Trotz Warnung : Geiersterben erreicht Europa
Bis vor rund 20 Jahren gehörten Indiens Geierarten zu den häufigsten Greifvögeln der Erde. Dann brachen ihre Bestände dramatisch ein, drei Spezies standen kurz vor dem Aussterben. Die Ursache: das nichtsteroidale Antirheumatikum und Schmerzmittel Diclofenac, das indische Landwirte bei ihren Rindern einsetzten. Bei Geiern und verschiedenen Adlern sorgt es jedoch für tödliches Nierenversagen, wenn sie an entsprechend belasteten Kadavern gefressen haben. Der eindeutigen Studienlage und Warnungen von Wissenschaftlern zum Trotz erlaubte die Europäische Union dennoch den Einsatz des Medikaments in der Veterinärmedizin. Im Journal »Science of The Total Environment« belegt eine Gruppe um Marta Herrero-Villar vom Instituto de Investigación en Recursos Cinegéticos in Ciudad Real, dass Diclofenac nachweislich auch mindestens einen Geier in Europa getötet hat.
Das Opfer war ein junger Mönchsgeier (Aegypius monachus) aus Katalonien, der 2020 tot in seinem Nest gefunden wurde. Eine Obduktion zeigte, dass er von schweren gichtartigen Entzündungen der Gefäße und Organe betroffen war. Mit Hilfe einer ökotoxikologischen Gewebeuntersuchung wiesen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Diclofenac in größeren Konzentrationen in der Leber und den Nieren nach: Das Tier verendete demnach an einer schweren Nierengicht, wie es auch bei den indischen Vögeln der Fall war.
Es handle sich dabei nicht nur um den ersten belegten Fall einer derartigen Vergiftung in Europa, sondern auch um den ersten Mönchsgeier, der davon betroffen ist, schreiben Herrero-Villar und Co. Bislang galten vor allem Arten aus der Geiergattung Gyps als anfällig dafür. Zudem entdeckte man in Indien einzelne Adler, die an Diclofenac gestorben sind. Das Medikament könnte also für mehr Greifvogelarten als bislang bekannt gefährlich werden.
Vogelschutzorganisationen wie Birdlife International werben seit Jahren dafür, Diclofenac aus der Veterinärmedizin zu verbannen. Stattdessen könnte der Wirkstoff Meloxicam eingesetzt werden, der in Tests bei Geiern keine letale Harnsäurevergiftung ausgelöst hat. Dennoch hatte die European Medicines Agency (EMA) Diclofenac zugelassen und nur darauf gedrängt, dass die Staaten der Europäischen Union die Verwendung des Mittels strenger regulieren. Eine in den Augen vieler Wissenschaftler unzureichende Lösung. Italien und Spanien haben den veterinärmedizinischen Einsatz von Diclofenac anschließend gebilligt.
Europa gehört zu den wenigen Regionen, in denen sich der Bestand der Altweltgeier in den letzten Jahren erholt hat. Diese Erfolge werden aber immer wieder durch politische Entscheidungen gefährdet, etwa durch das Verbot, Kadaver in der Landschaft zu belassen oder zu so genannten Geierrestaurants zu bringen. Dadurch verhungerten viele Tiere, weshalb die Vorgabe inzwischen abgemildert wurde. In Europa weist Spanien den größten Bestand an Gänse- und Mönchsgeiern auf.
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