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Aids: Medikamentenabhängige Viren und maßgeschneiderte Therapien

"Aids ist kein Todesurteil mehr." Ein provozierender Satz, der auf der 4. Konferenz der Internationalen Aids-Gesellschaft in Sydney fiel. Wie passt er zu der Tatsache, dass siebzig Prozent der weltweit vierzig Millionen Menschen mit HIV und Aids keinen Zugang zu lebensrettenden Therapien haben?
IAS-Konferenz 2007
Babys mit Aids haben eine dramatisch verbesserte Überlebenschance, wenn sie sofort in ihren ersten Lebenswochen mit antiviralen Medikamenten behandelt werden. Mit dieser positiven Botschaft ging die an guten Nachrichten nicht arme 4. Konferenz der Internationalen Aids-Gesellschaft über HIV-Pathogenese, Behandlung und Prävention am Mittwoch im australischen Sydney zu Ende. 5000 Wissenschaftler aus 133 Ländern hatten auf der viertägigen Konferenz neue Medikamente, verbesserte Therapiestrategien, modernste biomedizinische Präventionsmöglichkeiten sowie wesentliche Fortschritte in der Grundlagenforschung zum besseren Verständnis des Lebenszyklus sowie der Wirkungsweise des HI-Virus als Ursache der Immunschwächekrankheit Aids diskutiert.

Angesichts ermutigender Ergebnise hatte Michel Kazatchkine, Generaldirektor des Globalen Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria verlauten lassen, Aids sei kein Todesurteil mehr. Er fügte noch hinzu: "Nach meiner Ansicht hat sich die Mortalität durch Aids bei Menschen in Behandlung erledigt." Seine Aussagen reiben sich allerdings mit ebenfalls dort präsentierten Fakten: Siebzig Prozent der weltweit vierzig Millionen Menschen mit HIV und Aids werden sehr wohl an der Immunschwächekrankheit sterben. 28 Millionen Betroffene in den Entwicklungsländern haben noch keinen Zugang zu den lebensrettenden Medikamenten.

Erklärung von Sydney

Angesichts dieser Missstände fordern gut 2000 Aids-Wissenschaftler aus aller Welt in der "Erklärung von Sydney" den Einsatz der bestmöglichen Behandlungs- und Präventionsstrategien für alle Betroffenen. "Die Wissenschaft hat uns die Mittel zur Prävention und Behandlung von Aids gegeben. Die Tatsache, dass diese Wissenschaft noch nicht in die Praxis umgesetzt worden ist, ist ein schändliches Versagen", betonte Pedro Cahn, Vorsitzender der Internationalen Aids-Gesellschaft.

Zehn Prozent aller finanziellen Mittel für Aids-Programme sollen in Zukunft für die Forschung zur Optimierung der vorhandenen Behandlungs- und Präventionsstrategien eingesetzt werden, fordern die Wissenschaftler. Professor David Cooper, Co-Vorsitzender der Konferenz und Direktor des Nationalen Zentrums für HIV-Epidemiologie und klinische Forschung Australiens, sagte mit Nachdruck: "Die Geldgeber müssen begreifen, dass gute Programme nur auf dem Fundament solider Forschung erfolgreich sein können."

Tropfen auf dem heißen Stein

Der von den Vereinten Nationen vor fünf Jahren gegründete Global Fund hat bislang acht Milliarden US-Dollar für Aids-Behandlung und -Prävention ausgeben können. "Dadurch konnte 2,2 Millionen Menschen das Leben gerettet werden", betonte der französische Immunologe Kazatchkine. Auf der anderen Seite aber steigt die Zahl der Neuinfektionen rasant an. "Für jede Person, die man in Therapie bringt, werden sechs neue Menschen angesteckt", erklärt Anthony Fauci, Direktor des US-amerikanischen National Institute of Allergy and Infectious Diseases.

Die Milliarden des Globalen Fonds stammen aus den Haushalten von Regierungen als auch aus den Mitteln privater Spender wie dem Softwaremilliardär Bill Gates. Diese Summen seien aber nur der Tropfen auf dem heißen Stein sind, klagt der Globale Fonds. Alleine bis zum Jahr 2010 würden jährlich 22 Milliarden gebraucht, betonte Kazatchkine. Das sei finanzierbar, wenn die westlichen Länder ihrer Verpflichtung nachkämen, 0,7 Prozent ihres Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe auszugeben. Deutlich wurde Gastgeberland Australien dafür kritisiert, nur 0,3 Prozent seines Volkseinkommens für Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stellen. Die Weltbank sieht in dem Fehlen von effektiven Gesundheitsstrukturen und ausgebildetem Personal wie Krankenpfleger und Ärzte in den von Aids betroffenen Entwicklungsländern das größte Hindernis zur optimalen Umsetzung von Hilfsprogrammen.

