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News: Mehr gibt es nicht!

Wenn es stimmt, was ein Team von Astronomen aus der großräumigen Verteilung der kosmischen Hintergrundstrahlung - dem "Echo" des Urknalls - folgert, dann haben wir schon alles gesehen im Universum. Denn nach ihrem Modell ist das Weltall nicht nur geschlossen, sondern so klein, dass wir uns beim Blick zum Sternenhimmel schon fast selbst auf die Hinterköpfe schauen.
Mikrowellenhintergrund
Bei allen Wirren und Wirbeln des Alltags gibt es Erkenntnisse, auf die wir uns fest verlassen können. Dazu gehört, dass parallele Geraden sich niemals schneiden (so haben wir es in der Schule gelernt) und das Universum unendlich ist (was im Vorspann der Fernsehserie "Raumschiff Enterprise" überzeugend behauptet wird).

Nur für Kosmologen sieht die Welt nicht ganz so einfach aus. Die denken nämlich in viel größeren Dimensionen und geraten deshalb öfter ins Grübeln. Bei der Sache mit den Parallelen ziehen sie zum Beispiel gleich drei Möglichkeiten in Betracht. Angenommen, der Weltraum sei das, was sie mit "flach" bezeichnen, dann wäre alles in schönster Ordnung mit den Geraden. Doch wehe, er ist "negativ gekrümmt", so würden sich die Parallelen zwar niemals treffen, doch ihr Abstand zueinander würde immer größer werden, je weiter man den beiden folgte. Und bei einem "positiv gekrümmten" Raum würden die Striche sich sogar schneiden – jedem Mathelehrer zum Trotz.

Auch die Unendlichkeit des Weltalls steht noch in Frage. Wissenschaftlich ausgedrückt wäre ein unendliches Universum "offen", und es passte beliebig viel Materie hinein. Das ginge bei einem "geschlossenen" Universum selbstverständlich nicht, denn sein Raum wäre endlich – und wer jemals Umzugskartons gepackt hat, weiß, was das bedeutet.

Nun fühlen sich auch Kosmologen nicht wohl, wenn so grundlegende Fragen ungeklärt sind. Also haben sie verschiedene theoretische Szenarien aufgestellt, mit denen sich Vorhersagen treffen lassen, die experimentell nachprüfbar sind. Einer der wichtigsten Zeugen für die geometrische Natur des Universums ist die kosmische Hintergrundstrahlung. Sie stellt ein Relikt des Urknalls dar, mit dem Raum und Zeit überhaupt ihren Anfang nahmen, und ist mit empfindlichen Sensoren noch als Mikrowellenstrahlung nachzuweisen.

Aus allen Himmelsrichtungen erreicht uns die Strahlung, doch bei genauer Betrachtung ist sie nicht völlig gleichmäßig verteilt. Winzige Schwankungen in der Energie lassen entsprechende Karten körnig erscheinen. Schuld daran sind hauptsächlich Dichteschwankungen im ganz jungen Universum, denn um der größeren Gravitation einer dichten Region zu entkommen, musste ein Photon mehr Energie lassen und erscheint "kühler" als ein Photon aus einem weniger dichten Gebiet.

Eine der neuesten Karten von der kosmischen Hintergrundstrahlung stammt von dem Satelliten Wilkinson Microwave Anisotropie Probe (WMAP) der NASA. Dessen Daten hat ein Team französischer und amerikanischer Astronomen um Jean-Pierre Luminet vom Observatoire de Paris mit einem theoretischen Modell erklärt, aus dem klar hervorgeht: Das Universum ist doch endlich und positiv gekrümmt!

Die Wissenschaftler stützen ihre Behauptung auf Vergleiche der Mikrowellen-Energien von weit entfernten Abschnitten des Himmels. Liegen diese nämlich mehr als 60 Grad auseinander, verschwinden plötzlich die Unterschiede – das körnige Bild wirkt sanfter. Keine der gängigen Theorien kann diese Beobachtung ohne weiteres erklären. Also wandten sich Luminet und seine Kollegen einer Annahme zu, die ihnen am nahe liegendsten erschien: Es gibt keine Differenzen im großen Maßstab, weil das Weltall gar nicht so groß ist. Der Eindruck von Unendlichkeit entsteht nur deshalb, weil wir beim Blick in die Tiefen uns quasi fast selbst auf den Hinterkopf gucken. Es ist ähnlich wie in dem Cartoon von einem Bogenschützen, dessen Pfeil einmal um die Erde fliegt, um den Sportler dann in seinem eigenen Hinterteil zu treffen.

Ein bisschen komplizierter als eine simple Kugel ist die Form des Universums nach Aussage der Forscher schon. Ihren Berechnungen zufolge passt am besten ein Poincaré-Dodekaeder, der zusammen mit angelagerten Kopien seiner selbst eine Hypersphäre bildet. Um sich das auch nur einigermaßen vorstellen zu können, beginnt man am besten mit einem "gewöhnlichen" Dodekaeder. Den kann sich sogar jeder zu Hause selbst basteln, indem er zwölf gleichseitige Fünfecke an den Kanten zusammenklebt, sodass sich ein eckiger "Ball" ergibt. Um daraus ein Modell des Universums zu machen, müsste man nun die Figur zu einer Kugel verbiegen und so falten, dass die Flächen von gegenüberliegenden Fünfecken aufeinander liegen. Da dies in unserer Welt unmöglich ist, übernimmt der Computer die Aufgabe und berechnet einen Hyperkörper, mit dem so etwas geht. Und siehe da: In einem solchen Universum kann ein Beobachter beliebig weit "im Kreis" schauen, ohne an eine Grenze zu stoßen, obwohl der Raum tatsächlich endlich ist.

Im Gegensatz zur Konkurrenz erklärt das Dodekaeder-Modell alle Messergebnisse ohne Schwierigkeiten oder seltsame Zusatzannahmen, schreiben die Astronomen in ihrer Veröffentlichung. Außerdem macht es weitere nachprüfbare Aussagen. So sollte es Kreise von identischen Schwankungen der Mikrowellenenergie geben. Mit zukünftigen, noch genaueren Messungen sollten diese nachweisbar sein. Ebenso werden spätere Missionen vermutlich einen genaueren Wert für den wichtigen Dichteparameter liefern. Den könnte man mit theoretisch berechneten Werten vergleichen.

Es besteht also noch eine schwache Hoffnung für die Mathelehrer der Welt und ihre nicht schneidenden Parallelen. Doch sollte das Universum letztlich wirklich nicht unendlich sein, macht das auch nichts. Denn zumindest sieht es beim Blick an den Sternenhimmel so aus.

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