Mars Sample Return: Wenn das Mitbringsel vom Mars die Erde bedroht
In weniger als einem Jahrzehnt könnte es so weit sein, dass ein Raumschiff vom Mars an der Erde vorbeifliegt, um eine kostbare Fracht abzuliefern: Gesteinsproben, Bodenproben und sogar Luftproben des Roten Planeten. Eine kleine Armee von Forscherinnen und Forschern würde mit Hilfe dieser Proben liebend gerne Anzeichen auf außerirdisches Leben finden: Leben vom Mars, direkt hier auf der Erde. Das ehrgeizige Unterfangen kostet mehrere Milliarden Euro und wird von der US-Weltraumbehörde NASA und der europäischen Weltraumagentur ESA vorangetrieben. Es handelt sich dabei um das »Mars Sample Return«-Programm (MSR). Und es ist so etwas wie der Heilige Gral für Planetenforscherinnen und -forscher.
In vielerlei Hinsicht ist MSR bereits in vollem Gange: Denn der Marsrover Perseverance der NASA fährt in einem ehemaligen Flussdelta des Kraters Jezero auf dem Mars herum. Dabei sammelt der Rover Proben von potenziellem astrobiologischem Interesse ein und hinterlässt sie auf der Oberfläche des Roten Planeten. Die Proben könnten später von einem weiteren Rover eingesammelt werden. Derzeit wird ein so genanntes »Mars Ascent Vehicle« (MAV) entworfen und getestet: Dieses MAV würde die Proben in die Umlaufbahn des Mars bringen. Dort wiederum würde – so der derzeitige Plan – ein Raumschiff warten, das die Proben zurück gen Erde bringt.
Aber da gibt es diesen einen Aspekt des Programms, ein bislang ungelöstes Problem: Wie genau sollten NASA und ESA mit den Gesteinsproben hier auf der Erde umgehen, und wie viel darf das kosten? Die Frage ist nicht ganz trivial. Schließlich will niemand aus Versehen die Biosphäre der Erde mit importierten Leben vom Mars verseuchen.
Könnte das Mars-Sample-Return-Programm aus Versehen die Erde verseuchen?
Die Lösung dieses Problems könnte nicht nur das MSR-Programm, sondern auch den potenziellen Besuch der Marsoberfläche von Menschen grundlegend prägen: Könnten Astronautinnen und Astronauten auf dem Mars leben und arbeiten, ohne versehentlich den Roten Planeten mit irdischen Mikroben zu kontaminieren? Und könnten diese Marsbesucherinnen und -besucher anschließend ruhigen Gewissens nach Hause zurückkehren, bitte ohne mikroskopisch kleine Marsanhalter an Bord? Die Protokolle, die für das MSR-Programm ausgearbeitet werden, werden eine entscheidende Rolle bei der Lösung dieser künftigen Probleme spielen.
Der aktuelle Vorschlag der NASA für MSR sieht eine noch nicht gebaute interplanetare Fähre vor, um eine kegelförmige, mit Marsproben gefüllte Kapsel, das so genannte »Earth Entry System« hoch über der Atmosphäre unseres Planeten freizusetzen. Die Kapsel wird dann ohne Fallschirm auf die Erde stürzen und in Utah landen. Trotz des Aufpralls mit einer Geschwindigkeit von rund 150 Kilometern pro Stunde wird die Kapsel so gebaut sein, dass die darin enthaltenen Proben geschützt und von der Außenwelt isoliert sind. Sobald die Kapsel geborgen ist, wird sie in einem Schutzbehälter zu einer externen Probenannahmestelle verschickt. Eine derartige Einrichtung könnte Biolaboren ähneln, die hochansteckende Krankheitserreger untersuchen und mehrstufige Dekontaminationsmaßnahmen, Luftfiltersysteme, Unterdruckventilatoren und zahllose andere Sicherheitsvorkehrungen umfassen.
Die NASA stuft das Risiko durch Gesteinsproben vom Mars als extrem gering ein
Die NASA beruft sich auf die Ergebnisse mehrerer Expertengremien, wenn sie die ökologischen und sicherheitsrelevanten Risiken des Vorschlags derzeit als »extrem gering« einstuft. Aber nicht alle sind mit diesem Plan einverstanden. Anfang des Jahres hatte die NASA nämlich um Kommentare der Öffentlichkeit gebeten: Es ging um einen Entwurf der Umweltverträglichkeitserklärung für ihr Vorhaben. 170 Kommentare gab es. Die meisten von ihnen äußerten sich negativ zum Konzept der Marsproben to go.
