Forschungspolitik: Mangelhaftes Management
Dass bei internationalen Forschungsgroßprojekten regelmäßig die Kosten explodieren, ist kein Naturgesetz, sagen Experten: Schuld ist das noch immer unprofessionelle Management.
Magnete aus Russland, supraleitende Kabel aus Finnland, Beschleunigerrohre aus den USA – das größte Experiment der Welt, der Large Hadron Collider (LHC) am Europäischen Kernforschungszentrum CERN bei Genf, ist ein Puzzle, dessen Teile aus aller Welt kommen. Mehr als 20 Länder sind an dem Megaforschungsprojekt beteiligt, darunter auch Deutschland. Hauptsächlich bringen sie Sachleistungen, Knowhow und Arbeitskraft ein. Der LHC zeigt, wie große Forschungsinfrastrukturen heute entstehen: durch weltweite Kooperation eines ganzen Heers von Wissenschaftlern.
Letzterer gehört mit Kosten von rund 1,2 Milliarden Euro zu den teuersten Forschungsanlagen, die derzeit in Europa geplant sind. Er beschleunigt geladene Atome auf beinahe Lichtgeschwindigkeit und erzeugt Ionenstrahlen mit bisher unerreichter Intensität. Mit ihrer Hilfe wollen Forscher den Aufbau von Atomkernen studieren, also untersuchen, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Mehr als nur die Kostenfrage
Es sei nicht die Kostenfrage, die die Nationen zur Zusammenarbeit motiviere, sagt Ingo Peter, Pressesprecher des Darmstädter GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung, an dessen bestehende Anlage der FAIR angeschlossen werden soll. Die Kosten werden zu maximal 75 Prozent von Deutschland getragen; den Rest teilen sich die Partnerländer. Viel wichtiger sei die Expertise von Wissenschaftlern aus aller Welt, die zusammengebracht werden müsse, um ein solches Großprojekt zu schultern. Das fing schon bei der Planung an: Die Größe der Beschleunigeranlage, die Frage, welche Teilchendetektoren und Messgeräte gebaut werden sollen – all das wurde Ende der 1990er Jahre von Physikern aus aller Welt diskutiert und letztlich festgelegt. "So wurde sichergestellt, dass die Anlage den Ansprüchen möglichst vieler Physiker gerecht wird und dass sie auch Forscher aus aller Welt nutzen", sagt Peter.
"Darüber hinaus haben Experten aus unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Stärken", so Peter. Russische Forscher seien beispielsweise besonders kompetent im Bau von supraleitenden Magneten.
Prüfstein für die Zusammenarbeit
Der Beschleuniger in Darmstadt ist nur eine von mehr als 40 großen internationalen Forschungsinfrastrukturen, die laut der Roadmap des Europäischen Strategieforums für Forschungsinfrastrukturen (ESFRI) bis 2020 realisiert werden sollen. Ebenfalls darunter sind etwa ein Riesenteleskop, ein Forschungseisbrecher oder internationale Plattformen zum Austausch wissenschaftlicher Daten.
"Nicht alle Projekte haben die gleiche Chance auf Realisierung", räumt der ESFRI-Vorsitzende Carlo Rizzuto ein, Physikprofessor und Vorsitzender des Elettra Synchrotron Light Laboratory in Triest. Zwar seien sie gleich wichtig, um Europa in den meisten Wissenschaftsfeldern weltweit konkurrenzfähig zu machen, denn sie seien aus 250 Projektvorschlägen ausgewählt worden. Aber erstens stünden keine endlosen finanziellen Ressourcen zur Verfügung, und zweitens gebe es in Europa keine föderale Körperschaft, die die politische, wissenschaftliche und finanzielle Kraft hätte, Entscheidungen schnell und effektiv umzusetzen. In dieser Hinsicht unterscheide sich Europa von großen und wachsenden Wirtschaftsmächten wie den USA, China oder Indien.
Konkrete Projekte stünden trotzdem nicht auf der Kippe. "Lediglich ein oder zwei der Projekte könnten anders betrieben werden als vorgesehen, etwa indem man sie stärker mit der Industrie in Verbindung bringt und der Zugang somit nicht allein auf Basis wissenschaftlicher Exzellenz geregelt werden müsste", sagt Rizzuto.
