Meeresforschung: Aufbruch in den Ozean
Wir wissen mehr über den Mond als über unsere Meere und haben eine bemannte Raumstation im All, aber keine in der Tiefsee. Eine Technikoffensive soll das nun etwas ändern.
Jacques Rougerie hat einen Traum – seit 40 Jahren schon: "Seefahrer schauen nur auf das Wasser. Sie sind blind für die riesige Welt unter sich." Und deshalb möchte der französische Architekt endlich "SeaOrbiter" realisieren – eine "bewohnbare Struktur", die ähnlich einer Raumstation im All die Erforschung der Meere revolutionieren soll. Angetrieben von den Meeresströmungen soll das mehr als 50 Meter hohe Observatorium durch die Ozeane schwimmen und den Wissenschaftlern an Bord direkte Einblicke ins Unterwasserleben ermöglich: Mehr als die Hälfte der Station liegt unter Wasser, wo riesige Fenster die Sicht auf das Forschungsumfeld gewähren.
Eine einzige bemannte Unterwasserstation
Doch diesem Ansinnen stehen einige Schwierigkeiten gegenüber, erläutert Ellen Prager vom Projekt "Aquarius Reef Base" der US-amerikanischen Behörde für Wetter und Ozeanografie (NOAA): "Das Meer ist ein für uns lebensfeindliches Ökosystem – dunkel, nass, kalt und in der Tiefe mit erdrückendem Gewicht. Und da er lichtundurchlässig ist, sehen wir von der Oberfläche nicht weit in die Tiefe. Wir müssen also direkt hinein, um den Ozean besser zu erforschen." Aus diesem Grund betreibt die NOAA schon seit 1993 die Aquarius Reef Base vor der Küste Floridas, in der Forscher aus den unterschiedlichsten Disziplinen bis zu 14 Tage leben und arbeiten. "Die Basis ermöglicht uns langzeitige Beobachtungen der Meeresumwelt, die aus logistischen und finanziellen Gründen von der Küste oder dem Boot aus unmöglich wären." Bis zu sechs Wissenschaftler beherbergt das Unterwasserlabor gleichzeitig im Trockenen.
Technik in die Tiefsee
Ein globales Forschungsprojekt soll das jetzt im wahrsten Sinne tief greifend ändern: das Global Ocean Observing System (GOOS). Als erster Schritt werden dafür im Nordpazifik, Südatlantik, vor der Küste Chiles im Pazifik und südöstlich von Grönland so genannte feste Knotenpunkte im Meer versenkt. Sie sind mit einer Vielzahl an Instrumenten bestückt, die in Echtzeit und permanent allerlei Daten sammeln sollen, etwa zu chemischen Veränderungen, geopyhsikalischen Ereignissen wie Erdbeben und Plattenbewegungen, Meeresströmungen oder Nährstoffkreisläufen. Ferngesteuerte Tauchvehikel, die von den Knotenpunkten aus auf Fahrt gehen und Proben einsammeln, erweitern die Reichweite der Plattformen.
Der Mensch wird nicht überflüssig
Den entstehenden kontinuierlichen Datenstrom senden Breitbandkabel an Land, was zeitnahe Beobachtungsreihen über Jahre hinweg erlaubt, während Forschungsreisen zeitlich stets beschränkt waren. Driftende Messbojen wiederum konnten nur so lange arbeiten und funken, bis die Batterien leer waren, während die Knotenpunkte über Stromkabel betrieben werden. Über 240 Gigabyte an Daten pro Sekunde könnten die Forscher ab 2011 verfügen – eine Informationsmasse, die sich nur noch mit Supercomputern an Land bewältigen lässt. Albert Plueddemann vom WHOI freut sich schon auf Daten: "Sie ermöglichen uns einen vollständigeren räumlichen und zeitlichen Blick auf die Ozeane als jemals zuvor."
Der SeaOrbiter kommt zur richtigen Zeit, denn die Erforschung der Weltmeere steht vor einem neuen Zeitalter. Weltweit schicken sich Forschungseinrichtungen an, endlich mehr über das Blau unseres Planeten zu erfahren. Bislang gilt beispielsweise die Tiefsee als schlechter erforscht als der Mond – trotz aller Fortschritte, wie Alexandra Isern vom Office of Polar Programs der US-amerikanischen National Science Foundation meint: "Wir sind seit dem Zweiten Weltkrieg beim Verständnis der Ozeane sehr gut vorangekommen. Jetzt müssen wir den nächsten großen Schritt wagen und 24 Stunden täglich sieben Tage die Woche vor Ort sein."
Eine einzige bemannte Unterwasserstation
Doch diesem Ansinnen stehen einige Schwierigkeiten gegenüber, erläutert Ellen Prager vom Projekt "Aquarius Reef Base" der US-amerikanischen Behörde für Wetter und Ozeanografie (NOAA): "Das Meer ist ein für uns lebensfeindliches Ökosystem – dunkel, nass, kalt und in der Tiefe mit erdrückendem Gewicht. Und da er lichtundurchlässig ist, sehen wir von der Oberfläche nicht weit in die Tiefe. Wir müssen also direkt hinein, um den Ozean besser zu erforschen." Aus diesem Grund betreibt die NOAA schon seit 1993 die Aquarius Reef Base vor der Küste Floridas, in der Forscher aus den unterschiedlichsten Disziplinen bis zu 14 Tage leben und arbeiten. "Die Basis ermöglicht uns langzeitige Beobachtungen der Meeresumwelt, die aus logistischen und finanziellen Gründen von der Küste oder dem Boot aus unmöglich wären." Bis zu sechs Wissenschaftler beherbergt das Unterwasserlabor gleichzeitig im Trockenen.
