Klimawandel: Meeresspiegel steigt schneller als erwartet
Es sind nur wenige Millimeter, um die der Meeresspiegel jährlich steigt – wenige Millimeter, die bislang kaum sichtbar sind. Dennoch können die Folgen verheerend sein: Bereits ein jährlicher Anstieg um zwei Millimeter, wie ihn der Weltklimarat IPCC vor fünf Jahren vorhersagte, könnte Sturmfluten verstärken oder zu Salz im Grundwasser führen. Laut einer Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) verläuft der Anstieg nun sogar deutlich rasanter, als bislang angenommen: Um 3,2 Millimeter klettere der Meeresspiegel jedes Jahr, berichten die Wissenschaftler um Stefan Rahmstorf. Die vom PIK gemessenen Werte sind demnach um etwa 60 Prozent höher als die des IPCC-Berichts von 2007. "Die neuen Erkenntnisse unterstreichen, dass der IPPC keineswegs alarmistisch ist, sondern in einigen Fällen sogar die Klimarisiken unterschätzt hat", sagt Rahmstorf.
Das Forscherteam ermittelte den aktuellen Anstieg mithilfe von Satellitendaten. Spezielle Sonden können Radarwellen aussenden, die von der Meeresoberfläche reflektiert werden. So erhalten die Forscher Informationen über den Abstand zwischen Satellit und Wasseroberfläche. Wenn dieser sich verkleinert, deutet das darauf hin, dass der Meeresspiegel gestiegen ist. Um einen Durchschnittswert zu erhalten, verwendeten die Klimaforscher riesige Messdatensätze von verschiedenen Stellen des Meeres.
Die Zwei-Millimeter-Prognose des IPCC-Berichts stützte sich hingegen nicht auf Messdaten, sondern auf Modellrechnungen. "Diese Modelle sind noch nicht ausgereift, weil der Prozess des Meeresspiegelanstiegs noch nicht hinreichend gut verstanden ist", sagt Rahmstorf. Kurzfristige Klimaveränderungen sind nach Einschätzung der Forscher nicht für den Anstieg verantwortlich. Wie sich der Meeresspiegel entwickele, hänge vielmehr mit der globalen Mitteltemperatur zusammen.
Wenn diese sich erhöht, kommt es zur thermischen Ausdehnung des Meerwassers. Zudem tauen durch die Erwärmung Gletscher und Eisschilde ab. Die Modelle des IPCC lassen die Beiträge der kontinentalen Eisschilde jedoch außer Acht. "Wie die Eisschilde sich in der Zukunft entwickeln und damit der Meeresspiegel, ist mit einer riesengroßen Unsicherheit behaftet", sagt Mojib Latif, Klimaforscher am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel.
Es überrasche ihn daher nicht, dass die IPCC-Modelle den bisherigen Anstieg unterschätzt haben. "Man kann keine belastbare obere Grenze für den zu erwartenden Anstieg angeben, aber das steht auch im IPCC-Bericht", sagt er. Die Studie gebe also wieder, was im Wesentlichen bereits bekannt sei, "aber besser quantifiziert".
Die Ergebnisse der Potsdamer Forscher verdeutlichen einmal mehr, dass es bislang kaum möglich ist, die Ausmaße und Folgen des Klimawandels präzise abzuschätzen. So ergab zuletzt der Unep-Bericht des UN-Umweltprogrammes, dass das Zwei-Grad-Ziel sich allmählich zur Utopie entwickele. Ähnliche Befürchtungen gingen auch aus einer Studie der Weltbank hervor. Die ständig neuen Zahlen aus der Klimaforschung ergeben zwar ein immer klareres Bild davon, wie sich die Erde in Zukunft verändern wird. Eindeutige Aussagen lassen sie aber nicht zu – höchstens die, dass der Klimawandel insgesamt offenbar extremer verläuft, als angenommen.
Laut Rahmstorf ist es daher wichtig, theoretische Zukunftsprognosen immer wieder mit dem tatsächlich eingetretenen Anstieg abzugleichen. So könnten die zusätzlichen 1,2 Millimeter pro Jahr Folgen haben: "Die Existenz großer Küstenstädte und ganzer Inselstaaten ist gefährdet", warnt Rahmstorf. "Die Häufigkeit schwerer Sturmfluten wie die in New York durch Hurrikan Sandy wird durch den Meeresspiegelanstieg stark zunehmen." Der vom Weltklimarat kalkulierte Temperaturanstieg um 0,16 Grad Celsius pro Jahrzehnt stimme dagegen mit den neuen Messungen überein. Im Gegensatz zum Anstieg des Meeresspiegels sei die globale Erwärmung relativ einfach zu berechnen, so Rahmstorf. "Im Unterschied zur Physik der globalen Erwärmung selbst ist der Meeresspiegel deutlich komplexer."
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