Hoffnung Gentechnik

Neue Hoffnung für Behandlung gibt die Gentechnik. Wissenschaftler in den USA haben in Sydney den Beginn von klinischen Studien mit genetisch veränderten Stammzellen und T-Zellen aus dem Blut von Menschen mit HIV angekündigt. Die genetisch manipulierten Zellen würden dann wieder in den Patienten injiziert und einen Schutz vor weiteren Infektionen bieten. "Wir sind uns darüber im Klaren, dass diese Therapie nicht universell anwendbar sein wird", betonte John Rossi aus den USA gegenüber Medien in Sydney.

Ein australisches Forscherteam von der Murdoch-Universität in Perth hat einen Gentest entwickelt, der es Ärzten ermöglichen soll, durch die Identifizierung der genetischen Beschaffenheit eines Patienten ein maßgeschneidertes medikamentöses Therapieregime zu verschreiben. Durch den von Simon Mallal entwickelten Bluttest kann bei HIV-Patienten eine Genvariation festgestellt werden, die sie das Aids-Medikament Abacavir nicht vertragen lässt. Mit dem "Rezept" für diesen spezifischen Test könnten ähnliche Tests für Krankheiten wie Diabetes, Epilepsie oder Gicht entwickelt werden. "Das markiert wirklich zum ersten Mal den Eintritt in die personalisierte Medizin, und das hat über HIV hinaus eine große Bedeutung", sagte Mallal in Sydney.

Medikamtenabhängige Viren

Beunruhigend ist die Entdeckung holländischer Wissenschaftler, wonach das HI-Virus für seine Vermehrung von antiretroviralen Medikamenten regelrecht abhängig werden kann. Eines der größten Probleme in der medizinischen Behandlung einer HIV-Infektion war bisher die Resistenzentwicklung des Virus gegen Medikamente. Die nun festgestellte Abhängigkeit von den Wirkstoffen nannte Ben Berkhout, Leiter des Labors für experimentelle Virologie der Universität Amsterdam, "irritierend".

Unklar ist jedoch, wie und warum diese Medikamentenabhängigkeit entsteht und welche Konsequenzen sie für die Therapien haben wird. Berkhout wollte jedoch nicht ausschließen, dass sich Virenvarianten, die von einem bestimmten Medikament abhängig geworden sind, sich genauso verbreiten könnten wie resistente Virusstränge.

Biomedizin und Prävention

Als "größte Hoffnung" zur Prävention von HIV-Infektionen in den Ländern der Dritten Welt bezeichneten die Experten die Beschneidung von Männern. Studien haben ergeben, dass beschnittene Männer sich seltener mit HIV infizieren als unbeschnittene. Verhaltener war der Optimismus bei biomedizinischen Präventionstechniken für Frauen. Es gebe eine Reihe von "viel versprechenden Studien" mit Mikrobiziden, sagte IAS-Direktor Ian McClure, fügte aber warnend hinzu: "Es gibt noch keine endgültigen Resultate."

Erst Anfang dieses Jahres war eine Studie mit diesen gelartigen Vaginalcremes in Südafrika abgebrochen worden, nachdem deutlich geworden war, dass sich Teilnehmerinnen nicht weniger, sondern mehr mit HIV infizierten. Mit einsatzfähigen Mikrobiziden werde erst "in einigen Jahren" zu rechnen sein, betonte Nancy Padian. Die Epidemiologin und Wissenschaftlerin von der Universität von Kalifornien in San Francisco warnte jedoch davor vor der Annahme, verhaltenspräventive Strategien wie Safer Sex würden durch die neuen biomedizinischen Präventionsmöglichkeiten obsolet. "Verhaltensprävention muss in die biomedizinische Prävention integriert werden." Denn nur eine Kombination aller Vorbeugungs- und Bekämpfungsmaßnahmen könnte eines Tages wahrmachen, dass Aids kein Todesurteil mehr ist.

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