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Mysteriöse Dauer-Welle: Megatsunami verursachte tagelange Schwingungen

Eine stehende Welle, ausgelöst durch einen Felssturz, schwappte eine Woche lang durch einen Fjord. Die besondere Form der Meeresbucht hielt die Woge gefangen.
Blick auf einen grönländischen Fjord mit steilen Felswänden: Prins Christian Sund, Südgrönland
An den steilen Felswänden grönländischer Fjorde, hier der Prins Christian Sund in Südgrönland, können Wellen mit nur wenig Energieverlust abprallen.

Eine mehr als 200 Meter hohe Flutwelle raste am 16. September 2023 durch den Dickson-Fjord an der Ostküste Grönlands. Auslöser war ein großer Felssturz, der an der steilen Wand der schmalen Bucht abbrach und einen Megatsunami auslöste. Doch wie nun Fachleute um Angela Carrillo‐Ponce vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam entdeckten, war das keineswegs die bemerkenswerteste Folge des Ereignisses. Etwa eine Woche lang schwappte eine vom Tsunami ausgelöste stehende Welle durch den Fjord, berichtet das Team nun in der Fachzeitschrift »The Seismic Record«. Die ungewöhnlich lang anhaltende Schwingung ließ den Wasserstand an den Ufern des Fjords um über einen Meter schwanken und war noch in 5000 Kilometern Entfernung messbar.

Solche durch Felsstürze ausgelösten Megatsunamis werden in der Arktis immer häufiger: Tauendes Eis und schmelzende Gletscher destabilisieren die steilen Hänge der Fjorde. 2017 vernichtete eine bis zu 90 Meter hohe Welle eine Siedlung in Grönland und tötete vier Menschen. An den Ufern des Dickson-Fjords lebte zum Glück niemand, aber die Monsterwelle zerstörte eine leerstehende Militärbasis auf einer vorgelagerten Insel.

Die Arbeitsgruppe identifizierte mit Hilfe von Satellitenbildern einen Hang nahe dem Fjord, von dem sich ein mehrere Dutzend Meter dickes, 16 Hektar großes Gesteinspaket abgelöst hatte und 400 Meter tief in einen engen Canyon gestürzt war. Dort hatte es Teile eines Gletschers mit sich gerissen und war dann als enorme Lawine aus Eis und Fels in den Fjord gerauscht. Die Satellitenbilder zeigen, dass das Wasser dort bis zu 200 Meter die Hänge hinaufschwappte. Auf einer Strecke von zehn Kilometern war der Megatsunami im Mittel noch 60 Meter hoch.

Die bemerkenswerteste Entdeckung kam jedoch, als das Team die Daten von Erdbebenmessstationen in Neuengland, Alaska und Deutschland auswertete. Dabei stieß es auf ein langperiodisches Signal aus der Region, dessen Frequenz von etwa 0,0109 Hertz über einen Zeitraum von einer Woche identifizierbar war. Anhand von Computermodellen identifizierte die Arbeitsgruppe schließlich den Grund: Der ursprüngliche Felssturz hatte eine Welle ausgelöst, die quer über den Fjord von Ufer zu Ufer schwappte – und das eine Woche lang. Solche stehenden Wellen und deren seismische Signale beobachten Fachleute gelegentlich durch kalbende Gletscher. Die Dauer des Ereignisses im Dickson-Fjord macht die dort schwappende Dauer-Welle jedoch zu einem Sonderfall. Anhand von Satellitenbildern und Modellen konnte das Team um Carrillo‐Ponce schließlich erklären, wie sich eine stehende Welle dort so lange halten konnte.

Das Megatsunami-Ereignis fand ziemlich in der Mitte eines 20 Kilometer langen, zwei Kilometer schmalen und nahezu rechteckigen Abschnitts des Fjords mit sehr steilen Wänden statt. Dadurch war, wie die Simulationen zeigen, die zu Beginn 2,6 Meter hohe Welle effektiv gefangen. Wie das Team anhand mathematischer Modellierungen zeigte, verlor sie vor allem durch die innere Reibung des Wassers Energie – an den Felsufern prallte sie schlicht ab. So schlug sie alle rund 90 Sekunden gegen eins der steilen Ufer des Fjords – und verursachte die seltsamen seismischen Signale, die die Arbeitsgruppe in den Messdaten entdeckt hatte.

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