Meeresforschung: Mehr Wale, mehr Fische
Die Planktonmengen der Meere sinkt seit Jahrzehnten. Viele Forscher machen den Klimawandel dafür verantwortlich. Doch es gibt noch eine andere These: Der Mangel an Walkot lässt das Plankton schwinden - und damit auch die Fischschwärme.
Ein Sommertag im Südpolarmeer Anfang des 20. Jahrhunderts: Hunderte von Bartenwalen treiben die Krillschwärme aus der Tiefe des Ozeans nach oben an die Wasseroberfläche, verschlingen dort Millionen der Krebschen in einem brodelnden Gemenge. Krillschwärme so groß und dicht gepackt mit Leben, dass die Logbücher der damals vor Ort fahrenden Schiffe von einer "roten See" berichten.
1960 sind die größten aller Säugetiere fast ausgerottet. 300 000 Blauwale (Balaenoptera musculus) und 500 000 Finnwale (Balaenoptera physalis) zu Margarine, Motoröl und Viehfutter verarbeitet. Mit den Walen verschwinden auch die riesigen Krillschwärme – zur großen Verwunderung der Wissenschaft. Denn seiner Räuber entledigt, hätte der Krill sich massenweise vermehren müssen, schließlich fehlen nun die Fressfeinde – stattdessen sanken die Bestände sogar.
Die beiden Forscher sind überzeugt, dass die massive Dezimierung der Wale durch den kommerziellen Walfang das marine Ökosystem nachhaltig geschädigt hat. Die Meeressäuger sind ihrer Meinung nach alles andere als nur Konsumenten enormer Mengen Krill. "Wale sind der Motor jener Nahrungskette, an deren Ende sie selbst stehen. Sie kurbeln die Planktonproduktion an und könnten damit letztlich für volle Fischernetze sorgen", sagt Smetacek – eine gewagte Theorie, für die es allerdings immer mehr Belege gibt.
Wale wühlen das Wasser auf
Wie viele Lebewesen das Meer beherbergen kann, hängt in erster Linie von der verfügbaren Menge Nahrung darin ab. Phytoplankton ist die Basis allen Lebens im Meer, es dient vielen Tieren wie dem Krill als Futter. Da die einzelligen Algen Licht zum Wachsen benötigen, können sie sich aber nur in der Oberflächenschicht der Ozeane vermehren, vorausgesetzt es gibt daneben noch genügend Nährstoffe wie Stickstoff, Phosphat oder Eisen für ihr Wachstum.
Lange Zeit wurde der Nährstoffeintrag in die Meere ausschließlich mit physikalischen Prozessen erklärt: Der Wind bläst eisenhaltigen Staub vom Land auf das Meer, Flüsse tragen nährstoffreiche Sedimente ein und Strömungen sorgen für eine Verwirbelung der kostbaren Ressourcen. Der Einfluss der Tiere wurde übersehen. Doch gerade Meeressäuger vermischen nährstoffarme und -reiche Wasserschichten miteinander, indem sie zum Fressen tief hinunterschwimmen und zum Luftholen wieder auftauchen. Forscher berechneten, dass der Einfluss all dieser Tiere zusammen so groß ist wie der Einfluss der Gezeiten und des Winds [2].
Wabernde Wolken befruchten das Meer
Vor allem im Südpolarmeer fehlt es nun offenbar an diesem Dünger. Hier begrenzt in erster Linie Eisen das Planktonwachstum, düngt man das Meer mit dem Element, blüht in kürzester Zeit ein Algenteppich auf. Ungeheure 150 Millionen Tonnen Krill pro Jahr vertilgten Wale im südlichen Ozean vor dem Beginn des industriellen Walfangs in den 1920er Jahren. Das ist das Doppelte der jährlich weltweit gefangenen und in Aquakulturen produzierten Menge Fisch. Wie war es möglich, eine solch enorme Menge Biomasse zu produzieren? Smetaceks und Nicols Antwort darauf: indem Wale die Ozeane düngten. Mit ihren wolkenartigen und vor allem eisenhaltigen Ausscheidungen.
