Meerwasserentsalzung: Mit Hochdruck gegen den Wassermangel
Es war das Ende eines Streits, der fast ein Jahrzehnt angedauert hatte. Am 12. Mai entschied die für den Schutz der kalifornischen Küste zuständige California Coastal Commission per Abstimmung, den Bau einer großen Meerwasserentsalzungsanlage in Huntington Beach nicht zuzulassen. Der Antrag für die Errichtung des mit Baukosten von 1,4 Milliarden US-Dollar geplanten Werks war bereits 2013 gestellt worden und hatte seitdem Experten, Politiker und Aktivisten gespalten. Der Südwesten der USA und speziell Kalifornien steckt seit etlichen Jahren in einer Megadürre – die schlimmste seit mindestens 1200 Jahren, sagen Meteorologen. Die Wasserspiegel der Talsperren des Sonnenstaats liegen auf historischen Tiefs, und im April 2022 wurden für Südkalifornien drastische Wassersparmaßnamen verordnet.
Deswegen wären Befürwortern wie Gavin Newsom, dem Gouverneur des Staats, die 190 Millionen Liter Trinkwasser, die das Werk täglich produziert hätte, sehr gelegen gekommen. Doch die Umwelt hätte nach Angaben der Gegner den Preis bezahlt: »Das Projekt würde das maritime Leben in über einer Milliarde Liter Küstengewässer pro Tag töten«, erläuterte der Entsalzungsexperte Tom Luster der Kommission vor der Abstimmung.
Nun steht eine weitere Abstimmung an. Am 17. November soll die California Coastal Commission nun über den Bau einer Anlage auf der Monterrey-Halbinsel abstimmen. Die Diskussion in Kalifornien steht exemplarisch für vergleichbare Probleme rund um die Welt. Die zunehmende Erderwärmung und immer häufiger auftretende Dürren werden nach Expertenangaben dazu führen, dass schon 2030 weltweit ein 40-prozentiges Defizit zwischen der Nachfrage und dem Angebot von Trinkwasser bestehen wird. Die gleichen Fachleute sehen Meerwasserentsalzung als die derzeit einzige Technologie, um einem solchen so unmittelbar bevorstehenden gravierenden Mangel unverzüglich entgegenzutreten. Doch die Technologie kommt mit Nachteilen – neben der Umweltbelastung geht es auch um Kosten und Effizienz. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bemühen sich um Abhilfe.
Meerwasserentsalzung für die Sicherheit
Die Vereinten Nationen definieren Wasserknappheit als einen für den menschlichen Bedarf nicht ausreichenden Zugang zu Trinkwasser auf Grund mangelhafter Infrastruktur. Die Weltgesundheitsorganisation WHO gibt an, dass in Zeiten von Krisen ein Mensch täglich je nach Klimazone und Ernährung zwischen 7,5 und 15 Liter Trink- und Süßwasser benötige, zum Trinken und für Minimalhygiene. Fast die Hälfte der Welt lebt bereits in von Wasserknappheit gefährdeten Regionen, und diese Zahl könnte sich bis 2050 auf zwischen 4,8 und 5,7 Milliarden Menschen erhöhen. Die UNO befürchtet, dass dies bis 2030 bis zu 700 Millionen Menschen veranlassen wird, ihre Heimat zu verlassen.
»Entsalzung kann unsere Wasserversorgung weit über den regulären Wasserkreislauf hinaus erweitern«Manzoor Qadir, United Nations University
»Wassermangel gehört zu den fünf größten Risiken für globale Sicherheit«, bekräftigt Manzoor Qadir, ein Experte für Wasser, Umwelt und Gesundheit an der United Nations University (UNU) im kanadischen Hamilton. In einer Studie kommt Qadir mit seinen Kollegen zu dem Schluss, dass »konventionelle Methoden zur Wasserversorgung wie das Sammeln von Regenfall, die Ableitung von Flüssen und Grundwasser sowie Staudämme das Wasserbedürfnis in Krisenregionen nicht mehr decken können«. Das Papier nennt Entsalzungsanlagen als die größte Hoffnung auf eine Abwendung von Wasserkrisen: »Entsalzung kann unsere Wasserversorgung weit über den regulären Wasserkreislauf hinaus erweitern. Sie bietet uns einen praktisch unlimitierten, klimaunabhängigen Zugang zu Trinkwasser, besonders aus den Weltmeeren«, sagt Qadir.