Unterschätzte Komplexität
ITER ist nicht das einzige Projekt, bei dem die Kosten aus dem Ruder laufen. Um Beispiele zu nennen: Beim deutschen experimentellen Fusionsreaktor "Wendelstein 7-X" in Greifswald sind die Investitionskosten gegenüber der ursprünglichen Schätzung um 50 Prozent auf 370 Millionen Euro gestiegen – die Gesamtkosten werden etwa 794 Millionen Euro betragen. Und die Inbetriebnahme soll, Jahre später als geplant, erst 2014 stattfinden. In den USA wurde 2008 der Bau des Forschungsfusionsreaktors National Compact Stellarator Experiment (NCSX) gestoppt, weil die Kosten um 70 Prozent gestiegen waren und das Projekt sich um Jahre verzögerte. Auch die Inbetriebnahme von FAIR wird sich um Jahre verschieben.
Der Physiker und Organisationswissenschaftler Wolfgang Meissner sieht als wesentlichen Grund für die Fehleinschätzungen, dass die Komplexität der Projekte unterschätzt wurde. "Große Forschungsanlagen haben in den letzten 15 Jahren den Labormaßstab verlassen", sagt Meissner, der als Auditor der EU für Fusionsanlagen und als Berichterstatter für ESFRI tätig ist.
Bei manchen Projekten wird dies schon durch ungünstige Rahmenbedingungen erschwert. Bei ITER beispielsweise liefern die Partnerländer, ähnlich wie beim LHC, Sachleistungen. "Das ITER-Management kann nicht jederzeit bei allen Lieferanten in die Fabrikhallen vor Ort gehen, um den aktuellen Fortschritt der Arbeiten zu überprüfen", sagt Meissner. "Dieses Recht ist leider nicht in den Verträgen mit den Partnerländern abgesichert."
Verantwortung der Politik
Auch die Politiker trügen Mitverantwortung an den Kostensteigerungen, meint Meissner. Es gebe keinen politischen Willen, Management- und Aufsichtsratsstrukturen einzuführen, wie sie in der Industrie üblich seien. "Die Politik kann mit der Unsicherheit nicht umgehen, die komplexe Projekte mit sich bringen", sagt der Berater. Sie würde vor Projektbeginn von den Wissenschaftlern feste Zahlen zu den Kosten und der benötigten Zeit verlangen. "Diese sind aber zu einem so frühen Zeitpunkt oft nicht genau abschätzbar, da moderne Forschungsanlagen prinzipiell technologisches Neuland betreten und das Design der Komponenten während der Umsetzung oft geändert werden muss." Politiker müssten während der Projektplanung präzisere Zahlen verlangen und erst danach die endgültige Projektfreigabe erteilen, fordert Meissner. Außerdem sollte man besser mehrstufige Finanzierungspläne beschließen, so dass kleinere Projekte als anfangs geplant abgeschlossen werden können.
Die Möglichkeit zu Letzterem bestehe bereits, sagt Rizzuto. "In den meisten Fällen haben die Projekte eine verteilte oder gestufte Struktur und können technisch in aufeinander folgenden Schritten realisiert werden", so der Physiker. Auf diese Weise könnten Vereinbarungen getroffen werden, ein Projekt mit einer niedrigeren Investition zu beginnen und in der Zukunft zu vergrößern.
Auch die EU steuert offenbar gegen und versucht, Kostenexplosionen bei Forschungsinfrastrukturen einzudämmen, wohl nicht zuletzt auf Grund der aktuellen Finanzkrise. Die EU-Kommission hat eine Expertengruppe für Kosten und Management eingerichtet, die die Erfahrungen mit Forschungsgroßprojekten dokumentiert – gute wie schlechte. "Auf dieser Basis sollen Handlungsempfehlungen entstehen, die helfen, Probleme zu vermeiden", sagt Rizzuto. "Insbesondere solche, die sich ergeben, wenn es zu starken politischen Druck in der technischen Vorbereitungs- und Designphase gibt", sagt der Physiker. Dass das Management lernfähig ist, zeigt etwa das Projekt Wendelstein 7-X: "Nach erheblichen Schwierigkeiten am Anfang bewegt sich das Projekt W7-X nunmehr seit einigen Jahren im vorgesehenen Zeit- und Kostenrahmen", sagt Meißner und lobt die EU-Expertengruppe: "Sie wird Wirkung zeigen", ist er überzeugt. "Es ist die erste Gruppe, die für alle Projekte gültige Standards erarbeitet und der internationalen Politik vorschlägt."
Anders geht es kaum noch. Im Alleingang eine Forschungsanlage zu bauen, die zur Weltspitze gehört, würde jedem Land schwerfallen. Das gilt nicht nur für den LHC, sondern auch für den in Südfrankreich geplanten Fusionsreaktor ITER, den bei Hamburg im Bau befindlichen Röntgenlaser X-FEL oder den in Darmstadt geplanten Teilchenbeschleuniger FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research).
