Meeresbiologie: Mare incognita
In Europa oder Nordamerika gibt es nichts mehr zu entdecken? Von wegen! Man muss nur über den kontinentalen Tellerrand hinwegsehen und sich ins Meer wagen: dorthin, wo das Unbekannte lauert.
Bestätigten Gerüchten zufolge weiß die Menschheit mehr über Mond und Mars als über die Tiefsee des eigenen Planeten. Selbst Regionen wie Europa, deren Landlebewesen – zumindest bei den Wirbeltieren – weit gehend erfasst scheinen, haben noch weiße Löcher in ihren Schelfmeeren und Kontinentalabhängen. Während man bislang ungefähr 1,5 Millionen terrestrische Arten kennt, berechnen Wissenschaftler die Zahl der erfassten Meerestiere auf etwa 230 000 Spezies: von der kleinen Mikrobe bis zum riesigen Blauwal. Die Gesamtsumme liegt aber wohl um einiges höher, denn die Ozeane bedecken schließlich eine größere Fläche als das feste Land.
Im Prinz-William-Sund Alaskas entdeckten Wissenschaftler Kolonien von so genannten Rhodolithen: korallenartiger roter Seetang, der wie Spielzeug aussieht und auf dem Meeresboden mit der Brandung hin und her rollt. Damit schaffen die Pflanzen Mulden, die Muscheln, Garnelen oder anderen Wirbellosen als Kinderstube dienen.
Als einmaliges Ökosystem mit einzigartigen Tieren sind die Schwarzen Raucher und hydrothermalen Tiefseequellen bekannt, und auch weiterhin erscheinen sie als Hort faszinierender Lebewesen: Von den Küsten Chiles wird eine neue Muschelart beschrieben, die sich an Methanhydraten delektiert. Und im Indischen Ozean fanden Wissenschaftler einen winzigen Mollusken, der direkt in den Öffnungen heißer Quellen überlebt.
Diese marine Bevölkerungszählung gibt aber nicht nur reines Wachstum der Artenzahlen an, sondern gewährt auch neue Einblicke in die Ökologie der Meere und ihrer Bewohner. Dazu befestigten Wissenschaftler aus verschiedenen Nationen etwa Sendegeräte an unterschiedlichen Meereslebewesen und konnten so Zugbahnen unter Wasser nach verfolgen.
Der Große Tunfisch (Thunnus thynnus) beispielsweise überquert den Pazifik und pendelt zwischen Japan und Kalifornien hin und her, während Lederschildkröten (Dermochelys coriacea), die an Costa Ricas Küsten ihre Eier ablegen, in riesigen Schleifen durch den Pazifischen Ozean ziehen. Grüne Störe (Acipenser medirostris) tauchten tausend Kilometer nördlich ihrer vermeintlich ursprünglichen Heimat Kalifornien auf, was wiederum vielleicht auf den Klimawandel zurückzuführen ist.
Der Zensus zeigt denn schließlich auch die vielfältigen Eingriffe des Menschen in das Ökosystem der Meere: Sie bleiben natürlich ebenso wenig von Übernutzung und Degradierung verschont wie ihre festländischen Pendants. Ein Vergleich heutiger mit historischen Fangzahlen verdeutlicht etwa nochmals den Niedergang der Kabeljaufischerei: Während im 16. Jahrhundert noch regelmäßig Fische mit achtzig Pfund geangelt wurden, zappeln nun um 30 Prozent schlankere Artgenossen in den Netzen und an den Langleinen.
Noch schlimmer trifft es allerdings die Haie. Immer noch teilweise gefürchtet als vermeintliche Menschenfresser und zu Tausenden wegen ihrer als Delikatesse geschätzten Flossen abgeschlachtet, erleiden sie massive Bestandseinbrüche: Die Population des Weißspitzen-Riffhais (Triaenodon obesus) im Golf von Mexiko brach im Vergleich zu 1950 um 99 Prozent ein, die der Hammerhaie (Sphyrna mokarran) im Nordatlantik um 90 und die der dortigen Makohaie (Isurus oxyrinchus) um immerhin 40 Prozent.
Während die Forschung mit dem Zensus also insgesamt viel "Neuland" betritt, bricht ihr auf der anderen Seite bereits wieder die Untersuchungsgrundlage weg. Um damit auf den eingangs erwähnten Mars zurückzukommen: Die Chancen, dort Organismen zu finden, sind eher gering, das Meer birst aber vor Leben. Es ist folglich die richtige Zeit, noch mehr Missionen in den Kosmos Tiefsee zu starten.
Licht ins Dunkel der Tiefsee bringen nun Ergebnisse eines Zensus der marinen Biodiversität, der von Forschern aus siebzig Nationen initiiert wurde – mit teils sehr überraschenden Ergebnissen: Jede Woche addieren sich demnach mindestens zwei neue Arten an Meeresfischen zur langen Liste der schon entdeckten Spezies: Allein im Jahr 2004 wuchs das Register um 106 auf nun 15 482 Mitglieder an, insgesamt erwartet man 20 000. Unter den Neuankömmlingen befand sich unter anderem auch ein Gründel (Amblyeleotris katherine), der in enger Partnerschaft mit bestimmten Garnelen lebt. Das Krustentier gräbt Löcher, die der Fisch als Schutzraum nutzt, als Gegenleistung bewacht dieser die Garnele.
