Ölpest: »Mauritius ist für eine Katastrophe dieses Ausmaßes nicht gewappnet«
Vor gut einem Monat ist das Frachtschiff MV Wakashio auf einem Korallenriff an der Südostspitze von Mauritius im Indischen Ozean auf Grund gelaufen. Eine Ölkatastrophe war die Folge. Das Schiff hatte rund 200 Tonnen Diesel und 3900 Tonnen Heizöl geladen, von denen schätzungsweise 1000 Tonnen ins Meer liefen, als der Rumpf am 6. August riss. Es handelt sich um den ersten gemeldeten Austritt einer neuen Art von schwefelarmem Brennstoff, der die Luft weniger verschmutzen soll als andere. Der Ölteppich hat einen 15 Kilometer langen Küstenstreifen – einen international anerkannten Hotspot der Artenvielfalt – mit Öl verschmiert. Jacqueline Sauzier, Präsidentin der gemeinnützigen Mauritius Marine Conservation Society in Phoenix, hat geholfen, den Teppich einzudämmen. Mit »Nature« sprach sie darüber, wie die Aufräumarbeiten voranschreiten.
Nature: Wie haben Anwohner und Organisationen auf die Ölkatastrophe reagiert?
Jacqueline Sauzier: Mauritius ist für eine Katastrophe dieses Ausmaßes nicht gewappnet, weshalb andere Länder Experten zur Hilfe entsandt haben. Ein französisches Team kam zuerst von der nahe gelegenen Insel Réunion, um schwimmende Strukturen zu errichten, die das Leck eindämmen – Ozeanausleger genannt. Die Vereinten Nationen haben ein Team mit Experten für Ölunfälle und Krisenmanagement geschickt. Andere sind aus Japan und dem Vereinigten Königreich eingetroffen.
Auch die Mauritier waren sehr aktiv. An einem Wochenende haben wir fast 80 Kilometer behelfsmäßige Ozeanausleger aus Zuckerrohrabfällen gebaut, um das Öl einzudämmen. Leere Flaschen wurden in der Mitte der Ausleger angebracht, damit sie an der Oberfläche schwimmen. Zudem wurden sie verankert, damit sie nicht mit der Strömung wegtreiben.
»Es gibt Chemikalien aus dem Öl, die sich im Wasser lösen und daher nicht abschöpfen lassen«
Zehn Tage lang arbeiteten die Menschen Tag und Nacht, um so viel Öl wie möglich einzuschließen, damit es nicht an die Küste gelangt. Diese ist schwieriger zu reinigen als das Wasser. Es gelang uns, fast 75 Prozent des ausgelaufenen Öls einzudämmen und zu entfernen. Nur eine kleine Menge erreichte die Küste. Aber es gibt noch Chemikalien, die aus dem Öl stammen, sich aber im Wasser lösen und daher nicht mit dem Öl abschöpfen lassen.
Welche Ökosysteme sind betroffen?
Schaut man sich die Bilder in den Medien an, scheint ganz Mauritius verschmutzt zu sein. Aber das Öl erreichte nur 15 Kilometer der 350 Kilometer langen Küstenlinie, es hätte also viel schlimmer sein können.
Leider gibt es in der betroffenen Region viele ökologisch sensible Gebiete. Das Schiff lief vor der Pointe d'Esny und nördlich des Blue Bay Marine Park auf Grund. Diese Gebiete sind als Biodiversitäts-Hotspots aufgeführt. Die Mangrovenwälder an der Küste nördlich von Pointe d'Esny sind mit Öl bedeckt. Dies wird definitiv Auswirkungen haben, denn die Mangroven sind die Kinderstube der Meere.
Die Île aux Aigrettes, eine kleine Insel in der Nähe des Wracks, ist ebenfalls betroffen. Die Insel beheimatet gefährdete Rosentauben (Nesoenas mayeri) und andere einheimische Vögel sowie den Telfair-Skink (Leiolopisma telfairii), ein Reptil. Die Mauritian Wildlife Foundation in Port Louis arbeitete bereits daran, die ursprüngliche Pflanzenvielfalt der Insel wieder heimisch werden zu lassen und invasive Arten zu entfernen. Das Öl gelangte zwar nicht auf die Insel selbst, doch könnten Chemikalien in die Korallen gesickert sein, und die Dämpfe der Ölpest haben womöglich ebenfalls Auswirkungen.