Trinkwasser sollte aus Gesundheitsgründen einen Salzgehalt von höchstens 0,01 Prozent haben. Bei bis zu 0,05 Prozent spricht man von Süßwasser. Die Landwirtschaft kann bei der Bewässerung bis zu 0,2 Prozent verkraften. 70 Prozent der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt, doch nur rund 2,5 Prozent davon sind Süßwasser. Hiervon wiederum sind 70 Prozent unzugänglich, zum Beispiel eingeschlossen in Polareis. Was bleibt, ist weniger als ein Prozent. Selbst die Hälfte allen zugänglichen Grundwassers unseres Planeten enthält zu viel Salz und andere Fremdstoffe, die es ohne Behandlung zumindest als eindeutiges Trinkwasser ungeeignet machen. Solche als Brackwasser bezeichneten Vorkommen haben einen Salzgehalt von 0,05 bis 3 Prozent. Grundsätzlich gilt: Je höher der Salzanteil des Wassers, desto schwieriger, umweltschädlicher, energieaufwändiger und damit auch teurer wird es für die momentan gängigen Technologien, das Salz zu entfernen und damit Trinkwasser oder zumindest Süßwasser zu produzieren.
Das Problem mit dem salzhaltigen Abwasser
Entsalzung, auch Desalination oder kurz Desal genannt, macht also sowohl für die Behandlung von Meerwasser an Küsten als auch von Brackwasser im Binnenland Sinn. Praktische Gründe, vor allem im Zusammenhang mit der Ableitung von Abwässern, haben Anlagen aber bislang vor allem an den Küsten entstehen lassen. Das in Deutschland ansässige Desalination Institute – DME (Deutsche Meerwasser Entsalzungsgesellschaft) zählt weltweit derzeit mehr als 20 000 Anlagen, die täglich über 100 Millionen Kubikmeter Trinkwasser und über 160 Millionen Kubikmeter Salzlauge, so genannte Sole, produzieren.
Diese Sole ist für den Erfolg der Entsalzung ein entscheidendes Problem. Für jeden Liter Trinkwasser entstehen auch 1,6 Liter Salzlauge, ein Umstand, der wie in Kalifornien um maritime Ökosysteme besorgte Umweltschützern Sorgen macht. Die Sole wird zumeist einfach wieder mit Meerwasser verdünnt und in die Ozeane zurückgeführt. Deswegen ist die Entsorgung kostengünstig. Die Anlagen werden von Beginn an so gebaut, dass sie in der Lage sind, die verdünnte Salzlösung wieder zurück ins nahe gelegene Meer zu pumpen. Zusätzliche Kosten fallen also bei der Beseitigung nicht mehr an. Im Gegensatz dazu gestaltet sich die Abführung solcher Abwässer bei Anlagen für Brackwasser im Binnenland aufwändiger. Dies ist auch der Grund, warum Anlagen zur Entsalzung im Binnenland aus Kostengründen lange keine Option waren. Doch auch hier werden nun Methoden entwickelt, um die Kosten zu senken.
Die DME gilt als einer der Weltführer in Sachen Beratung, Bewertung und Datensammlung zum Thema Desalination. Ihr Geschäftsführer Claus Mertes beziffert den jährlichen Wachstum des Marktes für solche Anlagen auf bis zu 15 Prozent. »Im Moment werden durch Entsalzung rund eine halbe Milliarde Menschen mit Trinkwasser versorgt«, so Mertes.
