Interview: "Manchmal denke ich mir einen interessanten Planeten aus"
Spektrum.de: Frau Kaltenegger, wie hat sich die Erforschung erdähnlicher Planeten in den letzten Jahren entwickelt?
Lisa Kaltenegger: 1995 – da fing ich gerade an, zu studieren – wurde der erste Planet gefunden, der um einen normalen, sonnenähnlichen Stern kreist. Davor kannten wir nur Pulsarplaneten und substellare Objekte. Heute haben wir viel mehr Daten. So haben wir die ersten kleinen Planeten entdeckt, die felsig sind wie unsere Erde: Corot 7b und Kepler 10b. Die Entwicklung schreitet mit Siebenmeilenschritten voran. Wir haben schon die Atmosphären von großen fernen Gasplaneten charakterisiert. Jetzt müssen wir ein größeres Teleskop auf einen der kleineren Planeten halten und dessen spektralen Fingerabdruck ermitteln. Das klingt einfach, wird aber technisch ziemlich schwierig werden. Aber das ganze Feld ist jung, spannend, dynamisch, mit vielen neuen guten Ideen. Man kann mit ganz simplen Fragen einen ganz neuen Forschungsast aufmachen. Wir entwickeln jetzt Modelle, wie Planetenatmosphären von Felsplaneten beschaffen sein könnten, und mit den Daten, die wir in der nächsten Zukunft erhalten werden, können wir schauen, ob wir Recht hatten.
Was sind dabei die größten Herausforderungen?
Lisa Kaltenegger: Das ist unter anderem eine politische Frage. Die Planetenforschung ist ein junges Gebiet, das heißt Sie müssen davon ausgehen, dass in den großen, wichtigen Gremien sehr wenige Planetenforscher und Fürsprecher sitzen. Das James Webb Space Telescope, der Nachfolger des Hubble-Teleskops, wird unsere nächste große Möglichkeit sein. Doch es ist nie gebaut worden, um Planeten zu finden. Das heißt, es gibt auch kein Tortenstück in der Beobachtungszeit, das für Planetenforscher reserviert wäre. Wir haben jetzt jedoch die tolle Möglichkeit, etwas Zeit dort im offenen Wettbewerb anzufordern.
Brauchen Sie für Ihre Forschung viel Beobachtungszeit?
Lisa Kaltenegger: Sie versuchen ganz kleine, lichtschwache Planeten über Lichtjahre hinweg zu beobachten. Das James-Webb-Teleskop ist zwar 6,5 Meter groß, aber die Planeten sind sehr klein, und die Atmosphären, die wir anschauen wollen, sind wie die der Erde sehr, sehr dünn – man vergleicht den Apfel mit der Schale, und die Schale ist das, was wir uns anschauen können, um Spuren nach Leben auf solchen Exoplaneten aufzuspüren. Es ist beeindruckend, dass das überhaupt über Lichtjahre hinweg möglich ist.
Mittlerweile kennen wir in der Umgebung der Milchstraße mehr als doppelt so viele Galaxien wie früher, zu immer niedrigeren Helligkeiten hin, zu Objekten, die fast komplett von Dunkler Materie dominiert zu sein scheinen
Frau Grebel, auch Ihr Forschungsgebiet – Zwerggalaxien – gehört zu den ganz jungen, dynamischen Disziplinen der Astronomie. Wie hat es sich entwickelt?
Eva Grebel: In den letzten zehn Jahren ist es explodiert, durch die Verfügbarkeit von 8- und 10-Meter-Teleskopen. Diese Teleskope gestatteten uns erstmals, Spektroskopie von einzelnen Sternen in diesen nahen Galaxien durchzuführen. Damit kann man dann die Entwicklungsgeschichte sehr genau verfolgen, weil man neben den fotometrischen Eigenschaften auch noch etwas über die Bewegungen der Sterne lernen kann und über die Zusammensetzung der Sterne in diesen Galaxien.
Astronomen können ja jetzt auch immer lichtschwächere Galaxien finden – eine Chance bei der Suche nach Dunkler Materie?
Eva Grebel: Mittlerweile kennen wir in der Umgebung der Milchstraße mehr als doppelt so viele Galaxien wie früher, zu immer niedrigeren Helligkeiten hin, also zu Objekten, die fast komplett von Dunkler Materie dominiert zu sein scheinen. Sterne sind dann schon eher die Ausnahme in diesen Objekten. Und das führt uns dann zu der Frage, ob wir hier vielleicht wirklich Überreste sehen von der ganz frühen Galaxienentstehung und von Objekten, die maßgeblich zum Aufbau von größeren Galaxien beigetragen haben, die wir jetzt praktisch als Fossilien betrachten.
