Tiefseebergbau: Jahrelang schwebende Schlammwolken
Auf der anderen Seite der Erdkugel und tief unter der Meeresoberfläche wartet der nächste Rohstoffboom. Oder die nächste Umweltkatastrophe, je nachdem, wen man fragt. Manganknollen sind das Objekt der Begierde, doch die Folgen ihrer Ernte vom Boden der Tiefsee sind umstritten. Und die Zeit drängt. Die Entwicklung von Abbautechniken von metallreichen Ablagerungen am Ozeanboden tritt derzeit in eine entscheidende Phase. In den kommenden Jahren bereits könnte der kommerzielle Abbau beginnen.
Manganknollen, faustgroße Ausfällungen von Metalloxiden auf dem Tiefseegrund, enthalten hauptsächlich Eisen und Mangan, gemischt mit abbauwürdigen Konzentrationen von Nickel, Kupfer und Kobalt. In manchen Bereichen liegen sie so dicht beieinander, dass sich bis zu 20 Kilogramm pro Quadratmeter »ernten« lassen. Allein das Ausmaß des pazifischen Manganknollengürtels verspricht fast unermesslichen Gewinn: Er ist größer als die Europäische Union; die Gesamtmenge der Knollen liegt bei geschätzten 25 bis 40 Milliarden Tonnen Nassgewicht.
Von der weit verbreiteten Technologiebegeisterung der frühen 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, als der vermeintliche Schatzhort in der Tiefsee ins allgemeine Bewusstsein rückte, ist allerdings nicht mehr viel zu spüren. Vielmehr spitzt sich derzeit der Streit um die Deutungshoheit zu, ob und wo Bergbau den Lebensraum der dort lebenden Tieren stört – oder sogar zerstört.
In einem Beitrag in den »Proceedings of the National Academy of Sciences« kritisiert eine Gruppe von Wissenschaftlern, dass verschlammte Abwässer nach dem Waschen der Erze in die Wassersäule unter den Arbeitsschiffen geleitet werden sollen. »Tiefsee-Bergbau bedeutet ein signifikantes Risiko für das Ökosystem in mittleren Wassertiefen«, schreiben die Forscher um den Meeresbiologen Jeff Drazen von der University of Hawaii in Honolulu. Diese reichen von etwa 200 bis 5000 Meter Tiefe und enthalten laut den Verfassern etwa zehn Milliarden Tonnen Fisch, hundertmal mehr, als jährlich weltweit gefangen wird.
Gigantische wandernde Schlammwolken
Das Problem: Damit der aufwändige Tiefseebergbau rentabel wird, müssen riesige Areale ausgebeutet werden. Die Studienautoren geben an, dass allein ein einziges Unternehmen voraussichtlich bis zu 600 Quadratkilometer Meeresboden pro Jahr umgraben wird. Jeden Tag fielen dabei 50 000 Kubikmeter Abraumwässer an, die ins Meer geleitet würden – eine Suspension aus Meerwasser und geschätzten acht Kilogramm Sediment und Erzbruchstücken pro Tonne. Hochgerechnet auf eine Betriebszeit von 30 Jahren ergäbe das eine Menge von 500 Millionen Tonnen schlammigen Abwassers.
Die Befürchtung von Drazen und seinen Kollegen: Die feinkörnigen Sedimente könnten zusammen mit gelösten, toxischen Metallen riesige Schmutzwolken bilden. Die könnten jahrelang in der Wassersäule bleiben und hunderte Kilometer durch die Ozeane getragen werden.
Schmutzwolken könnten jahrelang in der Wassersäule bleiben und hunderte Kilometer durch die Ozeane getragen werden
»Die Frage ist, ob dies das Nahrungsangebot verdünnt«, sagt Jeff Drazen. »In diesem Fall würden Organismen ein großen Teil ihrer Zeit damit verbringen, Sedimentpartikel zu durchsieben, um an die wenigen organischen Nahrungsteilchen zu gelangen, die von der Oberfläche herabrieseln.« Die am meisten betroffene Tiergruppe seien Filtrierer, beispielsweise Quallen und Manteltiere. Ausschließlich kristallklares Wasser gewohnt, seien ihre Filterapparate nicht konstruiert, um große Mengen an Partikeln zu verarbeiten. »Sie werden sehr viel Energie aufbringen, ohne dass was dabei für sie herausspringt.«
Drazens Befürchtung hinsichtlich des Ausmaßes von Tiefseebergbau, aber vor allem die Menge der zu erwartenden Abwässer sowie die Tiefen, in denen diese ins Meer gelangen, mag Samatha Smith nicht teilen.
