Unsere Daten von 2013 bis 2018 zeigen, dass dort so gut wie keine Fischereiaktivitäten stattgefunden haben. Man kann das wohl eher als symbolischen Akt betrachten – oder, wenn man es hart ausdrückt, als Werbemaßnahme für Greenpeace im Sommerloch. Das, was Greenpeace kritisiert, ist an einigen Stellen fachlich falsch und überzogen.
Noch ist die Grundschleppnetzfischerei in der Nord- und Ostee erlaubt – sogar in Meeresschutzgebieten wie dem Adlergrund. Und das, obwohl Wissenschaftler bereits 2008 ein Verbot forderten. Hat sich in der Zwischenzeit nichts getan?
Es ist nicht so, dass an dieser Stelle gar nichts passiert. Der Prozess findet ja schon statt. Er dauert nur vielleicht länger, als einige das gerne hätten. Es gibt bereits seit etwas längerer Zeit Vorschläge für solche Maßnahmen, an denen wir auch direkt beteiligt waren. Aber, wie immer, wenn man zwischen Schutz und Nutzung abwägen muss, hat es etwas gedauert, bis die zuständigen Ministerien sich geeinigt haben. Vor anderthalb Jahren gab es dann eine nationale Anhörung, bei der verschiedene Interessengruppen zu Wort kamen. Dann hat allerdings das Bundesamt für Naturschutz festgestellt, dass einige Flächen nicht den Anforderungen entsprechen, folglich musste eine neue Runde gestartet werden. Was den ganzen Prozess außerdem sehr aufwändig macht, ist: Deutschland kann nicht allein hingehen und mal eben die Fischerei schließen. Wir müssen uns mit den anderen Staaten, die in der Ostsee fischen, abstimmen.
Was ist nun der Plan?
Das richtet sich immer nach dem Schutzgut des jeweiligen Gebiets. Der generelle Plan ist, dass alle Fischerei mit geschleppten, bodenberührenden Geräten ausgeschlossen werden soll.
Nur in den Meeresschutzgebieten oder in der gesamten Nord- und Ostsee?
Nein, es geht um die so genannten Natura-2000-Gebiete in der Ausschließlichen Wirtschaftszone. Im ersten Schritt soll die Fischerei in den Habitatschutzgebieten, in denen sich schützenswerte Riffe und Sandbänke befinden, verboten werden.
Die Blöcke sollen bis zu eine Tonne schwer sein. Stellen sie eine Gefahr für Schiffe dar?
Nein. Dazu ist die Wassertiefe in diesem Bereich zu groß und die Blöcke sind insgesamt zu klein. Eine Tonne klingt erst mal dramatisch, ist aber gar nicht so viel. Wenn man ein Auto, das in etwa genauso viel wiegt, auf die Dichte eines Steins zusammenquetschen würde, bliebe davon nicht viel übrig. Für die Fischerei stellen solche Brocken aber ein Problem dar, denn die Netze können daran hängen bleiben. Sie meidet darum von sich aus solche Gebiete, in denen es unrein ist – das war es im Adlergrund ja schon vorher, zumindest teilweise. Es handelt sich um ein Steinriff.
Dann ändert sich durch die Aktion also gar nicht viel.
Ja, außer dass irgendwelche Bodenlebewesen plötzlich Steine auf den Kopf bekommen.
Könnten die Steine die Strömungsverhältnisse und Artenzusammensetzung in der Ostsee verändern?
Nein, dazu sind sie zu klein. In der gesamten Ostsee schon gleich gar nicht. Sehr lokal können sie vielleicht schon etwas verändern, aber das Ausmaß ist insgesamt sehr gering und hat vermutlich keine Auswirkungen auf das Ökosystem. Dazu ist die Fläche insgesamt zu klein. Trotz allem ist es eine unangemeldete Aktion und somit als kritisch zu bewerten. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie hat die Aktion zudem ausdrücklich untersagt.