»Seid ihr verrückt? Nicht einfach nur nein, sondern verdammt noch mal nein«, lautet ein Kommentar. »Keine Nation sollte den ganzen Planeten gefährden«, so ein weiterer Kommentar. Und ein dritter Kommentar besagt, dass der Gegenwind aus der Öffentlichkeit zunehmen werde, sobald die Absichten der NASA weiter bekannt werden würden. Viele der Befragten schlugen vor, dass die Proben zunächst jenseits der Erde in Empfang genommen und untersucht werden sollten. Das ist eine umsichtige Idee, die sich aber zu einem logistischen und kostenintensiven Albtraum mausern könnte.
Im Gegensatz zu all dieser Vorsicht vertritt der prominente Astrobiologe Steven Benner eine unverblümte Meinung. Er sagt: »Ich sehe keine Notwendigkeit für lange Diskussionen darüber, wie wir mit den Marsproben umgehen sollen, sobald sie unseren Planeten erreichen.« Das liegt unter anderem daran, dass die Erde immer wieder von Meteoriten getroffen wird, die ursprünglich vom Mars stammen. Laut Steven Benner gehen aktuelle Schätzungen davon aus, dass jedes Jahr rund 500 Kilogramm Marsgestein auf der Erde landen. Wie zum Beweis liegt auf seinem Schreibtisch ein fünf Gramm schweres Stück Marsgestein.
»In den mehr als 3,5 Milliarden Jahren, seit das Leben auf der Erde entstanden ist, haben Billionen anderer Gesteine ähnliche Reisen unternommen«, sagt Benner. »Wenn Marsmikroben existieren und die Biosphäre der Erde verwüsten können, ist dies bereits geschehen. Dann machen ein paar Kilogramm mehr keinen Unterschied mehr.«
Benner ist Mitglied in vielen der Expertengremien, welche die NASA zu Rate gezogen hat, um zu ihrer »extrem niedrigen« Risikoeinschätzung des Unterfangens zu gelangen. Der Astrobiologe ist der Meinung, dass die NASA nun in ihrer eigenen PR-Falle gefangen sei: Sie hätte sich quasi selbst dazu verpflichtet, endlos über die angebliche Komplexität dessen zu diskutieren, was eigentlich einfache, fundierte Wissenschaft sein sollte. Die NASA wisse jetzt, »wie man nach Leben auf dem Mars sucht, wo man nach Leben auf dem Mars sucht und warum die Wahrscheinlichkeit, Leben auf dem Mars zu finden, hoch ist«, sagt Steven Benner. »Aber die Ausschüsse innerhalb der NASA wollen Konsens und Übereinstimmung zu Grundlagen der Chemie, der Biologie und der Planetenwissenschaften. Diese müssten aber als Basis für die Suche nach Leben auf dem Mars gelten. So wird die Wissenschaft zu Gunsten von Diskussionen über eigentlich nicht vorhandene Probleme verdrängt.« Kosten würden dadurch unnötigerweise erhöht. Der Start von Missionen würde dadurch verzögert.
»Und letzten Endes stellt man so sicher, dass die NASA niemals irgendwelche Missionen durchführen wird, bei der es um die Entdeckung von Leben geht«, sagt Steven Benner.
Planetary Protection versus Mars Sample Return
Derartige Aussagen spiegeln die Dringlichkeit wider, mit der US-amerikanische Planetenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler das Mars-Sample-Return-Programm umsetzen wollen. Im April erhielt die NASA einen wichtigen Bericht: Die so genannte Decadal Survey beschäftigt sich mit Planetenwissenschaften und Astrobiologie und wird vom nationalen Forschungsrat der USA erstellt. Er legt die Prioritäten auf diesen Forschungsgebieten für die kommenden Jahre fest. Eine Empfehlung des Berichts lautet, dass die NASA ihre Pläne für den Umgang mit den Marsproben konkretisieren solle. Der Schwerpunkt müsse dabei darauf liegen, eine passende Einrichtung bereitzustellen, damit diese bis zum Jahr 2031 Material vom Roten Planeten empfangen könnte.
Um eine solche Frist einzuhalten, muss die NASA sofort mit dem Entwurf und Bau einer solchen Einrichtung beginnen, sagt Philip Christensen, Professor an der Arizona State University und Kovorsitzender des Lenkungsausschusses der neuen Decadal Survey.
»Unsere Empfehlung lautete nicht, eine sehr ausgefallene und sehr komplizierte Empfangseinrichtung voller Instrumente zu bauen«, sagt Christensen. »Sondern: Macht es so einfach wie möglich. Denn die wichtigste Aufgabe besteht darin, zu überprüfen, ob die Proben sicher sind. Danach kann man sie an Labore auf der ganzen Welt weiterreichen, die bereits über hochentwickelte Instrumente verfügen.«
John Rummel ist Astrobiologe im Ruhestand. Zuvor leitete er die Bemühungen der NASA zum Thema »Planetary Protection«, also zu den Sicherheitsmaßnahmen für unseren Planeten bei interplanetaren Missionen. Rummel stimmt der Aussage zu, dass eine einfache Einrichtung Zeit sparen könnte. Allerdings ist er sich bei den Kosten nicht so sicher. »Niemand will alles Geld der Welt für eine Art Taj Mahal für Gesteinsproben ausgeben«, sagt er. Aber der Bau einer sehr simplen Anlage könne auch nach hinten losgehen: Denn vielleicht könnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dann nicht ordnungsgemäß untersuchen, ob die so kostbaren Proben Hinweise auf Leben enthalten.
