Biodiversität: Mehr als die Hälfte aller Arten leben im Boden
Für viele Menschen ist der Boden lediglich der feste Untergrund, auf dem sie gehen. Neue Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass Böden für mehr als die Hälfte aller Arten auf der Erde ein wichtiger Lebensraum sind – und ein gefährdeter noch dazu.
Der Boden rücke inzwischen mehr in den Fokus, erklärt der Ökologe Mark Anthony von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in der Schweiz. »Wir beginnen gerade zu erkennen, dass wir unsere Böden auf globaler Ebene wirklich versaut haben.« Anthony ist Mitautor einer Studie, die am Montag in der Fachzeitschrift »PNAS« veröffentlicht wurde. Darin berechnen die Forscher, dass etwa 59 Prozent der Arten auf der Erde für eine oder mehrere Phasen ihres Lebens auf den Boden angewiesen sind. Diese Zahl stellt eine starke Veränderung gegenüber der einzigen früheren Schätzung dar, die sich auf Tiere bezog und davon ausging, dass etwa 25 Prozent aller Arten im Boden leben.
Für Anthony fühlten sich diese 25 Prozent zu wenig an. Also machte er sich mit seinen Kollegen daran, globale Schätzungen des gesamten Artenreichtums und der biologischen Vielfalt im Boden für die bevölkerungsreichsten Gruppen des Lebens zusammenzustellen, darunter Bakterien, Pilze, Pflanzen, Insekten und Säugetiere. Es war eine anspruchsvolle Arbeit, sagt er, denn Wissenschaftler müssen noch viel über einige dieser Gruppen lernen – einschließlich ihrer Mitglieder, die im Boden leben oder nisten oder anderweitig eng mit dem Boden verbunden sind.
»Ich denke, die Autoren haben beim derzeitigen Stand der Wissenschaft gute Arbeit geleistet«, sagt Ember Morrissey, die an der West Virginia University mikrobielle Gemeinschaften im Boden untersucht und nicht an der neuen Studie beteiligt war. »Es gibt definitiv einige blinde Flecke, wenn es um die biologische Vielfalt im Boden geht, und es stellen sich viele Fragen, etwa: Was sind die besten Methoden, um die Vielfalt zu bewerten?«
Unter den Gruppen, die sie untersuchten, fanden die Forscher den höchsten Anteil an Bodenbewohnern – 98,6 Prozent – bei den Enchyträen. Diese Tiere sind winzige Cousins der Regenwürmer und können ihr ganzes Leben im Boden verbringen. Am geringsten ist die Abhängigkeit vom Boden bei Säugetieren, von denen nur etwa vier Prozent für eine oder mehrere Phasen ihres Lebenszyklus auf Böden angewiesen sind. Einige Säugetiere, wie zum Beispiel Präriehunde, nisten unter der Erde. Andere Gruppen wie Pflanzen liegen zwischen diesen beiden Extremen. Während viele Pflanzenarten die Erde zum Wachsen benötigen, gedeihen andere in luftiger Höhe auf Bäumen weit weg vom Boden.
Über alle untersuchten Gruppen hinweg sind etwa 59 Prozent der Arten zum Überleben auf den Boden angewiesen. Dieser Anteil erscheint selbst Anthony überraschend hoch. Er geht davon aus, dass sich die genaue Zahl noch ändern wird, wenn Wissenschaftler mehr über die Organismen erfahren, die sich unter der Erde verstecken. Die Arbeit zeige aber schon jetzt den unterschätzten Wert dieser Umgebung für das Leben auf der Erde.
»Für mich ist das eine Art Volkszählung«, sagt Anthony. Er hofft, dass die Ergebnisse dazu beitragen, dass künftig mehr Energie in den Schutz und die Wiederherstellung von Böden investiert wird.
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