Die Gewässer um die Antarktis entpuppten sich als Poseidons Garten Eden für Tintenfische und Kraken: Hier gab es Familienzuwachs vier neue Spezies aus zwei Gattungen, von denen eine zuvor der Forschung ebenfalls nicht bekannt war. Auch Krustentiere scheinen die Bedingungen dort zu schätzen: 85 Prozent aller gefundenen Arten leben nur dort. Viele Einzeller sind wohl dagegen Weltenbummler, denn sie hausen oft nicht nur um die Antarktis, sondern reichen in ihrer Verbreitung bis zum Nordatlantik.
Im Prinz-William-Sund Alaskas entdeckten Wissenschaftler Kolonien von so genannten Rhodolithen: korallenartiger roter Seetang, der wie Spielzeug aussieht und auf dem Meeresboden mit der Brandung hin und her rollt. Damit schaffen die Pflanzen Mulden, die Muscheln, Garnelen oder anderen Wirbellosen als Kinderstube dienen.
Als einmaliges Ökosystem mit einzigartigen Tieren sind die Schwarzen Raucher und hydrothermalen Tiefseequellen bekannt, und auch weiterhin erscheinen sie als Hort faszinierender Lebewesen: Von den Küsten Chiles wird eine neue Muschelart beschrieben, die sich an Methanhydraten delektiert. Und im Indischen Ozean fanden Wissenschaftler einen winzigen Mollusken, der direkt in den Öffnungen heißer Quellen überlebt.
Je tiefer die Forschung auf Entdeckungsreisen in den Meeren geht, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, zuvor unbekannte Arten zu finden. Jenseits der 3000-Meter-Tiefenlinie liegt Chance dafür bei 50 Prozent. Und dieser Trend gilt nicht nur für die südlichen Meere oder den Pazifik: Selbst im gut erforschten Europa zeigt die Entdeckungskurve steil nach oben, und es ist noch kein Ende absehbar, so die Forscher.
Diese marine Bevölkerungszählung gibt aber nicht nur reines Wachstum der Artenzahlen an, sondern gewährt auch neue Einblicke in die Ökologie der Meere und ihrer Bewohner. Dazu befestigten Wissenschaftler aus verschiedenen Nationen etwa Sendegeräte an unterschiedlichen Meereslebewesen und konnten so Zugbahnen unter Wasser nach verfolgen.
Der Große Tunfisch (Thunnus thynnus) beispielsweise überquert den Pazifik und pendelt zwischen Japan und Kalifornien hin und her, während Lederschildkröten (Dermochelys coriacea), die an Costa Ricas Küsten ihre Eier ablegen, in riesigen Schleifen durch den Pazifischen Ozean ziehen. Grüne Störe (Acipenser medirostris) tauchten tausend Kilometer nördlich ihrer vermeintlich ursprünglichen Heimat Kalifornien auf, was wiederum vielleicht auf den Klimawandel zurückzuführen ist.
Der Zensus zeigt denn schließlich auch die vielfältigen Eingriffe des Menschen in das Ökosystem der Meere: Sie bleiben natürlich ebenso wenig von Übernutzung und Degradierung verschont wie ihre festländischen Pendants. Ein Vergleich heutiger mit historischen Fangzahlen verdeutlicht etwa nochmals den Niedergang der Kabeljaufischerei: Während im 16. Jahrhundert noch regelmäßig Fische mit achtzig Pfund geangelt wurden, zappeln nun um 30 Prozent schlankere Artgenossen in den Netzen und an den Langleinen.
Noch schlimmer trifft es allerdings die Haie. Immer noch teilweise gefürchtet als vermeintliche Menschenfresser und zu Tausenden wegen ihrer als Delikatesse geschätzten Flossen abgeschlachtet, erleiden sie massive Bestandseinbrüche: Die Population des Weißspitzen-Riffhais (Triaenodon obesus) im Golf von Mexiko brach im Vergleich zu 1950 um 99 Prozent ein, die der Hammerhaie (Sphyrna mokarran) im Nordatlantik um 90 und die der dortigen Makohaie (Isurus oxyrinchus) um immerhin 40 Prozent.
Während die Forschung mit dem Zensus also insgesamt viel "Neuland" betritt, bricht ihr auf der anderen Seite bereits wieder die Untersuchungsgrundlage weg. Um damit auf den eingangs erwähnten Mars zurückzukommen: Die Chancen, dort Organismen zu finden, sind eher gering, das Meer birst aber vor Leben. Es ist folglich die richtige Zeit, noch mehr Missionen in den Kosmos Tiefsee zu starten.
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