Letzterer gehört mit Kosten von rund 1,2 Milliarden Euro zu den teuersten Forschungsanlagen, die derzeit in Europa geplant sind. Er beschleunigt geladene Atome auf beinahe Lichtgeschwindigkeit und erzeugt Ionenstrahlen mit bisher unerreichter Intensität. Mit ihrer Hilfe wollen Forscher den Aufbau von Atomkernen studieren, also untersuchen, was die Welt im Innersten zusammenhält.
Mehr als nur die Kostenfrage
Es sei nicht die Kostenfrage, die die Nationen zur Zusammenarbeit motiviere, sagt Ingo Peter, Pressesprecher des Darmstädter GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung, an dessen bestehende Anlage der FAIR angeschlossen werden soll. Die Kosten werden zu maximal 75 Prozent von Deutschland getragen; den Rest teilen sich die Partnerländer. Viel wichtiger sei die Expertise von Wissenschaftlern aus aller Welt, die zusammengebracht werden müsse, um ein solches Großprojekt zu schultern. Das fing schon bei der Planung an: Die Größe der Beschleunigeranlage, die Frage, welche Teilchendetektoren und Messgeräte gebaut werden sollen – all das wurde Ende der 1990er Jahre von Physikern aus aller Welt diskutiert und letztlich festgelegt. "So wurde sichergestellt, dass die Anlage den Ansprüchen möglichst vieler Physiker gerecht wird und dass sie auch Forscher aus aller Welt nutzen", sagt Peter.
"Darüber hinaus haben Experten aus unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Stärken", so Peter. Russische Forscher seien beispielsweise besonders kompetent im Bau von supraleitenden Magneten.
"Große Forschungsanlagen haben in den letzten 15 Jahren den Labormaßstab verlassen. Sie verlangen ein Management, wie es in der Industrie üblich ist."
Wolfgang Meissner
Ohne die Sachbeiträge von ausländischen Partnern könne die Anlage nicht gebaut werden, weil Deutschland allein nicht über genügend Produktionskapazitäten, beispielsweise Reinräume, verfüge.Wolfgang Meissner
Prüfstein für die Zusammenarbeit
Der Beschleuniger in Darmstadt ist nur eine von mehr als 40 großen internationalen Forschungsinfrastrukturen, die laut der Roadmap des Europäischen Strategieforums für Forschungsinfrastrukturen (ESFRI) bis 2020 realisiert werden sollen. Ebenfalls darunter sind etwa ein Riesenteleskop, ein Forschungseisbrecher oder internationale Plattformen zum Austausch wissenschaftlicher Daten.
"Nicht alle Projekte haben die gleiche Chance auf Realisierung", räumt der ESFRI-Vorsitzende Carlo Rizzuto ein, Physikprofessor und Vorsitzender des Elettra Synchrotron Light Laboratory in Triest. Zwar seien sie gleich wichtig, um Europa in den meisten Wissenschaftsfeldern weltweit konkurrenzfähig zu machen, denn sie seien aus 250 Projektvorschlägen ausgewählt worden. Aber erstens stünden keine endlosen finanziellen Ressourcen zur Verfügung, und zweitens gebe es in Europa keine föderale Körperschaft, die die politische, wissenschaftliche und finanzielle Kraft hätte, Entscheidungen schnell und effektiv umzusetzen. In dieser Hinsicht unterscheide sich Europa von großen und wachsenden Wirtschaftsmächten wie den USA, China oder Indien.
Konkrete Projekte stünden trotzdem nicht auf der Kippe. "Lediglich ein oder zwei der Projekte könnten anders betrieben werden als vorgesehen, etwa indem man sie stärker mit der Industrie in Verbindung bringt und der Zugang somit nicht allein auf Basis wissenschaftlicher Exzellenz geregelt werden müsste", sagt Rizzuto.
Als Prüfstein dafür, wie gut internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit bei groß angelegten Projekten klappt, gilt der geplante Fusionsreaktor ITER, der im südfranzösischen Caradache gebaut werden soll. Die EU und sechs weitere Länder wollen mit dem gemeinsamen Großprojekt untersuchen, ob sich aus der Kernfusion im großen Stil Energie gewinnen lässt. Vor Kurzem wurde bekannt, dass allein der europäische Anteil an ITER um mehr als vier Milliarden Euro teurer wird als 2001 geschätzt.
Unterschätzte Komplexität
ITER ist nicht das einzige Projekt, bei dem die Kosten aus dem Ruder laufen. Um Beispiele zu nennen: Beim deutschen experimentellen Fusionsreaktor "Wendelstein 7-X" in Greifswald sind die Investitionskosten gegenüber der ursprünglichen Schätzung um 50 Prozent auf 370 Millionen Euro gestiegen – die Gesamtkosten werden etwa 794 Millionen Euro betragen. Und die Inbetriebnahme soll, Jahre später als geplant, erst 2014 stattfinden. In den USA wurde 2008 der Bau des Forschungsfusionsreaktors National Compact Stellarator Experiment (NCSX) gestoppt, weil die Kosten um 70 Prozent gestiegen waren und das Projekt sich um Jahre verzögerte. Auch die Inbetriebnahme von FAIR wird sich um Jahre verschieben.