Nicol und seine Kollegen analysierten Walkot und stellten fest, dass er zehn Millionen Mal mehr Eisen enthält als Meerwasser [4]. Und Berechnungen zufolge speichert Krill ein Viertel des Eisenvorkommens des Südpolarmeers in seinem Gewebe. Fressen Wale die Krustentiere, scheiden sie das Nährelement in einer für Pflanzen gut verwertbaren Form wieder aus: Frisch gedüngt, wachsen die Algenzellen um die Wette, dienen Krill als Futter, der sich explosionsartig vermehrt und wiederum von Walen gefressen wird. Auf diese Weise kurbelten früher die zahlreichen Wale die Planktonproduktion an. "Im Südpolarmeer gab es damals mehr Wale und daher auch mehr Krill. Wahrscheinlich lag es an dieser positiven Rückkopplung", gibt sich Nicol überzeugt. Der Krillexperte ist sich sicher, dass in dieser eisenarmen Gegend die Fülle des Lebens vom Eisenkreislauf an der Wasseroberfläche abhängt – ein Kreislauf, der zwingend durch die Därme der Wale führt.
Heute hat die tierische Eisendüngung dagegen an Bedeutung verloren: Nach Jahrzehnten des kommerziellen Walfangs ziehen nur noch 1200 Blauwale auf der Suche nach Krill durch die südlichen Ozeane. Die Finn- und die Buckelwale vermehren sich zwar immerhin wieder, doch verglichen mit früher, als noch Millionen von ihnen die Meere bevölkerten, ist ihr Einfluss recht gering.
Restaurierung nötig und möglich
"Wir haben Wale und große Fische fast vollständig eliminiert, ohne zu wissen, was wir damit anrichten. Wahrscheinlich haben wir damit die Tiere vernichtet, die das System am Laufen halten", sagt Smetacek. Zu einem ähnlichen Schluss kommen 24 Autoren verschiedener Forschungseinrichtungen in einer kürzlich erschienenen Studie [5]: "Der Verlust der Tiere an der Spitze der Nahrungskette könnte der stärkste Einfluss des Menschen auf die Natur sein." So habe etwa der Rückgang von Leopard und Löwe in Afrika Pavianen geholfen, sich explosionsartig zu vermehren. Die Affen leben nun enger zusammen und auch dichter am Menschen, so dass die Übertragung von Krankheitserregern dadurch vereinfacht wurde.Und das ist nur ein Beispiel von vielen. "Um Ökosysteme wiederherzustellen, müssen große Tiere wieder eingeführt werden", so James Estes, Ökologe an der University of California in Santa Cruz.
Smetacek würde die Walgründe im Südpolarmeer lieber heute als morgen wieder restaurieren. "Wir müssen die Wale nachmachen und im Sommer mit Schiffen Eisenlösung verteilen, damit wieder mehr Plankton wächst", sagt der Meeresbiologe. Doch Eisendüngungsexperimente sind in den vergangenen Jahren in Verruf geraten: Weil Phytoplankton Kohlenstoff bindet, sind Naturschutzaktivisten besorgt, dass Firmen – ohne Rücksicht auf die Umwelt – die Methode großflächig benutzen könnten, um am Emissionshandel im Rahmen des Kyotoprotokolls zu verdienen. Doch diese Gefahr ist durch internationale Gesetzgebung mittlerweile gebannt.
Bestätigt sich die Walkottheorie – entsprechende Tests mit den Ausscheidungen sind geplant – wären Eisendüngungen wohl unumgänglich. Laut Smetacek müssten diese unter wissenschaftlicher Aufsicht und in der Nähe der Krillkinderstuben stattfinden. Nur dann – das Aufrechterhalten des Walfangmoratoriums vorausgesetzt – könne man hoffen, dass sich mit der Zeit auch die Blauwalzahlen wieder erholen und das marine Ökosystem ins Lot kommt. Mit der Vermehrung der Wale könnte sich generell die Produktivität der Meere verbessern, glaubt Nicol. Und diese Nachricht dürfte Naturschützer und Fischer gleichermaßen erfreuen.