Smith verantwortet das Nachhaltigkeits-Management bei Global Sea Mineral Resources (GSR), einer Tochtergesellschaft des belgischen Baggerei-Konzerns DEME. GSR plant, ab 2027 in der rohstoffreichen Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) zwischen Hawaii und Mexiko Manganknollen abzubauen.
Wohin mit dem Waschwasser?
»Unser Hauptziel ist es, die Knollen noch am Meeresgrund zu waschen und die Sedimente dort zu lassen«, so Smith. Anschließend werden die Knollen zusammen mit Meerwasser über eine Leitung hoch zu einem Arbeitsschiff gepumpt. »Wir trennen das Meerwasser dann von den Knollen und leiten es zurück ins Meer, aber mit sehr wenig Sediment«, so Smith.
»Da das Wasser aus der Tiefsee stammt, wollen wir es lieber nicht mit Organismen an der Oberfläche in Kontakt bringen. Derzeit kenne ich kein Unternehmen, das diese Abwässer in weniger als 1500 Meter Tiefe zurückleiten will, sondern deutlich darunter.« Wie tief genau werde DEME zumindest für sich entscheiden, sobald Studien zu den ökologischen Auswirkungen und zur Wirtschaftlichkeit vorlägen, so Smith. Das Unternehmen erwäge sogar, das Abraumwasser bis zum Meeresgrund zurückzuleiten.
Allerdings könne DEME noch keine Angaben zur Menge des Abwassers und auch nicht zur darin enthaltenen Sedimentmenge machen. »Daran wird noch gearbeitet. Drazens Zahlen beruhen auf einer 20 Jahre alten Studie. Ich denke, das können wir besser«, so Smith.
Wie viel genau das sein wird, bleibt aber noch abzuwarten. Zunächst soll 2021 die Erntemaschine Patania II in der CCZ getestet werden. Der Prä-Prototyp ist eine Mischung aus Staubsauger und Kartoffelroder, und soll verbunden mit einem Versorgungsstrang in etwa 4500 Meter Tiefe Manganknollen einsammeln. Verlaufen die Tests mit dem 25 Tonnen schweren, zwölf Meter lang und vier Meter breiten Roboter erfolgreich, wird 2023 Patania III gebaut. Erst der finale Prototyp, viermal größer als sein Vorgänger, wird Manganknollen hoch zu einem Arbeitsschiff pumpen, so der Plan.
Doch es ist nicht die Sedimentwolke allein, welche Meeresbiologen Sorgen bereitet. Bereits in früheren Untersuchungen zeigte sich, dass die sensible Ökologie in der Tiefsee nachhaltig gestört wird, wenn Roboter die feinkörnigen Sedimente durchwühlen. 1989 simulierten Wissenschaftler der Universität Hamburg mit einem Pflug den Abbau von Manganknollen. Als Wissenschaftler von GEOMAR und AWI 26 Jahre später Tauchroboter hinabschickten, fanden sie die Pflugspuren des DISCOL genannten Experiments weitgehend unverändert und die mikrobakterielle Aktivität um das Vierfache vermindert. Die Forscher gehen davon aus, dass die Bakterien in den obersten 20 Zentimetern leben und häufig an den Krusten der Manganknollen haften. Werden diese Schichten umgegraben und die Knollen geerntet, verschwindet auch der mikrobielle Lebensraum – für (fast) immer. Eine Manganknolle wächst zwischen 2 und 100 Millimeter in einer Million Jahren.
Folgen für den ganzen Ozean
Dabei stellt sich die Frage, ob Mikroorganismen in ozeanischen Sedimenten eine ökologisch wichtige Rolle spielen, wenn man den Abbau in der Tiefsee dem Bergbau in ökologisch sensiblen, oberirdischen Regionen gegenüberstellt. Smith verweist in diesem Zusammenhang auf den erhöhten Bedarf an den Elementen Nickel und Kobalt, die für eine nachhaltige Energiewende unabdingbar seien. Ihre Lagerstätten lägen aber häufig in tropischen Regenwäldern.