»Nicht einzelne Arten sind betroffen, sondern das gesamte Ökosystem«
Zwei Flüsse münden in die Bucht, in der sich der Ölteppich befindet. Das Brackwasser an den Flussmündungen ist ein wichtiges Ökosystem, und das Öl ist die Flüsse ein Stück hinauf gelangt. Der Ölteppich schwamm auch über einem Gebiet mit Seegras, das Seepferdchen beheimatet. Obwohl er das Seegras nicht berührt hat, befürchten wir, dass die Chemikalien im Wasser sie erreichen könnten.
Sind bestimmte Arten betroffen?
Nicht einzelne Arten sind betroffen, sondern das gesamte Ökosystem, weil sich wasserlösliche Chemikalien im Wasser ausbreiten. Filterfresser wie Korallen, Krebs- und Weichtiere sind wahrscheinlich die Ersten, die es trifft. Wir haben noch nicht viele Tiere sterben sehen, aber wir werden auf Anzeichen achten müssen.
Das schlechte Wetter in den vergangenen zwei Wochen hat das Schiff auch gegen das Korallenriff gedrückt. Dadurch wurde eine Menge Sand und zerbrochene Korallen über das Riff in die Lagune geschleudert. Die Folge: Eine Sandbank entstand direkt im Innern des Riffs. Das könnte die Strömungen in der Lagune verändern und wird sich auf das Korallenwachstum auswirken.
Auch gibt es soziale Auswirkungen. Die in der Region lebenden Fischergemeinschaften können nicht mehr ausfahren, weil das Fanggut einen hohen Arsengehalt aufweist. Besorgnis erregend ist zudem, dass wir die möglichen langfristigen Auswirkungen nicht kennen. Das Öl ist ein neuer schwefelarmer Brennstoff.
Was geschieht als Nächstes?
Experten entwickeln derzeit einen Plan, um die Uferlinie ordnungsgemäß zu säubern. Die Auswirkungen auf die Mangrovenwälder könnten sich verschlimmern, wenn man sie nicht sorgfältig reinigt. Es könnten dann auch Chemikalien in den Sand gelangen, die bei warmem Wetter womöglich in ein oder zwei Jahren freigesetzt werden.
Der vordere Teil des Schiffs wurde weggeschleppt, um ihn entlang der Schifffahrtsroute zu versenken. Dies war die Option mit den geringsten Nachteilen. Der hintere Teil liegt immer noch auf dem Riff. Es wurde vom Brennstoff gereinigt, aber Rost und Farbe könnten Schäden verursachen. Außerdem zerfällt es, was wiederum dazu führen kann, dass die Korallen auseinanderbrechen.
»Es ist nicht das erste Mal, aber ich hoffe wirklich, dass es das letzte Mal ist«
Können künftige Ölkatastrophen vermieden werden?
Diesmal hatten wir Glück. Wäre es im April passiert, hätten wir nicht hinausfahren dürfen. Das war wegen der Covid-19-Pandemie untersagt. Außerdem begann Ende Juni die Zuckerrohrernte. Wäre der Schiffbruch früher eingetreten, hätten wir den Schilfrohrabfall nicht zur Verfügung gehabt, um das Öl einzuschließen.
Mauritius liegt in der Nähe einer Schifffahrtsstraße. Etwa 2500 große Schiffe fahren jeden Monat durch die Region. Dies ist das dritte gestrandete Schiff, das wir in zehn Jahren erlebt haben. Jedes Mal ist die Inselgemeinschaft sehr verärgert und sagt, dass große Schiffe viel zu nah an die Küste herankommen. Es ist also nicht das erste Mal, aber ich hoffe wirklich, dass es das letzte Mal ist.
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