Materialentwicklung: Fäden schießen wie Spider-Man
Was Spider-Man erstmals im Jahr 1962 der Weltöffentlichkeit präsentierte, haben Forschende der Tufts University in Massachusetts nun im Labor nachgebildet: Mit einer Nadel spritzen sie flüssiges Material durch die Luft; es verwandelt sich unmittelbar in eine Faser, die stark und klebrig genug ist, um Gegenstände anzuheben. Ihre Arbeit stellen sie im Journal »Advanced Functional Materials« vor.
Grundlage der Technik ist eine künstliche Lösung aus so genanntem regeneriertem Seidenfibroin. Dieses Faserprotein wird aus den Kokons von Seidenspinnern gewonnen. In organischen Lösungsmitteln wie Ethanol oder Aceton wird daraus innerhalb von Stunden ein Hydrogel, das heißt, die Moleküle verknüpfen sich miteinander zu einem festen Netzwerk. Schneller gelingt die Umwandlung unter Zugabe von Dopamin. Dieses ist eigentlich als Botenstoff im Gehirn bekannt; man kann daraus aber außerdem einen Klebefilm herstellen, wie er in ähnlicher Form bei Muscheln zu finden ist. Dopamin entzieht dem Fibroin Wasser und sorgt dafür, dass sich die Lösung unmittelbar verfestigt.
Die Forschungsgruppe spritzte die Lösung zusammen mit Aceton durch eine Koaxialnadel, die zwei Kanäle besitzt: In der Mitte strömt die Fibroinlösung heraus, drumherum eine Acetonschicht. Diese verdampft an der Luft und hinterlässt eine klebrige Faser. Sie haftet an praktisch allem, was ihr unterkommt – Holz, Pappe, Stahl, Kunststoff, Haut. Allerdings ist sie auch zerbrechlich.
Festigkeit und Klebrigkeit einstellbar
Dieses Problem wiederum löste das Team, indem es der Flüssigkeit Chitosan beimischte. Der Stoff wird aus den Exoskeletten von Insekten gewonnen. Chitosan erhöht die Zugfestigkeit der Fasern laut der Forschenden um das 200-Fache; ein weiterer Zusatzstoff verbessert die Haftung. Mit diesen Additiven wird die Faser stark und klebrig genug, um beispielsweise mit einem zwölf Zentimeter langen Klebefaden einen fünf Gramm schweren Holzblock anzuheben.
Bis sich mit der Technik wie bei Spider-Man nicht nur Fäden, sondern ganze Netze schießen lassen, dürfte noch einiges an Laborarbeit zu tun sein. Doch zumindest in einer Hinsicht müssen die Forschenden den Vergleich mit einer Spinne nicht scheuen: Sie können sowohl die Dicke als auch die mechanischen und adhäsiven Eigenschaften der Faser nach Bedarf anpassen. Dazu müssen sie nur den Nadeldurchmesser oder die Mengen der Additive variieren. Trotzdem spielen Spider-Man und dessen tierisches Vorbild in einer eigenen Liga: Natürliche Spinnenseide ist etwa 1000-mal stärker als die künstlichen Fasern in dieser Studie.
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