1960 sind die größten aller Säugetiere fast ausgerottet. 300 000 Blauwale (Balaenoptera musculus) und 500 000 Finnwale (Balaenoptera physalis) zu Margarine, Motoröl und Viehfutter verarbeitet. Mit den Walen verschwinden auch die riesigen Krillschwärme – zur großen Verwunderung der Wissenschaft. Denn seiner Räuber entledigt, hätte der Krill sich massenweise vermehren müssen, schließlich fehlen nun die Fressfeinde – stattdessen sanken die Bestände sogar.
Dieser Trend hält bis heute an und gilt nicht nur für den Krill: Stetig und unaufhaltsam verarmen die Ozeane. Immer weniger und kleinere Fische zappeln in den Netzen der Fangflotten. Für die geringere Produktivität der Meere machen Forscher – neben wenig nachhaltigen Fischereimethoden – vor allem die sinkende Konzentration an Phytoplankton verantwortlich; eine aktuelle Studie spricht von 40 Prozent weniger Phytoplankton verglichen zu 1950 ,[1]. Warum aber wachsen immer weniger der einzelligen Algen? Der Klimawandel spielt wahrscheinlich eine Rolle, doch Victor Smetacek, Planktonspezialist am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und Steve Nicol, Krillexperte der Australian Antarctic Division in Tasmanien, haben noch eine andere Erklärung für die Besorgnis erregende Entwicklung.
Die beiden Forscher sind überzeugt, dass die massive Dezimierung der Wale durch den kommerziellen Walfang das marine Ökosystem nachhaltig geschädigt hat. Die Meeressäuger sind ihrer Meinung nach alles andere als nur Konsumenten enormer Mengen Krill. "Wale sind der Motor jener Nahrungskette, an deren Ende sie selbst stehen. Sie kurbeln die Planktonproduktion an und könnten damit letztlich für volle Fischernetze sorgen", sagt Smetacek – eine gewagte Theorie, für die es allerdings immer mehr Belege gibt.
Wale wühlen das Wasser auf
Wie viele Lebewesen das Meer beherbergen kann, hängt in erster Linie von der verfügbaren Menge Nahrung darin ab. Phytoplankton ist die Basis allen Lebens im Meer, es dient vielen Tieren wie dem Krill als Futter. Da die einzelligen Algen Licht zum Wachsen benötigen, können sie sich aber nur in der Oberflächenschicht der Ozeane vermehren, vorausgesetzt es gibt daneben noch genügend Nährstoffe wie Stickstoff, Phosphat oder Eisen für ihr Wachstum.
Lange Zeit wurde der Nährstoffeintrag in die Meere ausschließlich mit physikalischen Prozessen erklärt: Der Wind bläst eisenhaltigen Staub vom Land auf das Meer, Flüsse tragen nährstoffreiche Sedimente ein und Strömungen sorgen für eine Verwirbelung der kostbaren Ressourcen. Der Einfluss der Tiere wurde übersehen. Doch gerade Meeressäuger vermischen nährstoffarme und -reiche Wasserschichten miteinander, indem sie zum Fressen tief hinunterschwimmen und zum Luftholen wieder auftauchen. Forscher berechneten, dass der Einfluss all dieser Tiere zusammen so groß ist wie der Einfluss der Gezeiten und des Winds [2].
Und nicht nur beim Nährstoffeintrag, auch beim Recycling wurden Tiere außer Acht gelassen: Der Ozeanologe James McCarthy von der amerikanischen Harvard University und sein Kollege Joe Roman konnten zeigen, dass Wale im Golf von Maine mehr Stickstoff ins Meer einbringen als Flüsse, indem sie Plankton filtern, verdauen und später stickstoffreichen Kot an der Oberfläche ausscheiden [3]. Neben seinem Inhalt macht vor allem die Beschaffenheit des Walkots ihn so wertvoll für das Meer: "Bartenwale scheiden Fäkalien in Form von gestreuten Wolken aus, ganz kleine Teilchen. Diese sinken nicht ab wie die Exkremente von kleinen Tieren. Sie bleiben flockenartige, schwebende Wolken", erklärt McCarthy.