Doch nach Ansicht von Drazen sind nicht nur Kleinstlebewesen betroffen. »Das Spektrum reicht von Mikroben über Fische bis zu Walen. Ich glaube, dass viele Menschen nicht begreifen, wie eng unsere Gesellschaft mit dem tieferen Ozean verbunden ist. Zahlreiche Fischarten tauchen in große Tiefen hinab und ernähren sich von den Lebewesen, die dort leben. Es hat sich zum Beispiel herausgestellt, dass die Clarion-Clipperton-Zone sich mit zahlreichen Fanggebieten von Tunfisch überschneidet.«
Während Drazen und seine Kollegen bisher nur anmahnen, die Untersuchungen auf die gesamte Wassersäule auszuweiten und Bergbautechnologien zu optimieren, verlangen die Verfasser einer Metastudie in »PNAS« ein Moratorium für Bergbau in der Tiefsee. Die Studienautoren um Andrew Chin und Katelyn Hari von der James Cook University im australischen Townsville werteten 250 Studien aus, um die Auswirkungen von Tiefseebergbau auf die Umwelt und auch die sozialen Folgen abzuschätzen. Die von der kanadischen Umweltorganisation »Mining Watch« unterstützte Studie kommt zum Schluss, dass die »wissenschaftliche Beweislast darauf hindeutet, dass die Auswirkungen von Manganknollen-Bergbau umfangreich, schwer wiegend und über Generationen reichen würden sowie unumkehrbaren Schaden anrichten würde«.
Ein Moratorium für den Tiefseebergbau?
Die Forderung ist die bislang letzte einer Reihe von Versuchen, die wirtschaftlichen Aktivitäten am Meeresgrund zu bremsen. Die Präsidenten der pazifischen Inselstaaten Vanuatu, Fidschi und Papua-Neuguinea kündigten im Sommer 2019 einen Zehn-Jahres-Aufschub für die Region an. Ein Jahr zuvor hatte das EU-Parlament in einer Resolution die Kommission aufgefordert, keine kommerziellen Konzessionen zu vergeben, bis alle Risiken voll verstanden sind. Und in den USA zwang das Center for Biological Diversity die US-Ozeanografiebehörde NOAA 2016 per Gerichtsbeschluss, Umweltstudien auszuführen, bevor es eine Lizenz an das OMCO Seabed Exploration vergeben darf, ein Tochterunternehmen des Technologie-Giganten Lockheed Martin.
Die lauter werdenden Forderungen nach einem vorläufigen Halt aller Ausbeutungsabsichten dürfte die Bergbauunternehmen alarmieren. Für das Jahr 2021 plant die International Seabed Authority (ISA) nach jahrelangen Verhandlungen einen Mining Code herauszugeben, eine lang ersehnte, rechtliche Regulierung des Tiefseebergbaus.
Möglicherweise hat die Industrie den Zeitpunkt für die Erschießung der Ressource schlicht verpasst. Schon vor 40 Jahren legten Unternehmen die Grundlagen für den Abbau – Lockheed Martin beispielsweise gab eigenen Angaben zufolge bis Mitte der 1980er Jahre mehr als 500 Millionen US-Dollar dafür aus – doch es gab auch zwei gute Gründe, den Schritt zur kommerziellen Förderung nicht zu machen. Zum einen ist einer der wertvollsten Bestandteile der Knollen das Metall Nickel. Dessen realer Preis sackte aber von Anfang der 70er Jahre ab und blieb bis Ende der 80er auf niedrigem Niveau.
»Man hat gesehen, wie schwierig es ist, mit 168 Mitgliedsstaaten ein Dokument zu entwickeln, für das alle grünes Licht geben«
Annemiek Vink
Zum anderen gab es für Unternehmen keinen Weg, ihre Investitionen mit einer Schürflizenz rechtlich abzusichern – das gilt bis heute. »Der wichtigste Grund ist, dass es noch keine Regularien gibt«, sagt Annemiek Vink von der Bundesanstalt für Rohstoffe (BGR) in Hannover. »Die ISA ist dabei, welche zu entwickeln. Aber man hat gesehen, wie schwierig es ist, mit 168 Mitgliedsstaaten ein Dokument zu entwickeln, für das alle grünes Licht geben.« Die erst 1994 gegründete Internationale Meeresbodenbehörde ISA hat zwar weltweit bereits 30 Lizenzen an Regierungen und Unternehmen in 22 Ländern für insgesamt 1,3 Millionen Quadratkilometer erteilt. Diese dienen allerdings nur der Erforschung und Technologieerprobung. Der geplante Mining Code soll dagegen die Bedingungen des tatsächlichen Tiefseebergbaus definieren.
