Alzheimerdiagnose: "Manche Patienten sind über Jahre stabil"
Mit einer neuen Methode lässt sich die Alzheimerkrankheit bis zu 15 Jahre vor ihrem Ausbruch nachweisen. Dazu injizieren Ärzte dem Patienten die schwach radioaktive Markersubstanz Florbetaben, die sich im Gehirn anreichert und dort an das Beta-Amyloid-Protein bindet - es gilt als wichtiges Anzeichen einer Alzheimerdemenz. Ein Positronen-Emissions-Tomograf (PET) macht schließlich die Proteinablagerungen sichtbar. Wissenschaftler des Universitätsklinikums Leipzig um Hermann-Josef Gertz entdeckten kürzlich diese Methode. Doch wem nützt das frühe Wissen?
spektrumdirekt: Herr Gertz, als Gerontopsychiater an der Uniklinik Leipzig beschäftigen Sie sich schon seit Ende der 1970er Jahre mit der Alzheimerkrankheit und arbeiteten auch an der kürzlich gemachten Entdeckung eines Verfahrens mit, das eine besonders frühe Diagnose erlaubt. Bei wie vielen Patienten haben Sie denn schon die Diagnose "Alzheimer" gestellt?
Gertz: Das ist natürlich schwer zu sagen. Aber es dürften mittlerweile weit über 1000 sein.
Wie laufen solche Diagnoseverfahren ab?
Zunächst gibt es eine Anamneseerhebung, das heißt, eine klinische Untersuchung, wie sie bei Psychiatern und Neurologen üblich ist. Dann wird Blut abgenommen. Und schließlich schauen wir uns das Gehirn in einem Kernspintomografen an.
Trotz der vielen Methoden ist die Diagnose nur zu 80 Prozent sicher. Wie vermitteln Sie das den Patienten?
Ich sage zu ihnen: Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass auf Grund dieser Befundkonstellation eine Alzheimerkrankheit sehr wahrscheinlich der Hintergrund ihrer Gedächtnisstörung ist. Aber in welcher Weise die Erkrankung fortschreitet – ob sie überhaupt fortschreitet –, das weiß ich nicht, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aus meiner Sicht ist dies eines der ganz großen Probleme der Frühdiagnostik. Die negativen Befunde sind sicher, aber die positiven Befunde sind es nicht.
Das heißt, Sie können Alzheimerdemenz im Einzelfall ausschließen. Aber inwiefern sind die positiven Befunde ein Problem?
Manche Patienten haben die Diagnose und sind trotzdem über Jahre stabil. Selbst bei fortgeschrittenen Alzheimerpatienten ist das manchmal der Fall. Und die Möglichkeit der Frühdiagnose ist neu. Es gibt dazu weder durchdiskutierte Strategien noch Empfehlungen oder eine andere Form der Konsensbildung. Im Moment arbeitet daher jeder so ein bisschen auf eigene Faust. Was wir anstreben ist, die Problematik der Frühdiagnostik dem Patienten zu vermitteln, bevor man mit der Diagnose beginnt. Die Patienten müssen wissen, dass auch ein unklares Ergebnis herauskommen kann. Im Moment herrscht bei den Patienten große Unsicherheit. Viele denken, aus dieser Diagnose würde sich unmittelbar eine Therapie ergeben. Das ist aber definitiv nicht der Fall.
Wäre es dann nicht besser, auf die Diagnose zu verzichten?
Es gibt dazu sehr interessante Umfragen in Europa. Von der Allgemeinbevölkerung sind 80 Prozent der Meinung, dass man unbedingt Screenings durchführen sollte. Welche Motivation dahinter steht, hat die Erhebung leider nicht erfasst. Je mehr Fachwissen die Befragten über die Alzheimersche Erkrankung hatten, desto weniger gut fanden sie die Idee, möglichst früh zu diagnostizieren: Nur 20 bis 30 Prozent der Fachärzte in der Neurologie und Psychiatrie sind für eine Frühdiagnose. Am allerwenigsten überzeugt sind die Kostenträger.