Wie wird sich Ihr Forschungsgebiet weiterentwickeln in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren?
Eva Grebel: Vom Hubble Space Telescope haben wir ganz stark profitiert, und es ist ja zum Glück immer noch aktiv. JWST wird sicherlich auch eine Rolle spielen, aber da ist der Wellenlängenbereich für diese Art der Forschung nicht der günstigste. Das Nahinfrarote ist interessant, aber optisch wäre an sich besser. Wir werden vor allem auch von großen bodengebundenen Durchmusterungen profitieren. Da gibt es insbesondere LSST, das Large Synoptic Survey Telescope, das zur Zeit entwickelt wird. Auch Großteleskope wie E-ELT, das Europäische Extremely Large Telescope, werden gerade auch für stellare Populationsstudien enorm wichtig sein. Da sehe ich in den nächsten zwanzig Jahren enorme Möglichkeiten, was Empfindlichkeit, Auflösung und Fläche anbelangt. Eine andere Einrichtung, die auch eine Rolle spielen wird, ist die Gaia-Mission, die in einigen Jahren starten wird. Die konzentriert sich in erster Linie auf unsere eigene Milchstraße, wird sie aber in noch nie zuvor dagewesener Genauigkeit untersuchen. Sie dürfte also eine Unmenge von Daten liefern und uns dann erlauben, die Geschichte der Milchstraße abzuleiten, und da wiederum auch die Rolle der Zwerggalaxien: Wie viel haben Zwerggalaxien beigetragen, wo haben sie beigetragen, wie wichtig waren sie im Verlauf der Geschichte? Das wären die nächsten Fragen, die wir in Zukunft angehen können.
Wie sieht Ihr Forschungsalltag aus?
Lisa Kaltenegger: Ich simuliere am Computer mögliche Atmosphären extrasolarer Planeten, bereits entdeckte und theoretisch mögliche, um die Spuren in der Atmosphäre theoretisch zu erforschen, die wir mit Teleskopen ausfindig machen können. Diese Spuren könnten auf einen habitablen Planeten oder eine zweite Erde hinweisen. Natürlich gibt es da ein breiteres Spektrum als nur die Erde. Wir nehmen zum Beispiel Planeten mit verschiedenen Massen und Zusammensetzungen an. Für die neu entdeckten Supererden sind dies reale Parameter, wie Masse und Radius und Temperatur. Das erlaubt mir, die möglichen Atmosphären dieser Planeten zu errechnen und zu untersuchen, welche dieser Planeten vielleicht Leben ermöglichen. Und manchmal denke ich mir einen interessanten Planeten aus – was würde passieren, wenn der ganze Planet mit Wasser bedeckt wäre? Wie wirkt sich ein biologisches System, das mit der Atmosphäre wechselwirkt, oder keines, auf die beobachtbare Atmosphäre aus? Das können Sie am Rechner quasi ein- oder ausschalten. Dazu kommt das veränderliche stellare Spektrum, das die Chemie in der Atmosphäre und damit auch die Spuren verändert, die wir mit Teleskopen aus der Entfernung erkennen können. Hier verwenden wir die verschiedenen Sterntypen, die wir kennen, um den Einfluss des Sterns zu ermitteln. Das Sternenlicht beeinflusst das Klima, die Fotochemie und die Temperatur auf der Oberfläche. Wir erforschen, welche Parameter den größten Einfluss auf die Atmosphäre haben, und welche Eigenschaften wir im Planetenspektrum lesen können, also welchen spektralen Fingerabdruck dieses Planeten wir mit neuen Instrumenten messen können. Und wir stellen Fragen wie: Was würde sich ändern, wenn unsere oder eine zweite Erde größer, kleiner, kühler, wärmer wäre oder mehr oder weniger Wasser hätte? Das würde alles die Atmosphäre und den beobachtbaren spektralen Fingerabdruck beeinflussen – was uns dadurch Erkenntnisse über andere habitable Planeten und unsere Erde gibt. Und was ist mit den verschiedenen biologischen Zyklen, die bei uns auf der Erde die Atmosphärenzusammensetzung bestimmen? Wie kann man ein rein geologisches Modell eines Planeten von einem mit Leben unterscheiden?
Wenn Sie die ersten Exoplaneten anschauen, von denen wir Spektren gemacht haben, dann sind die ganz anders, als wir mit dem Wissen aus unserem Sonnensystem erwartet hatten
Inwiefern spielt das Wissen über die Planeten des Sonnensystems dabei eine Rolle?