Neben der Umweltbelastung sind außerdem Kosten ein entscheidendes Problem für Meerwasserentsalzung. Wassermangel entsteht vor allem in Regionen mit hohen Temperaturen und viel Sonnenschein. Manche dieser Länder sind wohlhabend, viele sind es nicht. So ist es kaum verwunderlich, dass Desal-Werke mit großen Volumen vor allem in gut betuchten Staaten der arabischen Welt zu finden sind. Saudi-Arabien, Kuwait, die Emirate und Qatar produzieren fast die Hälfe des weltweit aus Entsalzung gewonnenen Trinkwassers.
Die Formel für solche Staaten ist es, den Anbau und die teure Bewässerung von Lebensmitteln zu vermeiden und diese stattdessen zu importieren und außerdem Trinkwasser durch Desalination zu produzieren. Im klimagestressten Nahen Osten oder dem Horn von Afrika funktioniert das für Länder wie Kuwait oder Qatar. Für Krisenländer wie den Jemen oder Somalia besteht diese Option jedoch nicht. Dort versuchen Hilfsorganisationen, kostengünstige Entsalzung mit kleineren Anlagen auf den Weg zu bringen.
Woher kommt die Energie?
Wie können bei der Entsalzung aber Kosten gespart oder die Umwelt geschont werden? Entscheidend ist der Energieaufwand der verschiedenen Technologien. Die für die Energie notwendige Elektrizität, oder die Verbrennung fossiler Brennstoffe dafür, erfordert Ressourcen, und damit verbunden sind Kosten. Hinzu kommen Aspekte wie die Beseitigung von Abfallstoffen oder andere Folgekosten für die Umwelt. Aktuell dominieren weltweit vor allem zwei Technologien: die thermische Entsalzung und die Umkehrosmose. Bei der thermischen Methode werden Verdunstung und anschließende Kondensation zur Entsalzung genutzt. Bei der Umkehrosmose wird Salzwasser unter Hochdruck durch Membranen geführt, in denen das Salz zurückbleibt.
»Diese Anlagen brauchen enorm viel Energie, um das Salz aus dem Meerwasser zu holen. Deswegen sind energiereiche Länder im Vorteil«, sagt auch Süleyman Yüce von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Aachen (RWTH). Der Experte für chemische Verfahrenstechnik beziffert den Anteil der Energiekosten an den gesamten Produktionskosten auf 40 bis 50 Prozent, je nachdem welche Technologie angewendet werde. »Hier liegt deswegen auch das größte Potenzial zur Kostensenkung«, so Yüce.
»Im Moment werden durch Entsalzung rund eine halbe Milliarde Menschen mit Trinkwasser versorgt«Claus Mertes, Geschäftsführer der DME
An der RWTH beschäftigten sich zwei Forschungsgruppen seit den 1970er Jahren entweder mit der thermischen Methode oder der Umkehrosmose. Als in den 1990er Jahren dann die Vorteile der Umkehrosmose immer offensichtlicher wurden, konzentrierten sich die Forscher in Aachen auch auf diese mit Membranfiltern arbeitende Technologie.
Die am häufigsten angewandte Methode der thermischen Entsalzung ist derweil die mehrstufige Entspannungsverdampfung. Dabei wird das Meer- oder Brackwasser meistens noch mit der Abwärme eines Kraftwerks erhitzt. Das Salzwasser verdampft unter Vakuum. Der Wasserdampf kondensiert dann an mit Kühlflüssigkeit gefüllten Rohrleitungen und kann als salzfreies Wasser gesammelt werden. Der Energieaufwand dieser Methode liegt bei zwischen 20 und 30 Kilowattstunden pro Kubikmeter Wasser. Die weltweit noch verbleibenden thermischen Anlagen, vor allem in der arabischen Welt, stehen wegen ihres Abwärmebedarfs somit meistens auch direkt neben Kraftwerken, die mit Erdöl oder -gas betrieben werden. 2009 schätzte das zuständige Ministerium Saudi-Arabiens, dass ein Viertel allen in dem Land geförderten Erdöls und -erdgases in diese kombinierte Produktion von Elektrizität und Trinkwasser fließt.