Könnte es durch die Steinbrocken auch positive Effekte geben – etwa weil sich Riffe neu entwickeln?
Das kann ich an dieser Stelle nicht beurteilen. Vor Schleswig-Holstein sind genau solche Steine eine Zeit lang gefischt worden, weil man sie anderswo brauchte. Daraus entstand sogar ein eigener Wirtschaftszweig: die Steinfischerei. Wenn man dort wieder Steine hinbringen würde, könnte sich das positiv auswirken. Aber soweit ich weiß, hat so etwas auf dem Adlergrund nie stattgefunden.
Könnten die Brocken die Suche nach Munitionsresten und deren Entsorgung erschweren?
Nein, auch das glaube ich nicht. Aber natürlich kann man nicht ausschließen, dass da irgendwo eine Granate liegt, die man nun nicht mehr bergen kann. Doch es ist ja kein ganzer Steinteppich, insofern halte ich solche Sorgen für übertrieben.
In sozialen Medien wird auch bemängelt, dass es ortsfremde Granitblöcke sind, die vor Rügen im Meer versenkt werden. Was halten Sie von dieser Kritik?
Das kommt darauf an, aus welchem Blickwinkel man das betrachtet. Die Steine selbst werden sich nicht auflösen. Aber sollten Geologen dort einmal forschen, könnten sie sich wundern, wo denn dieser Stein plötzlich herkommt. Man könnte auch darüber diskutieren, ob dies eine illegale Müllentsorgung ist, was Greenpeace macht. Denn es gibt klare Regeln, was man wie ins Meer einbringen darf. Schließlich soll kein Schutthändler auf die Idee kommen, sein Geröll in der Ostsee abzuladen. Fairerweise muss man allerdings sagen, dass im Zuge des Baus von Windkraftanlagen auch große Mengen Steine ins Meer eingebracht werden. Man sollte die Aktion also auch nicht überbewerten.
Wie schädlich ist die Grundschleppnetzfischerei prinzipiell?
Das ist etwas, was wir in verschiedenen Projekten untersuchen. Wir wollen herausfinden, wie groß der dadurch verursachte Schaden tatsächlich ist. Natürlich bedeutet diese Art der Fischerei eine gewisse Beeinträchtigung – wie alles, was wir als Menschen tun. Man muss aber unterscheiden, ob dieser Schaden dauerhaft eintritt oder reversibel ist, sprich, ob sich die ursprünglichen Lebensgemeinschaften wiederherstellen, wenn man mit der Fischerei aufhört. Bestimmte Muschelarten reagieren beispielsweise empfindlich, wenn sie durch die Netze gestört werden. Das kann die Lebensgemeinschaften auf dem Meeresboden schädigen. Aber nicht in dem Maße, dass schwere ökologischen Schäden für die Ostsee zu erwarten sind.
Was sind Grundschleppnetze?
Grundschleppnetze werden für den Fang von bodennah lebenden Fischen und Meerestieren eingesetzt, zum Beispiel Kabeljau (in der Ostsee heißt er Dorsch), Nordseekrabben, Scholle oder Seezunge. Einige Arten, die mit dieser Methode gefangen werden, zum Beispiel Seelachse, schwimmen deutlich über dem Meeresboden. Um sie zu fangen, werden die Netze auf die gewünschte Länge eingestellt, Fachleute sagen: getakelt. Das Netz wird dann hinter einem Schiff her über den Meeresboden gezogen. Metallketten oder vibrierende Drähte scheuchen die Fische auf, damit sie im Netz landen. Die Fangmethode kann dem Meeresboden und den dort lebenden Organismen Schaden zufügen. Sie wird weltweit angewandt, hauptsächlich im Meer, seltener auch in Binnengewässern, bis in Tiefen von 2000 Metern. Die Europäische Union hat sich 2016 auf ein Verbot von Grundschleppnetzen in Tiefseeregionen des Atlantiks geeinigt: Sie dürfen nur noch bis zu einer Tiefe von 800 Metern eingesetzt werden.
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