Lisa Kaltenegger: Wir wissen, wie das Spektrum unserer Erde aussieht, wir wissen, wie der Mars und die Venus aussehen, wir kennen alle Planeten unseres Sonnensystems – aber wenn Sie die ersten Exoplaneten anschauen, von denen wir Spektren gemacht haben, dann sind die ganz anders, als wir mit dem Wissen aus unserem Sonnensystem erwartet hatten, und wir können davon ausgehen, dass das auch für die kleinen Planeten so sein wird. Spannend ist das auch, weil wir jetzt Planeten finden mit Massen zwischen Uranus, Neptun und der Erde. Einige von denen sind felsig, und einige sind eher neptunartig. Interessant ist, dass die Masse allein da anscheinend nicht den entscheidenden Unterschied macht. Generell gilt, je kleiner die Masse, desto wahrscheinlicher, dass der Planet felsartig ist, je größer, desto wahrscheinlicher, dass es ein Neptun ist. Aber es gibt einen ganz großen Bereich, den wir einfach noch nicht kennen, was diese Entdeckungen natürlich sehr spannend macht. Und mit diesen Modellannahmen versuchen wir ein Gesamtbild aufzubauen, damit wir wissen, was die nächsten Instrumente am E-ELT oder am JWST messen können müssen, um uns diese Unterscheidung zu geben, um zu sagen: Diese verschiedenen Chemikalien gibt es oder nicht, diese Spuren von Leben gibt es oder nicht. Aber auch: Dieser Planet ist ein felsartiger Planet mit einer dünnen Atmosphäre. Oder dieser Planet ist einer, der eine substanzielle Wasserstoff-Helium-Atmosphäre besitzt. Als Alltag: Ich gehe in mein Büro, dann denke ich mir eine interessante Frage aus, zum Beispiel, was sich verändert, wenn der Planet massereicher würde. Das heißt ich generiere ein Netz von Parametern, die einen Planeten essenziell verändern könnten, und arbeite an der jeweiligen Fotochemie und am Klimamodell um herauszufinden, welche Spuren wir mit Teleskopen über Lichtjahre hinweg aufspüren können.
Wie lange dauert es, bis ein Atmosphärenmodell in Ihrer Simulation durchgerechnet ist und Sie zum Beispiel die Temperatur ändern können?
Lisa Kaltenegger: Ein einzelnes Modell ist schnell berechnet, aber das Wichtige ist natürlich der Kontext: Was unterscheidet dieses Modell von einem, das andere essenzielle Parameter aufweist, und was lernen wir daraus? Wir benutzen eindimensionale Modelle, um die wichtigen Parameter zu erforschen. Man könnte auch dreidimensional rechnen, wie bei den komplexen Atmosphärenmodellen hier auf der Erde. Aber das Problem ist, dass Sie wenig Information über diese Planeten besitzen, zum Beispiel weder Topografie noch Umdrehungsgeschwindigkeit, die in die 3-D-Modelle einfließen. Das heißt, 1-D ist ein sehr guter Ansatz, um den Einfluss der wichtigsten Parameter auszutesten. Außerdem zeigen Exoplaneten generell ein "disk integrated image", also ein unaufgelöstes Bild, das aus einem mittleren Atmosphärenprofil besteht, das die Antarktis und die Sahara beinhaltet, und das mit 1-D-Modellen für unser Sonnensystem sehr gut modelliert werden kann. Für die Erde funktioniert der eindimensionale Ansatz auch sehr gut. Bei komplizierteren Modellen steigt die Anzahl Ihrer Annahmen auch stark an, und es wird schwieriger, einzelne physikalische Effekte voneinander zu unterscheiden.
Sie mitteln also über die ganze Atmosphäre?
Lisa Kaltenegger: Genau. Wichtig ist auch, dass Sie nicht viele Funktionen haben. Wenn Sie bei einem 3-D-Modell einen Parameter ändern, ändern Sie ja intern eine Unmenge andere auch. Bei einem 1-D-Modell ist es viel einfacher, die physikalischen Effekte herauszufinden: Wenn Sie es heißer machen, dann haben Sie es heißer gemacht, und Sie sehen, was sich ändert.
Frau Grebel, analysieren Sie überwiegend Daten von Teleskopen, oder machen Sie ebenfalls von allem Modellrechnungen?