Welche Argumente sprechen gegen die Frühdiagnose?
Ganz klar das Fehlen überzeugender therapeutischer Konsequenzen.
Welche sprechen dafür?
Ich denke, da geht es am ehesten um die Begleitumstände einer solchen Erkrankung, wie juristische Aspekte beispielsweise. Betroffene sollten Vorsorgevollmachten in einem Zustand ausstellen, in dem sie das noch selbst entscheiden können und in dem sie sich die nötigen Gedanken machen können. Nicht erst dann, wenn man fragen muss, ob ihre Unterschrift überhaupt noch gültig ist.
Könnte sich das Wissen über die bevorstehende Krankheit auf einzelne Patienten sogar negativ auswirken?
Manche schränken sich sicher übermäßig ein oder sind unverhältnismäßig besorgt. Aber in welchem Umfang das passiert, ist schwer zu sagen. Darüber haben wir keinen ausreichenden Überblick. Der Stempel "Alzheimer" wird meines Erachtens im Moment viel zu sehr mit der Vorstellung von schwersten Krankheitsverläufen und völliger Hilflosigkeit verbunden. Die Frühstadien haben jedoch damit überhaupt nichts zu tun. Es kann sein, dass ein Patient niemals an diesen Punkt kommt. Ich denke aber trotzdem, jeder hat das Recht, diese Informationen vorab zu bekommen. Dann kann jeder für sich entscheiden, ob er das machen möchte oder nicht.
Auf der Homepage der Deutschen Alzheimer Gesellschaft werden verschiedene Therapieformen aufgelistet. Verhaltenstherapie, Kognitives Training, Erinnerungstherapie, Kunsttherapie. Kann ich damit den Verlauf der Erkrankung beeinflussen oder der Krankheit vorbeugen?
Körperliche Aktivität, gute soziale Verbindungen, gute Ausbildung, hohe Schulbildung sind alles Faktoren die potenziell vor der Krankheit schützen. Aber das sind letzten Endes sehr unspezifische Faktoren. Körperliche Aktivität ist für vieles gut – vielleicht auch für das Hirn. Rauchen bietet einen gewissen Schutz gegen Demenz. Gute Schulbildung ist ebenfalls ein robuster Faktor. Aber dabei handelt es sich allesamt um Einflussgrößen, die lange in der Vergangenheit zurückliegen. Wenn man alt ist, kann man da nichts mehr tun. Ein ganz wichtiger Faktor ist Bluthochdruck im Alter zwischen 45 und 60 Jahren, der offenbar Gefäße und Gehirn so schädigt, dass später eine Demenz entstehen kann.
Wie sieht es mit medikamentösen Therapien im Frühstadium aus?
Medikamente können die Krankheit hinauszögern, aber nicht heilen. Tatsächlich zählen Therapieansätze mit Medikamenten zu den am besten untersuchten. Nur: Diese Untersuchungen stammen überwiegend aus den 1990er Jahren, als man mit der Diagnose noch längst nicht so weit war wie heute. Und sie wurden alle an Patienten in einem relativ fortgeschrittenen Stadium durchgeführt. Entsprechend sind die Medikamente auch nur für dieses späte Stadium zugelassen. Heute können wir aber davon ausgehen, dass zwischen Diagnose und Beginn der Demenz mehrere Jahre vergehen. Und in diesen Jahren können wir die Medikamente nicht anwenden, weil sie nicht zugelassen sind und weil ihre Wirksamkeit für diese ganz frühen Stadien nicht nachgewiesen ist. In der Klinik gibt das eine verdrehte Situation: Wir können eine häufige Krankheit immer besser diagnostizieren, kommen aber mit der Therapie nicht hinterher. Das stellt die Frühdiagnostik noch einmal sehr in Frage.
Ist die Möglichkeit der frühen Diagnose ihrer Zeit voraus?
