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Materialforschung: Wie ein magischer Winkel Graphen verwandelt

Graphen galt schon bei seiner Entdeckung im Jahr 2004 als Wundermaterial. Der Frage, warum der zweidimensionale Stoff in einer speziellen Anordnung sogar supraleitend wird, sind Wissenschaftler nun einen entscheidenden Schritt näher gekommen.
Zwei Graphenblätter übereinander. Graphen besteht aus Kohlenstoffatomen, die hexagonal angeordnet sind.
Graphen besteht aus Kohlenstoffatomen, die hexagonal angeordnet sind und Schichten mit einer Höhe von nur einem Atom bilden. Werden zwei Schichten um einen ganz bestimmten Winkel zueinander verschoben, kann Graphen supraleitend werden.

Verdreht man zwei Lagen des zweidimensionalen Materials Graphen in einem ganz bestimmten Winkel zueinander, kann es elektrischen Strom ganz ohne Widerstand leiten. Während dieser magische Winkel von genau 1,08 Grad bereits im Jahr 2018 gefunden wurde, war bislang jedoch nicht klar, warum Graphen in dieser speziellen Anordnung supraleitend wird. Ein Forschungsteam unter der Leitung von Haidong Tian von der Ohio State University ist diesem Rätsel jetzt auf die Spur gekommen: Der für Supraleitung sonst verantwortliche Mechanismus scheint hier nicht der Grund zu sein, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin »Nature«. Stattdessen sollen andere Quanteneffekte sowie die Wechselwirkungen zwischen den Elektronen im Material für dieses Phänomen sorgen.

Forscherinnen und Forscher sind seit Jahren und Jahrzehnten auf der Suche nach einem Hochtemperatur-Supraleiter: einem Material, das idealerweise bei Raumtemperatur elektrischen Strom ohne Widerstand leiten kann. Bislang tritt dieses nützliche Phänomen jedoch oft nur bei extrem tiefen Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius auf. Auch Graphen kann hier nicht weiterhelfen: Das zweidimensionale Material muss ebenfalls bis fast zum absoluten Nullpunkt heruntergekühlt werden, damit supraleitende Effekte auftreten. Allerdings besteht Graphen lediglich aus Kohlenstoffatomen, eine Lage Graphen ist genau ein Kohlenstoffatom dick. Daher ist dieses System verglichen mit anderen potenziellen Supraleitern recht einfach aufgebaut. Wenn es Forschenden gelänge, die Supraleitung von Graphen zu verstehen, so die Hoffnung, könnte sich das Prinzip vielleicht auf andere Materialien übertragen lassen, die auch bei deutlich höheren Temperaturen supraleitend sind.

In ihrem Experiment haben die Forscher und Forscherinnen nun die supraleitenden Eigenschaften des im magischen Winkel verdrehten »twisted bilayer graphene« untersucht. Das Verblüffende an dieser Anordnung: Die Gruppengeschwindigkeit der Ladungsträger ist so niedrig, dass sie eigentlich überhaupt keinen elektrischen Strom leiten dürften. Eine gewisse Geschwindigkeit der Ladungsträger – in diesem Fall der Elektronen – ist jedoch Voraussetzung dafür, dass ein Material überhaupt supraleitend werden kann. Das zumindest besagt die vorherrschende Theorie für Supraleitung, die so genannte BCS-Theorie. Trotzdem leiteten die beiden Graphenschichten bei bestimmten Ladungsdichten Strom widerstandsfrei.

Indem sie die Geschwindigkeiten und Bewegungen der Elektronen genau vermaßen, konnten die Forscherinnen und Forscher darauf zurückschließen, wie die Supraleitung im Twisted-bilayer-Graphen zu Stande kommt. Demnach können die konventionellen Erklärungsversuche lediglich rund zehn Prozent des Supraleitungssignals erklären. Der größte Anteil entfalle hingegen, so schreiben sie, auf die spezielle Quantengeometrie der Anordnung. So seien die Elektronen wegen des Welle-Teilchen-Dualismus nicht nur geladene Teilchen, sondern hätten auch einen Wellencharakter. Die Geometrie der damit assoziierten Wellenfunktionen in dieser speziellen Anordnung sowie die Wechselwirkungen zwischen den Elektronen sorge nun dafür, dass Strom ohne Widerstand fließen kann – und das, obwohl die Elektronen selbst so gut wie stillstehen.

Inwiefern das nun Forschern und Forscherinnen bei der Suche nach einem Hochtemperatur-Supraleiter weiterhilft, ist fraglich: Quanteneffekte sind extrem fragile Zustände, die bei höheren Temperaturen verschwinden. Aber der Fachartikel zeigt: Die Forschung gibt die Suche nach der viel versprechenden Hochtemperatur-Superleitung noch lange nicht auf.

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