Eva Grebel: Beides. In unserer Gruppe sind überwiegend Beobachter und das heißt, wir nehmen Teleskopdaten, die im Vergleich zur Auswertezeit relativ schnell gewonnen werden können. Meist hat man ja, sagen wir, drei Nächte Beobachtungszeit oder man hat einige Orbits mit HST. Die Auswertung dieser Daten dauert freilich meist viel länger: Monate, je nach Komplexität, je nach Fragestellung. Die Auswertung geschieht natürlich in erster Linie mit Computern, das heißt die meiste Zeit verbringe auch ich vor dem Computer. Das gleiche gilt für diejenigen, die Modelle rechnen, die rechnen dann zum Teil mit Großrechnern. Da geht es dann beispielsweise darum, die chemische Entwicklung von Zwerggalaxien zu modellieren und mit den Beobachtungsdaten zu vergleichen. Man versucht ein detaillierteres und fundierteres Bild der Entstehung dieser Galaxien und ihrer Entwicklungsgeschichte zu bekommen, indem man alle Faktoren so weit wie möglich einfließen lässt. Das gilt für die Dunkle Materie ebenso wie für die chemische Entwicklung, die Bewegung einzelner Sterne, die Wechselwirkungen mit anderen Galaxien und so weiter. Die Forschenden versuchen alles zu verbinden.
Jetzt reden wir über Exoplaneten und ferne Galaxien – doch welche großen Rätsel birgt auch unser Sonnensystem noch?
Lisa Kaltenegger: Das ist nah an meinem eigenen Gebiet: Leben auf anderen Planeten oder Monden sind auch ungelöste Rätsel in unserem Sonnensystem. Das Problem lautet: Wenn Sie Leben unter einem Eispanzer haben, wie potenziell auf dem Jupitermond Europa oder unter der Oberfläche, wie potenziell auf dem Mars, dann gelangen die Gase, die dieses Leben produziert und welche die Atmosphäre verändern, weniger leicht an die Oberfläche. Darum muss man bei uns im Sonnensystem nicht nur die Atmosphären anschauen, um nachzuweisen, ob es Lebensspuren gibt. Sondern wir wollen zu Mars, Europa und Titan fliegen und beispielsweise bei Europa schauen, ob es unter dem Eispanzer Lebensformen gibt. Das ist für mich eines der spannendsten ungelösten Rätsel in unserem Sonnensystem. Die Planeten, auf die wir uns in meiner Forschungsgruppe konzentrieren, sind in einer Distanz vom Stern, wo es warm genug ist, dass es flüssiges Wasser auf der Oberfläche gäbe. Und zwar deshalb, weil wir eben keinen Eispanzer oder keine Oberfläche wollen, die Gase von möglichem Leben abfedert oder einschließt. Denn wir können noch nicht hinfliegen! Daher können wir nur das reflektierte oder emittierte Licht des Planeten verwenden, nur diesen spektralen Fingerabdruck. Und darum können wir auch nur einen Bruchteil des möglichen Lebens finden. Aber da wir noch nicht wissen, ob es auf einem anderen Körper als unserer Erde Leben gibt, ist unser Ansatz, Leben auf anderen Planeten zu finden, natürlich nach dem einen Planeten in unserem Sonnensystem modelliert, der Leben besitzt.
Die Sonnensystemforschung hat durch Missionen wie Cassini oder Huygens oder natürlich Marsmissionen enorm viel Aufwind bekommen, aber da ist noch viel ungelöst
Frau Grebel, was würden Sie gern unser Sonnensystem fragen?
Eva Grebel: Haben einige der Gasriesen wie Jupiter oder Saturn tatsächlich feste Kerne? In einigen Planetenentwicklungsmodellen geht man davon aus, dass erst ein fester Kern da sein muss, der praktisch das Samenkorn bildet, von dem aus dann die Planeten weiter wachsen können. Nur können wir das bisher nicht beobachten, wir können es auch bisher nicht nachweisen, weil es derzeit nicht möglich ist, Sonden in Gasriesen herunterzuschicken. Die Sonden werden durch den hohen Druck relativ schnell zerstört. Man kann die Atmosphäre bis zu einer gewissen Tiefe erforschen. Was darunter ist, können wir uns nur modellhaft erschließen. Eine andere Frage wäre: Wir wissen aus einer Vielzahl von Hinweisen, dass es früher flüssiges Wasser auf dem Mars gab – wohl in größeren Mengen. Wir sehen heute noch immer Eis. Wie hat sich das entwickelt? Auch da gibt es viele verschiedene Modelle, etwa dass der Mars in ganz frühen Phasen des Sonnensystems vielleicht sogar wasserbedeckt war, dass er warm genug war, flüssiges Wasser zu halten, dass er eine viel dichtere Atmosphäre hatte. Es gibt Theorien, wie das zerstört worden sein könnte, zum Beispiel durch gewaltige Asteroideneinschläge. Eine dritte Frage lautet, wie überhaupt Planetensysteme entstehen. Woraus ging das Sonnensystem hervor? Andere Fragen beziehen sich zum Beispiel auf Kuipergürtelobjekte oder Objekte in der Oortwolke: Was haben die für Eigenschaften, sind das tatsächlich einfach Eiskörper? Was sagen die uns, wenn wir sie näher untersuchen können, über die Entstehungsgeschichte, die ganz frühe Phase des Sonnensystems? Also auch da gibt es noch viele offene Rätsel. Die ganze Sonnensystemforschung hat durch Missionen wie Cassini oder Huygens oder natürlich Marsmissionen enorm viel Aufwind bekommen, aber da ist so viel ungelöst.