Ungleiche Partner
Auch Deutschland hält über die BGR ein 75 000 Quadratkilometer großes Lizenzgebiet in der Clarion-Clipperton-Zone. Die BGR stellt sie wiederum DEME für seine Technologieerprobung zur Verfügung. Die Forschungslizenz des BGR läuft kommendes Jahr aus, soll aber voraussichtlich um fünf Jahre verlängert werden.
Das ist kein Zufall, denn die BGR definiert sich nicht nur als ökonomisch ausgerichtete Rohstoffbehörde, sondern auch als Forschungsinstitution. DEME, aber auch andere in der Tiefsee tätige Unternehmen wie Lockheed Martin aus den USA und Deep Green aus Kanada bemühen sich sehr, die Wissenschaftsgemeinde in ihre Vorhaben einzubinden.
»Die ISA hat Studien im pelagischen Bereich angefordert«, sagt Samantha Smith von DEME. »Ohne diese Studien bekommt keiner der Kontraktoren eine Lizenz.« So habe DEME beispielsweise eine vier Kilometer lange Verankerung in der CCZ installiert, um das ökologische Regime dort langfristig zu verstehen. Zudem arbeite DEME mit dem Wissenschaftsprojekt MiningImpact zusammen, an dem 28 europäische Forschungsinstitute sowie das BGR beteiligt sind. Mit der Forderung nach mehr Forschung läuft die Studie von Drazen also offene Türen ein.
»Es gibt noch keine konkreten Pläne«, so Smith. »Der Abbau ist nicht vor 2027 geplant. Da ist also noch Zeit, um zu lernen und das Engineering anzupassen.« Ein Moratorium ergebe aber keinen Sinn, denn es würde genau das verhindern.
Der Zwang zur wissenschaftlichen Bestandsaufnahme führt teils zu kurios anmutenden Kooperationen der Protagonisten. Beispielsweise arbeitet Jeff Drazen für eine Studie mit DeepGreen zusammen und erhält dafür auch Mittel – also von einem der Unternehmen, deren Vorgehen er nun kritisiert.
Tiefseebergbau ist komplizierter als gedacht
Unabhängig davon, ob es zu einem Moratorium kommt oder zu einem verbindlichen Abkommen der ISA-Mitgliedsstaaten: Es ist alles andere als sicher, dass es den Bergbauunternehmen bald gelingt, eine Tiefseemine fehlerfrei und Gewinn bringend zu betreiben. Denn die technischen Herausforderungen sind enorm.
Erst im Herbst vergangenen Jahres musste das Unternehmen Nautilus Minerals Inc. aus Geldmangel seinen Plan aufgeben, vor der Küste Neu-Guineas Metallsulfid-Erze abzubauen. Der Staat Neu-Guinea verlor dabei als Projektpartner nach Angaben von Premierminister James Marape umgerechnet mehr als 75 Millionen Euro.
Zwar handelt es sich dabei um einen völlig anderen Lagerstätten-Typ, doch auch der Abbau der Manganknollen in über 4000 Meter Tiefe bei mehr als 400 Bar Wasserdruck stößt auf technische Hürden, wie auch DEME erfahren musste. Während das Unternehmen bei Komponenten wie hydraulischen Pumpsystemen schon über Erfahrung verfügt, ist vor allem die Technik der Ernte-Maschinen und ihrer Energieversorgung riskantes Hightech-Neuland. Das Gefährt Patania II sollte ursprünglich bereits 2019 erprobt werden. Aber der Versorgungsstrang wurde im Vorfeld derart schwer beschädigt, dass die gesamte Forschungsfahrt ins Wasser fiel.
Langfristig dürfte Tiefseebergbau jedoch nicht eine Frage der technischen Machbarkeit sein, sondern der Überlegung, welche Landschaften der Mensch für seine dringend benötigten Ressourcen ausbeuten will. Für Drazen, den Meeresbiologen, ist die Antwort klar. »Warum sollten wir unseren menschlichen Fußabdruck in einer so makellosen Landschaft wie dem Tiefseeboden hinterlassen? Ich denke, wir sollten dort weitermachen, wo wir schon aktiv sind.«
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