Die thermische Entsalzung
Doch nicht nur die Energiekosten dieser Methode sind hoch. Wissenschaftler beschreiben zudem einen Teufelskreis, bei dem die Lösung zugleich einen Teil des Problems verschuldet: Zunehmender Wassermangel erhöht das Bedürfnis für Desalination. Wenn die Entsalzung aber mit fossilen Brennstoffen betrieben wird, tragen deren Emissionen zum Klimawandel bei, der dann wiederum zu Wasserknappheit führt. »Die Welt setzt deswegen stattdessen zunehmend auf Umkehrosmose. Inzwischen benutzen rund 80 Prozent aller Anlagen diese Technologie. Doch es wird noch etwas dauern, ehe die relativ veralteten weltweit knapp 20 Prozent der thermischen Werke abgelöst sein werden«, erklärt Claus Mertes. Denn die hohen Baukosten und damit verbundenen langen Abschreibungszeiten verzögern diesen Wechsel.
Als in den 1960er Jahren die ersten thermischen Anlagen errichtet wurden, hatten Wissenschaftler die Umkehrosmose als Entsalzungsmethode gerade erst praktikabel gemacht. Es sollte rund drei Jahrzehnte dauern, bis die neue Methode eine Marktführung erreichen konnte. »Damals hatte Umkehrosmose einen Energiebedarf von 15 bis 20 Kilowattstunden pro Kubikmeter. Heute sind es nur noch 3,5 bis 4,5 ,Kilowattstunden pro Kubikmeter«, so Mertes. Umkehrosmose benötigt Energie, die mit Elektrizität erzeugt wird. Woher diese Energie kommt, entscheidet dann mit über die Nachhaltigkeit – es kann Solar-oder Windenergie sein, aber auch Kernkraft.
Bei der Umkehrosmose wird Salzwasser mit Hochdruck durch halbdurchlässige Membranen gewissermaßen »gepresst«, die physikalisch korrekte Bezeichnung ist ›diffundiert‹. Diese bestehen zum Beispiel aus Polyamid. Solche Materialien wirken wie ein Filter und lassen nur bestimmte Ionen und Moleküle passieren, vor allem Wassermoleküle. Das Salz wird zurückgehalten.
Je höher der Salzgehalt und damit der osmotische Widerstand des Wassers ist, desto mehr Druck wird benötigt, um die Flüssigkeit durch die Membranen zu pressen – bei Meerwasser zwischen 55 und 70 Bar. Um diesen Druck zu erzeugen, wird Energie benötigt. Deswegen ist die dramatische Kostensenkung bei dieser Methode in den vergangenen Jahrzehnten um rund zwei Drittel vor allem durch eine verbesserte Membrantechnologie zu erklären. »Denn ein Teil des benötigten Drucks geht in der Membran verloren«, erläutert Rohit Karnik vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (MIT) – »also benötigen Membranen mit geringerer Widerstand weniger Wasserdruck für die Entsalzung und senken so die Energiekosten.«
Die »Wunderfolie« Graphen erzeugt auch Trinkwasser
Karnik arbeitet mit seinen Kollegen am MIT mit einem atomdünnen Wundermaterial namens Graphen. »Graphen hat eine hohe mechanische Stärke, guten chemischen Widerstand und ist undurchlässig gegenüber Ionen und Molekülen«, so Karnik. Mit seinen Kollegen bewies er, dass es möglich ist, mit Hilfe von Galliumatomen Billionen von nanometergroßen Poren in Graphen entstehen zu lassen und dieses dann durch Chemikalien gerade so weit zu öffnen, dass nur Wassermoleküle passieren können. Und weitere Verbesserungen dieser Methode sind auf dem Weg.
Und dennoch – der Umkehrosmose sind physikalische Limits gesetzt, die sie nach der Erwartung von Experten eines Tages genauso obsolet machen wird, wie dies im Augenblick mit der thermischen Methode der Trend ist. »Das theoretische energetische Minimum dieser Methode liegt bei einem Energieaufwand von 1,9 Kilowattstunden pro Kubikmeter. Das ist ihr physikalisches Limit – besser geht es nicht«, sagt Claus Mertes.