Rummel sagt, dass es grundsätzlich nicht wahr sei, dass wir genügend über den Mars wüssten, um das Risiko einer interplanetaren Ansteckung durch die Proben des MSR-Programms zu quantifizieren. »Wir wissen nicht alles, was wir über den Mars wissen wollen. Deshalb möchten wir ja die Proben«, sagt Rummel. »Und wir stellen immer wieder fest, dass Erdorganismen neue Dinge tun, die in Bezug auf potenzielles außerirdisches Leben ziemlich interessant sind. Deshalb müssen wir vorsichtig sein, so wie es der Forschungsrat immer wieder betont.«
Umweltschutz für die Erde beim Mars-Sample-Return-Programm muss nicht teuer sein
Die wahren Risiken des MSR-Programms, was interplanetare Umweltkatastrophen betrifft, mögen nicht bekannt sein. Aber den meisten teilnehmenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist klar, welche Bedrohung eine negative öffentliche Meinung für die Mission darstellt. Trotzdem sollte der Kontakt mit der Öffentlichkeit begrüßt werden, sagt Penny Boston, Astrobiologin am Ames Research Center der NASA. Sie argumentiert, dass es kaum einen besseren Weg gäbe, um die Forschungslücken zum Schutz des Planeten zu schließen, als das Interesse der Menschen für dieses Thema zu wecken. »Dann können wir sowohl die Biosphäre der Erde als auch die Menschen auf ihr optimal schützen. Und gleichzeitig können wir die Analysen der Marsproben nutzen, um die wissenschaftlichen Fragen zu beantworten«, sagt Penny Boston.
Nun erscheint es wahrscheinlicher, dass strenge Handhabungsbeschränkungen für MSR-Proben eine abschreckende Wirkung haben als dass eine außerirdische Pandemie auf Grund von laxen Sicherheitsprotokollen ausbricht. Aber wäre es wirklich so viel teurer, auf Nummer sicher zu gehen?
Die Astrobiologin Cassie Conley war von 2006 bis 2017 John Rummels Nachfolgerin als Planetary Protection Officer der NASA. Sie sagt: »Steuerzahler werden mindestens zehn Milliarden US-Dollar investiert haben, um die Proben zur Erde zu bringen. Lohnt es sich angesichts dieses Betrags also nicht, ein Prozent mehr auszugeben, um die bestmöglichen Einrichtungen und Instrumente für die Untersuchung jener Proben zu bauen und gleichzeitig sicherzustellen, dass MSR dem einzigen Planeten, auf dem wir leben können, keinen Schaden zufügt?«
Die Mitbringsel vom Mars sind jetzt schon kontrovers
Und noch etwas macht die Debatte kompliziert: Denn das Mars-Sample-Return-Programm ist nicht mehr alleine bei seiner Jagd nach frischen Gesteinsproben vom Mars. Und andere Projekte halten sich möglicherweise nicht an die Regeln, die bislang gar nicht aufgestellt wurden. China kündigte kürzlich unabhängige Pläne an, Material vom Mars zur Erde zu bringen. Möglicherweise würde China das sogar früher schaffen als die NASA und die ESA. Und dann gibt es auch Elon Musk und die Bemühungen seines Unternehmens SpaceX, Menschen zum Mars und wieder zurückzubringen – und das vielleicht viel früher, als die meisten Expertinnen und Experten erwarten.
Chinas Pläne beunruhigen den Astrobiologen Barry DiGregorio, Gründungsdirektor des Internationalen Komitees gegen Mars Sample Return. »Solange das Abholen von Marsgesteinsproben kein weltweites Unterfangen ist und die Ergebnisse in Echtzeit mit allen Raumfahrtnationen geteilt werden, wird kein einzelnes Land wissen, was das andere Land herausgefunden hat oder welche Probleme es bei einer Eindämmung hat«, sagt er.
Deshalb wäre Barry DiGregorio dafür, zunächst für jede einzelne Probe sicherzustellen, dass sie keine Gefahr für unseren Planeten darstellt, bevor sie zur Erde gelangen darf. Und das könne am besten in einer speziell dafür ausgerüsteten Raumstation geschehen oder in einem astrobiologischen Forschungslabor als Teil einer Mondbasis. Auch DiGregorio erkennt an, dass sich dieses Konzept angesichts der globalen politischen Spannungen schwer verkaufen lässt. Aber jetzt sei der kritische Zeitpunkt, es zumindest in Betracht zu ziehen.
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