Der Physiker und Organisationswissenschaftler Wolfgang Meissner sieht als wesentlichen Grund für die Fehleinschätzungen, dass die Komplexität der Projekte unterschätzt wurde. "Große Forschungsanlagen haben in den letzten 15 Jahren den Labormaßstab verlassen", sagt Meissner, der als Auditor der EU für Fusionsanlagen und als Berichterstatter für ESFRI tätig ist.
Zuvor hätten Fehler in der Planung oder beim Management durch den Enthusiasmus und das Engagement der Wissenschaftler ausgebügelt werden können, sagt der Physiker. "Die heutigen, viel komplexeren Anlagen hingegen verlangen ein Management, wie es in der Industrie üblich ist." Ansonsten seien massive Kostensteigerungen nicht zu vermeiden. Man brauche ein Management, das Fehlentwicklungen frühzeitig erkennt, thematisiert und korrigiert.
Bei manchen Projekten wird dies schon durch ungünstige Rahmenbedingungen erschwert. Bei ITER beispielsweise liefern die Partnerländer, ähnlich wie beim LHC, Sachleistungen. "Das ITER-Management kann nicht jederzeit bei allen Lieferanten in die Fabrikhallen vor Ort gehen, um den aktuellen Fortschritt der Arbeiten zu überprüfen", sagt Meissner. "Dieses Recht ist leider nicht in den Verträgen mit den Partnerländern abgesichert."
Verantwortung der Politik
Auch die Politiker trügen Mitverantwortung an den Kostensteigerungen, meint Meissner. Es gebe keinen politischen Willen, Management- und Aufsichtsratsstrukturen einzuführen, wie sie in der Industrie üblich seien. "Die Politik kann mit der Unsicherheit nicht umgehen, die komplexe Projekte mit sich bringen", sagt der Berater. Sie würde vor Projektbeginn von den Wissenschaftlern feste Zahlen zu den Kosten und der benötigten Zeit verlangen. "Diese sind aber zu einem so frühen Zeitpunkt oft nicht genau abschätzbar, da moderne Forschungsanlagen prinzipiell technologisches Neuland betreten und das Design der Komponenten während der Umsetzung oft geändert werden muss." Politiker müssten während der Projektplanung präzisere Zahlen verlangen und erst danach die endgültige Projektfreigabe erteilen, fordert Meissner. Außerdem sollte man besser mehrstufige Finanzierungspläne beschließen, so dass kleinere Projekte als anfangs geplant abgeschlossen werden können.
"Die Politik kann mit der Unsicherheit nicht umgehen, die komplexe Projekte mit sich bringen."
Wolfgang Meissner
Wolfgang Meissner
Die Möglichkeit zu Letzterem bestehe bereits, sagt Rizzuto. "In den meisten Fällen haben die Projekte eine verteilte oder gestufte Struktur und können technisch in aufeinander folgenden Schritten realisiert werden", so der Physiker. Auf diese Weise könnten Vereinbarungen getroffen werden, ein Projekt mit einer niedrigeren Investition zu beginnen und in der Zukunft zu vergrößern.
Auch die EU steuert offenbar gegen und versucht, Kostenexplosionen bei Forschungsinfrastrukturen einzudämmen, wohl nicht zuletzt auf Grund der aktuellen Finanzkrise. Die EU-Kommission hat eine Expertengruppe für Kosten und Management eingerichtet, die die Erfahrungen mit Forschungsgroßprojekten dokumentiert – gute wie schlechte. "Auf dieser Basis sollen Handlungsempfehlungen entstehen, die helfen, Probleme zu vermeiden", sagt Rizzuto. "Insbesondere solche, die sich ergeben, wenn es zu starken politischen Druck in der technischen Vorbereitungs- und Designphase gibt", sagt der Physiker. Dass das Management lernfähig ist, zeigt etwa das Projekt Wendelstein 7-X: "Nach erheblichen Schwierigkeiten am Anfang bewegt sich das Projekt W7-X nunmehr seit einigen Jahren im vorgesehenen Zeit- und Kostenrahmen", sagt Meißner und lobt die EU-Expertengruppe: "Sie wird Wirkung zeigen", ist er überzeugt. "Es ist die erste Gruppe, die für alle Projekte gültige Standards erarbeitet und der internationalen Politik vorschlägt."
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