Ja und Nein. Aktuelle Therapieentwicklungen sind zwingend an eine frühe Diagnose geknüpft, da man mit ihnen den Ausbruch der Krankheit blockieren möchte, Stichwort: "Impfung gegen Alzheimer". Um sie testen und später auch implementieren zu können, ist die Frühdiagnostik unverzichtbar. In der Praxis jedoch driften Therapie und Diagnostik derzeit stark auseinander.
Herr Gertz, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Gertz: Das ist natürlich schwer zu sagen. Aber es dürften mittlerweile weit über 1000 sein.
Wie laufen solche Diagnoseverfahren ab?
Zunächst gibt es eine Anamneseerhebung, das heißt, eine klinische Untersuchung, wie sie bei Psychiatern und Neurologen üblich ist. Dann wird Blut abgenommen. Und schließlich schauen wir uns das Gehirn in einem Kernspintomografen an.
Wenn man es ganz vollständig haben will, führen wir noch eine Lumbalpunktion durch, also eine Untersuchung der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit. Und nun kommt die neue Methode hinzu. Die steht vielleicht in einem Jahr zur Verfügung.
Trotz der vielen Methoden ist die Diagnose nur zu 80 Prozent sicher. Wie vermitteln Sie das den Patienten?
Ich sage zu ihnen: Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass auf Grund dieser Befundkonstellation eine Alzheimerkrankheit sehr wahrscheinlich der Hintergrund ihrer Gedächtnisstörung ist. Aber in welcher Weise die Erkrankung fortschreitet – ob sie überhaupt fortschreitet –, das weiß ich nicht, das kann ich Ihnen nicht sagen. Aus meiner Sicht ist dies eines der ganz großen Probleme der Frühdiagnostik. Die negativen Befunde sind sicher, aber die positiven Befunde sind es nicht.
Das heißt, Sie können Alzheimerdemenz im Einzelfall ausschließen. Aber inwiefern sind die positiven Befunde ein Problem?
Manche Patienten haben die Diagnose und sind trotzdem über Jahre stabil. Selbst bei fortgeschrittenen Alzheimerpatienten ist das manchmal der Fall. Und die Möglichkeit der Frühdiagnose ist neu. Es gibt dazu weder durchdiskutierte Strategien noch Empfehlungen oder eine andere Form der Konsensbildung. Im Moment arbeitet daher jeder so ein bisschen auf eigene Faust. Was wir anstreben ist, die Problematik der Frühdiagnostik dem Patienten zu vermitteln, bevor man mit der Diagnose beginnt. Die Patienten müssen wissen, dass auch ein unklares Ergebnis herauskommen kann. Im Moment herrscht bei den Patienten große Unsicherheit. Viele denken, aus dieser Diagnose würde sich unmittelbar eine Therapie ergeben. Das ist aber definitiv nicht der Fall.
Wäre es dann nicht besser, auf die Diagnose zu verzichten?
Es gibt dazu sehr interessante Umfragen in Europa. Von der Allgemeinbevölkerung sind 80 Prozent der Meinung, dass man unbedingt Screenings durchführen sollte. Welche Motivation dahinter steht, hat die Erhebung leider nicht erfasst. Je mehr Fachwissen die Befragten über die Alzheimersche Erkrankung hatten, desto weniger gut fanden sie die Idee, möglichst früh zu diagnostizieren: Nur 20 bis 30 Prozent der Fachärzte in der Neurologie und Psychiatrie sind für eine Frühdiagnose. Am allerwenigsten überzeugt sind die Kostenträger.
Welche Argumente sprechen gegen die Frühdiagnose?
Ganz klar das Fehlen überzeugender therapeutischer Konsequenzen.
Welche sprechen dafür?
