Gesellschaft: Mathematik des Terrors
Viele Nordamerikaner oder Westeuropäer verbinden mit dem Begriff aber eher die Gewalttaten einzelner Personen oder versprengter Untergrundgruppen, die "auf Teufel komm raus" auf ihre ureigenen Ideen oder Ideale aufmerksam machen wollen. Dabei gehen sie im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen. In den Medien wird jeder Terroranschlag, über den es sich nach Meinung der Nachrichtensprecher oder Reporter zu berichten lohnt, quantifiziert: "Bei dem Bombenanschlag sind 17 Menschen ums Leben gekommen und 48 zum Teil schwer verletzt", hört man dann in den Nachrichten oder liest es in der Zeitung.
Dass es mittlerweile Einrichtungen gibt wie das amerikanische National Memorial Institute for the Prevention of Terrorism (MIPT) in Oklahoma ist nur wenigen bekannt. Dieses Terrorinformationszentrum stellt nicht nur einen täglichen Tickerdienst "Terroranschläge heute" bereit, sondern listet alle derartige Gewalttaten seit 1968 in einer umfangreichen Datenbank auf. Sympathisanten von Rudi Dutschke und der 1968er-Studentenbewegung mögen sich noch gut an dieses Jahr erinnern.
Jeder Eintrag enthält das Datum des Anschlags, das jeweilige Ziel, die Stadt oder das Land, in dem der Terrorakt verübt wurde, welche Waffen benutzt worden sind, welche terroristische Gruppierung dafür verantwortlich gemacht werden kann, die Anzahl der Toten oder Verletzten, eine kurze Beschreibung des Tathergangs sowie die Quelle, aus der die Informationen stammen. Ergebnis: Bei über 7000 der mittlerweile gut 20 000 verzeichneten derartigen Gewalttaten starben Personen oder erlitten mehr oder minder starke Verletzungen. Hochgerechnet sind das seit 1968 bis heute über 90 000 Menschen. Das ist eine ungeheuerliche Zahl, hinter der sich jeweils oft unvorstellbares Leid verbirgt.
Zu den gewalttätigsten Anschlägen in der Datenbank gehören die Autobomben vom 7. August 1998 auf die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Daressalam, bei denen mehr als 5000 Menschen verletzt wurden und 224 starben, der Giftgasanschlag vom 20. März 1995 in einer Tokioter U-Bahn, dem über 5000 Menschen ausgesetzt waren (zwölf Todesopfer), sowie der Sturzflug der beiden Passagiermaschinen in die Türme des New Yorker World Trade Centers am 11. September 2001, bei dem fast 3000 Menschen ums Leben kamen.
Nun haben Aaron Clauset und Maxwell Young vom Department of Computer Science der Universität von New Mexico in Albuquerque die Zahlen einmal kühl unter die Lupe genommen und stellten fest, dass die Anzahl der Opfer – aufgetragen nach der Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Terroranschlags dieser Größenordnung – mathematisch ziemlich exakt einer Potenzialfunktion folgt. Die Wahrscheinlichkeit P(x) für das Eintreten eines Terroranschlags, bei dem x Opfer zu beklagen sind, ist demnach:
P(x) ~ x -a
wobei die beiden Computerspezialisten für den Exponent a einen Wert von etwas über 1,8 ermittelten.
In dieses Bild passen sogar die drei oben genannten, blutigsten Anschläge der vergangenen Jahre. Sie sind nach Ansicht der Forscher somit keine "Ausreißer", sondern ergeben sich natürlich aus der Dynamik der Kette der Gewalt.
Dass Menschen auf die Idee kommen, derartige Rechnungen anzustellen, ist nicht außergewöhnlich. Der britischer Mathematiker und Friedensforscher Lewis Fry Richardson erforschte 1948 bereits die Häufigkeit von Kriegen und stellte sie in Relation zu den jeweiligen Opferzahlen. Zeichnet man mit diesen Daten eine ähnliche Grafik, dann erhält man für den Exponenten ebenso einen Wert von 1,8. Dies scheint also die natürliche Steigung der Kurve der Gewalt zu sein.
Vorausgesetzt, diese Überlegungen stimmen, dann kommt es nach den Berechnungen von Clauset und Young in zirka sieben Jahren – das heißt bis zum Jahr 2012 – mit großer Wahrscheinlichkeit wieder zu einem Anschlag in der Größenordnung des 11. Septembers 2001.
Um dies zu vermeiden, sehen die Wissenschaftler nur zwei Chancen: Entweder die Zahl der Akteure, die derartige Gewaltakte verüben, zu verringern, oder die "Kosten" pro verletzter respektive getöteter Person für die Terroristen zu erhöhen. Letzteres bedeutet nichts anderes, als die Menschen besser vor Attentaten zu schützen.
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