Wir haben zwar nur das Licht der Planeten, aber es erstaunt mich manchmal, wie viel wir mit Licht erforschen können
Lisa Kaltenegger: Unser Sonnensystem hat ja viel mit der Welt außerhalb zu tun. Darum ist es auch so spannend, Exoplanetensysteme zu finden. Sie stellen quasi einen Bausatz dar. Man schaut beispielsweise: Sind die jüngeren erdähnlichen Planeten heute so beschaffen, wie wir es anhand der geologischen Hinweise von unserer Erde kennen? Auf der anderen Seite beobachtet man das ganze System: Gibt es da vielleicht auch mehr als nur einen Planeten? Ich hatte als Studentin gelernt, dass es auf der Venus keine Plattentektonik gibt. Heute gehen wir aber genau davon aus, weil wir uns sonst einfach nicht erklären können, warum die Oberfläche der Venus so jung ist. Das heißt, es gibt eine besondere, metastabile Art von Tektonik auf der Venus, welche die Oberfläche hin und wieder komplett umzuwälzen scheint. Und diese wichtigen Effekte, wie Tektonik oder Vulkanismus, der auf einen geologisch aktiven Planeten wie unsere Erde hinweist, können wir jetzt auch bei anderen, nahen Planetensystemen überprüfen. Aus unserem System heraus zu schauen, wie sich die Sterne entwickeln, wie sich die Galaxien entwickeln, oder auch die Planeten, erlaubt uns, unser System in Kontext zu setzen und nicht auf diesem einen Datenpunkt zu sitzen ohne nach vorn oder weit zurück gehen zu können. Das ist eben das Spannende. Wir haben zwar nur das Licht der Planeten, aber es erstaunt mich manchmal, wie viel wir mit Licht erforschen können, einfach nur mit den Informationen, die wir durch Licht in unserem und von außerhalb unseres Sonnensystems bekommen.
Wie wird sich denn die astronomische Forschung langfristig weiterentwickeln?
Lisa Kaltenegger: Von der Technologieseite wird und muss Interferometrie für das Weltall kommen, weil wir einfach nicht immer größere Teleskope bauen können. James Webb ist ein Teleskop, das sich ausfaltet, aber da stoßen wir schon ziemlich an unsere technologischen Grenzen, auf Grund der Größe der Raketen, die wir für den Transport der Teleskope ins Weltall benutzen. Für das Optische und das Infrarote werden wir irgendwann auf multiple Satelliten umsteigen müssen, oder multiple Teleskope. Das machen wir ohnehin schon auf der Erde, mit VLT zum Beispiel oder bei Alma, wo man mehrere Antennen auf dem Boden zusammenschaltet. Das müssen wir in nächster Zeit auch im Weltall machen. Wir brauchen die Fläche, um die verschiedenen Systeme besser aufzulösen und um mehr Licht einzufangen und lichtschwache Objekte aufzuspüren. Wenn Sie jetzt kein 100-Meter-Teleskop im Weltall auffalten oder zusammenbauen können, dann müssen Sie es einfach mit Interferometrie machen. Ich glaube, das ist einer der großen Schritte, mit denen es weiter vorwärts gehen wird und der uns weitere neue Möglichkeiten und Geheimnisse im Weltall eröffnen wird. Oft wissen wir auch nicht, was genau wir noch entdecken werden. Sollten wir zum Beispiel wirklich die Gravitationswellen nachweisen, wird das interessant durch die neue Wellenlänge, mit der wir uns das Universum anschauen können. Es gibt viele Entdeckungen, die wir nicht prognostizieren können, und das ist normalerweise das Spannendste, das uns neue Einblicke ermöglicht.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
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