Auch die Fragen zum Umweltschutz müssen beantwortet werden, besonders was mit dem Abfallprodukt der hochsalzigen Lauge zu tun ist. Diese wird zumeist einfach ins Meer zurückgegeben. Umweltschützer sorgen sich über die Auswirkungen dieser Abwässer auf maritime Ökosysteme. Allein der hohe Salzgehalt kann Seegräsern oder Fischlarven schaden. Außerdem können sauerstoffarme Schichten im Wasser entstehen, die sogar größere Meeresbewohner beeinträchtigen können. Die Pumpen der Werke können beim Ansaugen des Wassers Fische und andere Tiere verletzen oder töten. »Diese Anlagen sind klimaschädigend, zerstören oft fragile Küstensysteme, und auch das gewonnene Salz stellt bei der Abgabe in die Umwelt ein Risiko dar«, bekräftigt Fabienne McLellan von der internationalen Umweltorganisation OceanCare.
Die Technik hat noch Luft nach oben
Betreiber verweisen darauf, dass bei korrekter Rückgabe des Salzes in den Ozean das Gemisch zumeist wieder verdünnt wird und somit nur jenes Volumen von Salzwasser ins Meer zurückgelange, das zuvor entnommen wurde. Doch auch Befürworter der Desalination müssen einräumen, dass die Sole noch andere Schadstoffe enthält. »Das Problem ist, dass beim Betrieb dieser Anlagen additive Chemikalien gebraucht werden, um die Materialien möglichst lange am Leben zu halten«, sagt DME-Experte Claus Mertes. Dazu zählen Anti-Fouling-Mittel, Anti-Kalkbildner und Anti-Schaumbildner. Andere Schadstoffe erodieren zudem aus den Maschinen. In Kalifornien haben die Betreiber von Desal-Anlagen eine Art Ausgleichshandel entwickelt und helfen dabei, Feuchtbiotope zu regenerieren, um die Schäden an anderer Stelle auszugleichen.
Doch die Forschung macht Fortschritte darin, solche Fragen nach Umweltbelastung und Energiekosten zu beantworten. »Es gibt derzeit mehr als 50 Entsalzungstechnologien, die so grundsätzlich verschieden sind, dass sie unterschiedlichen naturwissenschaftlichen Grundprinzipien folgen«, so Mertes. Es sei schon jetzt klar, dass diese die Umkehrosmose einmal verdrängen werden; allerdings habe bislang keine dieser Technologien bereits Tausende von Anlagen auf ihrer Seite. Die Entwicklung dieser neuen Methoden bis hin zu einer praktischen Anwendung in existierenden Desal-Werken wird noch dauern.
Was viele dieser neuen Methoden vereint, ist nach Mertes' Beobachtung ein »Paradigmenwechsel« in der grundsätzlichen Denkweise über Entsalzung. »In der Vergangenheit haben wir uns zu sehr darauf konzentriert, aus dem Salzwasser das Süßwasser sozusagen herauszupressen«, so Mertes. Die neuen Ideen beschäftigten sich nun nicht mehr damit, den knapp 97-prozentigen Wasseranteil des Meerwassers einem Säuberungsprozess zu unterwerfen, sondern stattdessen die verbleibenden gut drei Prozent aus Salz und anderen Feststoffen direkt und selektiv zu entfernen.
Bei der Erklärung der zum Teil recht abstrakten chemischen, elektrostatischen und anderen Entfernungsmethoden für das Salz nutzen die Forscher Vergleiche zu Schwämmen, Schaufeln oder Staubsaugern. Viel versprechend ist dabei zum Beispiel das Prinzip der kapazitiven Deionisation (CDI). Bei diesem Trennverfahren wird eine elektrostatisch aufgeladene Fläche in Salzwasser versenkt. Die Salzionen werden dann von porösen Elektroden dieser Fläche, zum Beispiel Aktivkohle, auf Grund ihrer elektrischen Ladung regelgerecht angesaugt. Das Salz wird in den Poren gespeichert, dann aus der Flüssigkeit entnommen und durch Umpolen der Elektroden wieder frei gegeben – »wie bei einer Art elektrostatischen Schaufel«, erklärt Mertes.
