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News: Manchmal steht die Physik Kopf

Wir lernen es schon in der Schule: Ungleichnamige Ladungen ziehen sich an, gleichnamige stoßen sich ab. In besonderen Fällen stimmt das kurioserweise aber nicht. In Gegenwart einer Wand dürfen sich zwei gleich geladene Teilchen auch schon mal anziehen. Das Phänomen ist seit einigen Jahren bekannt und hat für einigen Wirbel in der Physik gesorgt. Ist das Coulombsche Gesetz plötzlich falsch? Nun haben amerikanische Physiker ein verblüffend einfaches Modell zur Erklärung präsentiert.
Gegensätze ziehen sich an. Gleiches dagegen stößt sich ab – aber nicht immer. Bereits 1994 überraschten zwei harmlose, winzig kleine Polystyrolkügelchen die Physikerin Grace Kepler von der Brandeis University dadurch, dass sie sich entgegen aller physikalischen Regeln aufeinander zu bewegten (Physical Review Letters vom 23. Januar 1994). Das hätten sie eigentlich nicht tun dürfen, da beide die gleiche negative elektrische Ladung trugen. In der Folgezeit beobachteten Wissenschaftler eine ganze Reihe dieser seltsamen Begebenheiten an ähnlichen Systemen. Komplexe Theorien entstanden, um das Verhalten zu erklären. Schließlich, drei Jahre später, stellten David Gier und Amy Larsen von der University of Chicago einige Versuche an, um dem Phänomen auf den Grund zu gehen.

Sie untersuchten die Bewegung kleiner Plastikperlen mit gleicher Ladung, die sie zuvor systematisch an verschiedenen Positionen innerhalb eines Glasbeckens ausgesetzt hatten. Die Physiker stellten fest, dass die Mikrometer großen Kügelchen sich gerade dann annäherten, wenn sie sich in der Nähe des Glasbodens aufhielten.

Michael Brenner vom Massachusetts Institute of Technology und Todd Squires von der Harvard University fanden heraus, dass offenbar die Bewegung der Kügelchen selbst für die "Anziehung" verantwortlich ist (Physical Review Letters vom 4. Dezember 2000, Abstract). Es handelt sich um einen hydrodynamischen Prozess. Die kleinen Teilchen werden von der negativ geladenen Glaswand des Gefäßes elektrostatisch abgestoßen. Durch die Bewegung entsteht ein Sog, der beide Kügelchen zusammen treiben lässt. Je nachdem welche Wechselwirkung stärker ist – die elektrostatische Abstoßung oder die hydrodynamische Bindung – bewegen sich die Kügelchen voneinander weg oder aufeinander zu.

Squires und Brenner haben das alte Experiment von Gier und Larsen auf dem Computer simuliert und nur einen Parameter offen gelassen – die Ladung der Glasschüssel. Ihre Ergebnisse passen gut zu den experimentellen Befunden. "Dies könnte eine langanhaltende Kontroverse bereinigen", meint Gier, allerdings ist die Funktion des freien Parameters noch unklar.

Leider erklärt die dynamische Betrachtunsweise auch nicht alle Experimente. Forscher haben unter anderem auch viele Versuche zur anormalen Anziehung im Gleichgewichtszustand durchgeführt, bei denen die Teilchen nur noch eine Zitterbewegung – Brownsche Bewegung – um ihre Ruhelage machen. Bei diesen Systemen versagt die neue Theorie zunächst. Nichtsdestotrotz zeigt sich David Weitz von der Harvard University zufrieden: Es handelt sich um "eine sehr einfache, elegante Erklärung", welche die Effekte wesentlich besser zu deuten vermag, als es komplexere Theorien bislang vermocht haben. "Coulomb ist immer noch richtig", ergänzt Weitz.

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