Mehr als sechs Kilometer vom Ufer entfernt und in knapp 20 Meter Tiefe gelegen, können die jeweiligen Mitarbeiter während ihrer Mission jederzeit tauchend ihre Umwelt erkunden – mit großem Erfolg. Unter anderem haben sie herausgefunden, dass tiefer gelegene Korallenriffe besser mit Umweltveränderungen zurechtkommen als solche des Flachwassers. Sie haben entdeckt, dass interne Wellen, die an Grenzflächen im Wasser entstehen, 10 bis 40 Mal so viel natürliche Nährstoffe ins Riff schwemmen, wie aus Schmutzquellen an der Küste Floridas stammt. Und vertieft wurden Erkenntnisse über verheerende Krankheiten, die Korallen befallen können, die Filtrierleistung von Schwämmen, die deutlich über dem liegt, was man aus dem Labor wusste, oder den Chemismus der Riffbewohner. Selbst Mitarbeiter der NASA kommen hierher, um für zukünftige Raumfahrtmissionen zu trainieren, wie es sich in einem extremen Umfeld leben lässt.
Technik in die Tiefsee
Für den Einsatz in 4000 Meter Tiefe taugen Modelle wie die Aquarius Reef Base allerdings nicht unbedingt – schließlich muss das Material einen Druck bis zu 400 Bar aushalten – in 10 000 Meter Tiefe sogar 1000 Bar: Auf jedem Quadratzentimeter Fläche lastet dann eine Tonne Gewicht. Dazu kommen eisige Temperaturen und natürlich die permanente Dunkelheit. "Eine bemannte Forschungsstation in der Tiefsee wäre sehr teuer und technologisch anspruchsvoll wegen des extremen Drucks, dem sie standhalten müsste, und der langen Wege an die Oberfläche", schätzt Prager. Der Kostenfaktor verhindere auch, dass es nicht generell mehr derartige Projekte – zumal in entlegenen Regionen – gibt, schließt sich Stephanie Murphy vom Woods Hole Oceanographic Institute (WHOI) an: "Wir stehen immer noch ganz am Anfang der Meeresforschung, da uns die hohen Kosten und logistischen Probleme einschränken, permanent bemannte Einrichtungen aufzubauen und am Laufen zu halten."
Ein globales Forschungsprojekt soll das jetzt im wahrsten Sinne tief greifend ändern: das Global Ocean Observing System (GOOS). Als erster Schritt werden dafür im Nordpazifik, Südatlantik, vor der Küste Chiles im Pazifik und südöstlich von Grönland so genannte feste Knotenpunkte im Meer versenkt. Sie sind mit einer Vielzahl an Instrumenten bestückt, die in Echtzeit und permanent allerlei Daten sammeln sollen, etwa zu chemischen Veränderungen, geopyhsikalischen Ereignissen wie Erdbeben und Plattenbewegungen, Meeresströmungen oder Nährstoffkreisläufen. Ferngesteuerte Tauchvehikel, die von den Knotenpunkten aus auf Fahrt gehen und Proben einsammeln, erweitern die Reichweite der Plattformen.
Der Rest der Wassersäule bleibt auch nicht ausgespart: Weitere Instrumentenbasen schweben in verschiedenen Tiefen in der See bis hinauf zur Meeresoberfläche. Die dort schwimmenden Aufbauten nutzen Sonne und Wind, um Strom zu erzeugen, der wiederum einen Teil der Anlagen versorgt. Zugleich sollen Instrumente den Austausch zwischen Atmosphäre und Ozean überwachen: Wie viel Kohlendioxid nimmt das Meer auf und wie wirkt sich die Versauerung auf das Ökosystem aus? Wie verteilen sich Nährstoffe bei starkem Wind und Wellengang? In welchem Rhythmus pulsiert das Leben im Wasser? Welche Rolle spielen Turbulenzen, aufsteigendes Tiefenwasser und absinkende Organismen im ökologischen Haushalt? All diese Fragen soll GOOS beantworten helfen.
Der Mensch wird nicht überflüssig
Den entstehenden kontinuierlichen Datenstrom senden Breitbandkabel an Land, was zeitnahe Beobachtungsreihen über Jahre hinweg erlaubt, während Forschungsreisen zeitlich stets beschränkt waren. Driftende Messbojen wiederum konnten nur so lange arbeiten und funken, bis die Batterien leer waren, während die Knotenpunkte über Stromkabel betrieben werden. Über 240 Gigabyte an Daten pro Sekunde könnten die Forscher ab 2011 verfügen – eine Informationsmasse, die sich nur noch mit Supercomputern an Land bewältigen lässt. Albert Plueddemann vom WHOI freut sich schon auf Daten: "Sie ermöglichen uns einen vollständigeren räumlichen und zeitlichen Blick auf die Ozeane als jemals zuvor."
Bis 2015 sollen die Stationen rund um den Globus betriebsbereit sein. Trotz der ganzen Technik werden Menschen im Meer aber auch dann nicht überflüssig, sagt Stephanie Murphy: "Nichts kann persönliche Erfahrungen in der Tiefsee ersetzen." Dieser Gedanke ist auch der Ansporn für Jacques Rougerie, dessen SeaOrbiter vielleicht schon 2012 seinen Dienst aufnimmt. Er soll ebenfalls den Auftakt für ein weltweites Projekt bilden, so Rougerie: "Wir planen einen Ableger in jedem Ozean und Binnenmeer." Oder, um Rougeries Lieblingsautor Jules Vernes zu zitieren: "Alles, was ein Mensch sich vorstellen kann, können andere Menschen verwirklichen." Auch im Meer.
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