Ich denke, da geht es am ehesten um die Begleitumstände einer solchen Erkrankung, wie juristische Aspekte beispielsweise. Betroffene sollten Vorsorgevollmachten in einem Zustand ausstellen, in dem sie das noch selbst entscheiden können und in dem sie sich die nötigen Gedanken machen können. Nicht erst dann, wenn man fragen muss, ob ihre Unterschrift überhaupt noch gültig ist.
Könnte sich das Wissen über die bevorstehende Krankheit auf einzelne Patienten sogar negativ auswirken?
Manche schränken sich sicher übermäßig ein oder sind unverhältnismäßig besorgt. Aber in welchem Umfang das passiert, ist schwer zu sagen. Darüber haben wir keinen ausreichenden Überblick. Der Stempel "Alzheimer" wird meines Erachtens im Moment viel zu sehr mit der Vorstellung von schwersten Krankheitsverläufen und völliger Hilflosigkeit verbunden. Die Frühstadien haben jedoch damit überhaupt nichts zu tun. Es kann sein, dass ein Patient niemals an diesen Punkt kommt. Ich denke aber trotzdem, jeder hat das Recht, diese Informationen vorab zu bekommen. Dann kann jeder für sich entscheiden, ob er das machen möchte oder nicht.
Auf der Homepage der Deutschen Alzheimer Gesellschaft werden verschiedene Therapieformen aufgelistet. Verhaltenstherapie, Kognitives Training, Erinnerungstherapie, Kunsttherapie. Kann ich damit den Verlauf der Erkrankung beeinflussen oder der Krankheit vorbeugen?
Körperliche Aktivität, gute soziale Verbindungen, gute Ausbildung, hohe Schulbildung sind alles Faktoren die potenziell vor der Krankheit schützen. Aber das sind letzten Endes sehr unspezifische Faktoren. Körperliche Aktivität ist für vieles gut – vielleicht auch für das Hirn. Rauchen bietet einen gewissen Schutz gegen Demenz. Gute Schulbildung ist ebenfalls ein robuster Faktor. Aber dabei handelt es sich allesamt um Einflussgrößen, die lange in der Vergangenheit zurückliegen. Wenn man alt ist, kann man da nichts mehr tun. Ein ganz wichtiger Faktor ist Bluthochdruck im Alter zwischen 45 und 60 Jahren, der offenbar Gefäße und Gehirn so schädigt, dass später eine Demenz entstehen kann.
Wie sieht es mit medikamentösen Therapien im Frühstadium aus?
Medikamente können die Krankheit hinauszögern, aber nicht heilen. Tatsächlich zählen Therapieansätze mit Medikamenten zu den am besten untersuchten. Nur: Diese Untersuchungen stammen überwiegend aus den 1990er Jahren, als man mit der Diagnose noch längst nicht so weit war wie heute. Und sie wurden alle an Patienten in einem relativ fortgeschrittenen Stadium durchgeführt. Entsprechend sind die Medikamente auch nur für dieses späte Stadium zugelassen. Heute können wir aber davon ausgehen, dass zwischen Diagnose und Beginn der Demenz mehrere Jahre vergehen. Und in diesen Jahren können wir die Medikamente nicht anwenden, weil sie nicht zugelassen sind und weil ihre Wirksamkeit für diese ganz frühen Stadien nicht nachgewiesen ist. In der Klinik gibt das eine verdrehte Situation: Wir können eine häufige Krankheit immer besser diagnostizieren, kommen aber mit der Therapie nicht hinterher. Das stellt die Frühdiagnostik noch einmal sehr in Frage.
Ist die Möglichkeit der frühen Diagnose ihrer Zeit voraus?
Ja und Nein. Aktuelle Therapieentwicklungen sind zwingend an eine frühe Diagnose geknüpft, da man mit ihnen den Ausbruch der Krankheit blockieren möchte, Stichwort: "Impfung gegen Alzheimer". Um sie testen und später auch implementieren zu können, ist die Frühdiagnostik unverzichtbar. In der Praxis jedoch driften Therapie und Diagnostik derzeit stark auseinander.
Herr Gertz, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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