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Materialforschung: Metall mit Selbstheilungskräften

Bislang war der Mechanismus nur in der Theorie bekannt. Nun konnte ein Forschungsteam auch experimentell zeigen, dass sich winzige Risse in Metallen von selbst wieder schließen.
Ein Reißverschluss
Wenn sich Risse in Metallen so schließen lassen könnten wie ein Reißverschluss, ließen sich Milliardensummen für Reparaturen einsparen.

Die Reparatur maroder Brücken, rissiger Bahngleise oder verschleißbedingter Schäden an Flugzeugen kostet jedes Jahr etliche Milliarden. Wie praktisch wäre es da, könnten Metalle sich ganz einfach selbst heilen. Was nach Sciencefiction klingt, haben US-amerikanische Wissenschaftler nun das erste Mal im Experiment beobachtet: Ohne menschliches Zutun schmolzen winzige Risse in nanokristallinen Platin- und Kupferfolien unter bestimmten Bedingungen von allein wieder zusammen. Die Gruppe um Brad Boyce, Materialwissenschaftler an den Sandia National Laboratories in Albuquerque, New Mexico, berichtet davon im Fachmagazin »Nature«.

Metalle setzen sich aus mikroskopisch kleinen kristallinen Körnern unterschiedlicher Größe und Form zusammen. Die Orientierung und Ausdehnung dieser Körner beeinflusst die gesamte mechanische Stärke sowie andere Eigenschaften des Materials. Wird ein Metall kontinuierlich belastet, erschüttert oder bewegt, bilden sich an den Korngrenzen mikroskopisch kleine Risse. Mit der Zeit wachsen diese Risse und breiten sich aus, bis die ganze Maschine oder Brücke irgendwann kaputtgeht. Solche Ermüdungsschäden sind oft schwer zu detektieren und häufig noch schwieriger zu reparieren. Bislang ging man davon aus, dass das Risswachstum in Metallen auf mikrostruktureller Ebene zwar verlangsamt oder sogar aufgehalten werden kann, aber irreversibel ist. »Wir konnten in unserem Experiment dagegen zeigen, dass Metalle ihre eigene, natürliche Fähigkeit haben, sich selbst zu heilen, zumindest im Fall von Ermüdungsschäden im Nanomaßstab«, sagte Boyce laut einer Pressemitteilung.

Die Forscher verwendeten in ihrem Versuch eine Technik, bei der etwa 200-mal pro Sekunde an den Enden winziger Metallstücke gezogen wurde. Zunächst bildete sich ein Riss und breitete sich aus. Doch nach etwa 40 Minuten schmolz das Metall überraschenderweise wieder zusammen. Dass so etwas theoretisch möglich ist, hatte eine Forschungsgruppe um Mitautor Michael Demkowicz von der Texas A&M University bereits 2013 vorhergesagt, bislang fehlte jedoch noch die experimentelle Bestätigung. In Computersimulationen hatte Demkowicz damals gezeigt, dass sich die metallischen Korngrenzen beim Auseinanderziehen des Materials verändern und auf diese Weise bewirken, dass sich die Risse wieder schließen. Der Schlüssel für die »Materialheilung« liegt also in der so genannten Korngrenzenwanderung.

Zwar wurde der Heilungsprozess experimentell bislang nur bei Platin und Kupfer beobachtet, Simulationen deuten jedoch darauf hin, dass die Selbstheilung auch bei anderen Metallen auftreten kann. Es sei daher »völlig plausibel«, sagte Boyce, dass auch Legierungen wie Stahl diese Eigenschaft aufweisen können. »Angesichts dieses neuen Wissens lassen sich möglicherweise Werkstoffe entwickeln, die so beschaffen sind, dass sie dieses Verhalten gezielt ausnutzen.« Ebenso helfe das vertiefte Verständnis des Prozesses, Ermüdungsschäden besser zu interpretieren und vorherzusagen Auch Michael Demkowicz zeigte sich optimistisch, dass es eines Tages selbstheilende Metalle geben wird. »Ich schätze aber, dass es noch zehn Jahre dauert, bis unsere Erkenntnisse in konkrete Anwendungen umgesetzt werden«, sagte er.

Denn bis dahin müssen noch etliche offene Fragen beantwortet werden. So haben die Wissenschaftler zwar gezeigt, dass sich Risse in nanokristallinen Metallen im Vakuum wieder schließen. Bislang ist jedoch völlig unklar, ob dies auch bei konventionellen Metallen an der Luft möglich ist.

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