Ist ein Lösungsmittel die Lösung?
Da diese Schaufel die Salzionen regelmäßig abladen muss, wird der Prozess der Entsalzung immer wieder unterbrochen. »Das führt zu Leistungsverlusten«, erklärt Süleyman Yüce. An der RWTH haben Forscher deshalb eine Verfeinerung der Methode entwickelt, die FCDI (flow-elektrode capacitive deionisation). »Der Unterschied zur CDI ist, dass die Elektroden nicht fest, sondern eine fließfähige Suspension aus Aktivkohlepartikeln und Wasser sind«, so Yüce. Die Schaufel muss nicht mehr entleert werden, der Prozess ist kontinuierlich und hat weniger Leistungsverlust.
Auch andere Methoden könnten eines Tages die Entsalzung allein bestreiten, stellen im Moment aber zumindest schon eine gute Ergänzung zur Umkehrosmose dar. Bei der an der Columbia University in New York entwickelten Methode der »temperature swing solvent extraction« (TSSE) nutzen Wissenschaftler das Prinzip der so genannten Flüssig-Flüssig-Extraktion, auch Ausschütteln genannt. Damit bezeichnet die Chemie ein Trennverfahren, bei dem ein gelöster Stoff mit Hilfe eines anderen Lösungsmittels extrahiert wird. Dazu werden zunächst das Salzwasser und ein Lösungsmittel zusammengeführt, dessen Wasserlöslichkeit von seiner Temperatur abhängt. Danach wird das Gemisch kräftig geschüttelt. Wasser und Lösungsmittel vermischen sich. Das Salz trennt sich von diesem Gemisch, da es nicht in dem Lösungsmittel löslich ist. Anschließend wird die Temperatur der verbleibenden Mischung erhöht. Da die Wasserlöslichkeit des Lösungsmittels bei erhöhter Temperatur abnimmt, verursacht der Temperaturumschwung (temperature swing) eine Trennung des Gemisches – und zurück bleibt Frischwasser.
»Unser Lösungsmittel funktioniert also wie ein Schwamm, der das Wasser, aber nicht das Salz aufsaugt«, erläutert Umweltingenieur Ngai Yin Yip, der das Verfahren mit entwickelt hat. Nach Yips Einschätzung hat TSSE das Potenzial, andere Entsalzungstechnologien vollständig zu ersetzen. Es benötige keine Membranen oder hohen Temperaturen, kann durch erneuerbare Energien betrieben werden und ist kosteneffizienter. »Unsere Methode kann Wasser mit einer Salzhaltigkeit behandeln, die für Umkehrosmose zu hoch ist«, betont Yip. Im Moment bietet TSSE vor allem die Möglichkeit, Anlagen mit Umkehrosmose umweltfreundlicher zu machen – denn die Technologie kann die hochsalzige Lösung behandeln, die dort als Abfallprodukt anfällt.
»Unser Lösungsmittel funktioniert wie ein Schwamm, der das Wasser, aber nicht das Salz aufsaugt«Ngai Yin Yip, Mitentwickler der TSSE
Der Umweltingenieur berichtet, dass TSSE in den vergangenen zwei Jahren enorme Fortschritte gemacht habe. So sei es seinem Team mit der Methode gelungen, eine abwasserfreie Produktion zu erreichen, in der Industrie auch »zero liquid discharge (ZLD)« genannt, bei der nur Feststoffe und Salz zurückbleiben. Das gesamte Wasser der Lauge hingegen wird zu entsalztem Produktwasser. »Das ist ein extrem wichtiger Durchbruch. Bislang benötigten alle Methoden, um ZLD zu erreichen, nämlich viel Energie und Geld«, so Yip. Der Forscher zeigt sich zuversichtlich, dass diese Entwicklung bald viele Fragen des Umweltschutzes in Sachen Desalination beantworten wird: »TSSE-ZLD könnte zu einer nachhaltigen Methode werden, die uns hilft, das Abwasserproblem zu beseitigen.«
Trinkwasser als Nebenprodukt der Energiewende
Bei einem weiteren technologischen Durchbruch stellt das entsalzte Wasser sogar ein willkommenes Nebenprodukt dar. »Uns ging es zunächst einmal darum, auch aus Meerwasser Wasserstoff gewinnen zu können«, berichtet Shuo Chen von der University of Houston. Bei der Wasserelektrolyse wird Wasser mit Hilfe von Elektrizität in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Wasserstoff wird ein immer begehrteres Element in grünen Energiekonzepten. Das Gas kann ein umweltfreundlicher Treibstoff sein oder überschüssigen Strom aus Solar- oder Windanlagen zwischenspeichern. Die Anlagen können dabei gleichzeitig den Strom für die Wasserelektrolyse liefern.
