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Zoologie: Maulsensoren machen Blauwale zu Meisterschluckern

Unsere größten Lebewesen der Welt – die Blauwale und nahe Verwandte – ernähren sich von erstaunlich mickriger Beute: Sie müssen ständig enorme Mengen Krill und Kleinfische in sich hineinschaufeln, um den mächtigen Körper satt zu bekommen. Das gelingt den Furchenwalen mit einer einzigartigen Jagdmethode: Sie nehmen mit sperrangelweit geöffnetem Riesenmaul einen Megaschluck Meerwasser samt Beute. Dabei verdoppeln sie nicht selten nahezu ihr Körpervolumen: Finnwale nehmen so bis zu 80 Kubikmeter Wasser mit zehn Kilogramm Fisch und Krill innerhalb von sechs Sekunden auf, schließen das Maul und pressen alles mit der Unterstützung ihrer Zunge durch die reusenartigen Barten ihres akkordeonartig dehnbaren Kehlsacks. Diese Technik verlangt aber auch nach einer funktionalen Sensorik, meinen Nicholas Pyenson von der Smithonian Institution in Washington DC und seine Kollegen – und beschreiben nun ein dafür maßgebliches, bisher unbekanntes zentrales Schaltorgan.

Die Forscher hatten dafür mehrere vor Island erjagte Finn- (Balaenoptera physalus) und Minkwale (Balaenoptera acutorostrata) anatomisch untersuchen müssen, die beide wie der gigantische Blauwal zu den Furchenwalen zählen. Sie entdeckten dabei eine Y-förmige Nervenstruktur mit einer zentralen orangengroßen Verdickung, die zwischen den beiden über ein bewegliches Gelenk miteinander verbundene Hälften des Unterkiefers liegt – dort, wo man das Kinn eines Wals verorten würde, wenn er eines hätte. Feine Sensorfäden sprießen hier nach außen und versorgen den Sensor mit Informationen über die Dichte an Beutetieren, die dem Wal unmittelbar vor dem Maul herumschwimmen. Erreicht die Krilldichte einen zufrieden stellenden Wert, leitet dies nun den Jagdschluck ein: Der vom aufgesperrten Maul und dem Zurückziehen der Zunge ausgelöste Unterdruck saugt Wasser und Beute in den sich blähenden Kehlkopf.

Maulsensor am Walkinn | An der Kinnspitze der Furchenwale sitzt ein besonderes Sinnesorgan: Vibrillen erkennen Beute im Meerwasser vor dem Maul und informieren ein nachgeschaltetes neuonales Netzwerk. Dieses übernimmt auch die anspruchsvolle biomechanische Koordination des Maulaufsperrens und Beutefilterns (links ein Wal nach dem Öffnen des Mauls, rechts die Anatomie des Organs).

Die Y-Neuronenanordnung des Furchenwal-Sensoriums ist in eine gelartige Bindegewebsmatrix eingebettet und zieht auf beiden Seiten des Unterkiefers nach hinten. Offenbar sammelt sie nicht nur Informationen von den Sensorfäden, sondern informiert ihrerseits das Gehirn über die Umwelt und koordiniert die nacheinander ablaufenden biomechanischen Prozesse, etwa das Umklappen der beiden bewegliche Unterkieferknochen, das bei der enormen Auslenkung nötig wird.

Spannend ist für die Forscher noch die Frage, wie das Organ und die von ihm abhängige Jagdtechnik sich im Lauf der Evolution der Furchenwale aus landlebenden Vorfahren entwickelt hat. Offenbar begann die Entwicklung erst bei den gemeinsamen Vorfahren der heute lebenden Zahn- und Furchenwale: Sie verfügten im Oligozän vor 23 bis 28 Millionen Jahren noch über miteinander verwachsene Unterkiefer; dadurch fehlt aber jener gelgefüllte Hohlraum, in dem der Schlucksensor der Furchenwale seinen Anfang nimmt. Vielleicht ist das Sensorium später aber in den zu den heute lebenden Furchenwalen führenden Linien sogar mehrfach entstanden.

  • Quellen
Nature 485, S. 498–501, 2012

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