Mega-Mikrobe: Riesiges Bakterium ist einen Zentimeter lang
Ein Bakterium aus den Mangrovensümpfen der Insel Guadeloupe ist rund einen Zentimeter lang – und damit etwa 50-mal länger als das nächstgrößere Bakterium. Der von einer Arbeitsgruppe um Jean-Marie Volland vom Lawrence Berkeley National Laboratory vorläufig auf den Namen Thiomargarita magnifica getaufte Organismus bildet weiße, rund einen Zentimeter lange und etwa einen zehntel Millimeter dicke Schnüre, die mit einem Ende auf versunkenen Mangrovenblättern befestigt sind. Wie das Team in einer Veröffentlichung in »Science« berichtet, besitzt Thiomargarita mehrere Anpassungen, die sein enormes Größenwachstum erklären könnten. So hat das Bakterium zum Beispiel nicht nur ein außerordentlich großes Genom, sondern enthält auch rund eine halbe Million Kopien davon. Unklar ist, warum der Organismus so groß ist – und ob es vielleicht noch größere Bakterien gibt.
Thiomargarita gehört zur Gruppe der Großen Schwefelbakterien, die zuvor schon die größten bekannten Bakterienzellen stellten. So kann Thiomargarita namibiensis unter speziellen Umständen bis zu 750 Mikrometer lang werden. Selbst diese Art ist normalerweise nur rund 200 Mikrometer lang, so dass das neu entdeckte Bakterium rund 50-mal länger ist. Eigentlich sollte ein so großes Bakterium gar nicht lebensfähig sein, denn in einer dermaßen großen Zelle brauchen Nährstoffe, Signalmoleküle oder neu produzierte Proteine viel zu lange, um alle Orte der Zelle zu erreichen.
Thiomargarita magnifica löst das Problem mit mehreren Tricks. Zum einen ist die Zelle gar nicht so groß, wie sie erscheint. Ihr Inneres ist fast komplett mit einer Membranblase gefüllt, in der die Zelle Nitrat speichert – dieses kann sie als Sauerstoffquelle zur Energiegewinnung nutzen. Die eigentliche Zelle außerhalb der Nitratblase ist nur eine etwa zwei bis drei Mikrometer dicke Schicht aus Zellplasma, in der außerdem unzählige mit Schwefel gefüllte und ebenfalls für die Energiegewinnung genutzte Membranblasen eingelagert sind. Sie geben allen Großen Schwefelbakterien ihre typische leuchtend weiße Farbe. Außerdem verringern all die Membranbläschen das Zellplasmavolumen, das tatsächlich versorgt werden muss.
Eine wichtige Rolle für die ungewöhnliche Größe spielen die hunderttausenden Kopien des Erbguts. Jede von ihnen ist in einer eigenen Membranblase eingeschlossen, die zudem einige Ribosomen enthält. Man bezeichnet diese Strukturen als Pepine. Sie dienen als im ganzen Bakterium verteilte Proteinfabriken. Zusätzlich ist Thiomargarita von einem ganzen Netzwerk von Membranen durchzogen, in denen ATP produzierende Enzyme verankert sind, die von Unterschieden in der Protonenkonzentration angetrieben werden und Energie für Zellprozesse herstellen. Wie die Zelle die Unterschiede in den Protonenkonzentrationen erzeugt, ist allerdings noch komplett rätselhaft.
Ungeklärt sind auch weitere wichtige Fragen. So muss es eine Art Langstreckenkommunikation in der Zelle geben, denn die Proteinfabriken produzieren nicht alle zufällig und mit gleicher Rate Biomoleküle. Die Aktivität konzentriert sich vielmehr an einigen wenigen Stellen, berichtet die Arbeitsgruppe um Volland. Wie die Zelle diese Stellen auswählt und welche Signale die Pepine aktivieren, ist ungewiss. Genauso ist noch offen, wie die Reaktion auf schädliche Umwelteinflüsse bei einem Bakterium dieser Größe funktioniert. Darauf, wie es sich fortpflanzt, gibt es allerdings erste Hinweise: Die Fachleute interpretieren die etwa 0,2 Millimeter langen Abschnürungen am losen Ende der Zelle als mögliche Tochterzellen von Thiomargarita magnifica. Nicht zuletzt scheint sich ein beträchtlicher Teil der Stoffwechselaktivität dort abzuspielen.
Am interessantesten für die weitere Forschung ist allerdings, dass die kuriosen Zellfäden perfekt sauber sind. Eigentlich bilden sich auf jeder Oberfläche Biofilme, zumal auf die Oberfläche von Thiomargarita magnifica hunderttausende normalgroße Bakterien passen. Ursache der sterilen Hülle seien vermutlich antibiotische Stoffe, die das Bakterium produziert. Etwa ein Viertel seines Genoms besteht aus Enzymen, die verschiedene Naturstoffe herstellen, die in anderen Organismen der chemischen Kriegsführung dienen. Welche Stoffe das Riesenbakterium tatsächlich ausscheidet, ist bisher unbekannt – aber womöglich sind neue Antibiotikakandidaten für die Medizin dabei.
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