Doch das funktionierte bislang nur mit Trinkwasser, denn Salzwasser zersetzt die Elektroden solcher Systeme durch Korrosion schnell. Dazu haben die Forscher in Houston jetzt einen Lösung gefunden. »Wir haben einen neuen Katalysator entwickelt, der industriellen Anforderungen genügt, aber gleichzeitig nur eine sehr niedrige Spannung benötigt, um die Elektrolyse des Meerwassers einzuleiten«, erläutert Chen. Der Katalysator besteht dabei aus nichtedlen Metall-Nitriden, die der Korrosion besser standhalten. Für ausschließliche Entsalzung ist die Umkehrosmose zwar kosteneffizienter, sie bietet jedoch nicht die zusätzliche Gewinnung von Wasserstoff. »Wenn der Wasserstoff dann zur Energieerzeugung eingesetzt wird, entsteht als Nebenprodukt salzfreies Trinkwasser«, sagt Chen.
Egal ob Schaufeln, Schwämme oder Wasserspaltung – die neuen Ideen zur Entsalzung müssen sich zumeist noch im großtechnischen Einsatz beweisen und sich anschließend auf dem Markt behaupten. »Solche Prozesse dauern in der Regel Jahrzehnte«, erklärt Yüce. Bei der Umkehrosmose fanden die bahnbrechenden Entwicklungen in der Membrantechnologie bereits in den 1960er Jahren statt, doch erst in den 1990er Jahren hat die Technologie eine Marktführung erreicht. »Der Wassermarkt ist sehr konservativ. Es wird eine Weile dauern, um zum Beispiel Nutzer wie Wasserwerke davon zu überzeugen, dass eine neue Technologie ausreichend sicher ist«, sagt Claus Mertes.
Auch der Krieg in der Ukraine hat sich inzwischen auf dem Desalinationsmarkt bemerkbar gemacht. Egal welcher Technologie vertraut wird, für die dafür notwendige Energie wird nun vermehrt nach erneuerbaren, vor allem Sonnenenergie nachgefragt, wie auch Süleyman Yüce beobachtet. Nach Yüces Einschätzung gibt diese Entwicklung sogar der schon als tot erklärten thermischen Entsalzung eine neue Chance, »denn bei dieser Methode können wir nicht nur Strom, sondern auch Wärme erzeugen und diese speichern«. Der Experte verweist zum Beispiel auf den Nahen Osten und speziell Israel. Das Land gilt in Sachen Entsalzung als Pionier, hat in der Vergangenheit aber bei der Energieerzeugung zumeist auf fossile Brennstoffe gesetzt. »Israel hat fossile Brennstoffe aus Quellen bezogen, die nun wegen des Kriegs in der Ukraine eine erhöhte Nachfrage erfahren«, so Yüce.
Darum sieht sich das Land nun nach Solarenergie um. Im Jahr 2021 unterzeichnete Israel eine Absichtserklärung mit seinem Nachbarn Jordanien, wonach Jordanien 600 Megawatt Sonnenenergie nach Israel exportieren wird und im Gegenzug dafür 200 Millionen Kubikmeter entsalztes Wasser erhält. So lassen Wasser- und Energiemangel auch politische Konkurrenten miteinander kooperieren. Klimakrisen und Kriege könnten somit die Etablierung neuer Technologien auf dem eher konservativen Desalinationsmarkt beschleunigen.
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