Wabernde Wolken befruchten das Meer
Vor allem im Südpolarmeer fehlt es nun offenbar an diesem Dünger. Hier begrenzt in erster Linie Eisen das Planktonwachstum, düngt man das Meer mit dem Element, blüht in kürzester Zeit ein Algenteppich auf. Ungeheure 150 Millionen Tonnen Krill pro Jahr vertilgten Wale im südlichen Ozean vor dem Beginn des industriellen Walfangs in den 1920er Jahren. Das ist das Doppelte der jährlich weltweit gefangenen und in Aquakulturen produzierten Menge Fisch. Wie war es möglich, eine solch enorme Menge Biomasse zu produzieren? Smetaceks und Nicols Antwort darauf: indem Wale die Ozeane düngten. Mit ihren wolkenartigen und vor allem eisenhaltigen Ausscheidungen.
Nicol und seine Kollegen analysierten Walkot und stellten fest, dass er zehn Millionen Mal mehr Eisen enthält als Meerwasser [4]. Und Berechnungen zufolge speichert Krill ein Viertel des Eisenvorkommens des Südpolarmeers in seinem Gewebe. Fressen Wale die Krustentiere, scheiden sie das Nährelement in einer für Pflanzen gut verwertbaren Form wieder aus: Frisch gedüngt, wachsen die Algenzellen um die Wette, dienen Krill als Futter, der sich explosionsartig vermehrt und wiederum von Walen gefressen wird. Auf diese Weise kurbelten früher die zahlreichen Wale die Planktonproduktion an. "Im Südpolarmeer gab es damals mehr Wale und daher auch mehr Krill. Wahrscheinlich lag es an dieser positiven Rückkopplung", gibt sich Nicol überzeugt. Der Krillexperte ist sich sicher, dass in dieser eisenarmen Gegend die Fülle des Lebens vom Eisenkreislauf an der Wasseroberfläche abhängt – ein Kreislauf, der zwingend durch die Därme der Wale führt.
Heute hat die tierische Eisendüngung dagegen an Bedeutung verloren: Nach Jahrzehnten des kommerziellen Walfangs ziehen nur noch 1200 Blauwale auf der Suche nach Krill durch die südlichen Ozeane. Die Finn- und die Buckelwale vermehren sich zwar immerhin wieder, doch verglichen mit früher, als noch Millionen von ihnen die Meere bevölkerten, ist ihr Einfluss recht gering.
Restaurierung nötig und möglich
"Wir haben Wale und große Fische fast vollständig eliminiert, ohne zu wissen, was wir damit anrichten. Wahrscheinlich haben wir damit die Tiere vernichtet, die das System am Laufen halten", sagt Smetacek. Zu einem ähnlichen Schluss kommen 24 Autoren verschiedener Forschungseinrichtungen in einer kürzlich erschienenen Studie [5]: "Der Verlust der Tiere an der Spitze der Nahrungskette könnte der stärkste Einfluss des Menschen auf die Natur sein." So habe etwa der Rückgang von Leopard und Löwe in Afrika Pavianen geholfen, sich explosionsartig zu vermehren. Die Affen leben nun enger zusammen und auch dichter am Menschen, so dass die Übertragung von Krankheitserregern dadurch vereinfacht wurde.Und das ist nur ein Beispiel von vielen. "Um Ökosysteme wiederherzustellen, müssen große Tiere wieder eingeführt werden", so James Estes, Ökologe an der University of California in Santa Cruz.
Smetacek würde die Walgründe im Südpolarmeer lieber heute als morgen wieder restaurieren. "Wir müssen die Wale nachmachen und im Sommer mit Schiffen Eisenlösung verteilen, damit wieder mehr Plankton wächst", sagt der Meeresbiologe. Doch Eisendüngungsexperimente sind in den vergangenen Jahren in Verruf geraten: Weil Phytoplankton Kohlenstoff bindet, sind Naturschutzaktivisten besorgt, dass Firmen – ohne Rücksicht auf die Umwelt – die Methode großflächig benutzen könnten, um am Emissionshandel im Rahmen des Kyotoprotokolls zu verdienen. Doch diese Gefahr ist durch internationale Gesetzgebung mittlerweile gebannt.
Bestätigt sich die Walkottheorie – entsprechende Tests mit den Ausscheidungen sind geplant – wären Eisendüngungen wohl unumgänglich. Laut Smetacek müssten diese unter wissenschaftlicher Aufsicht und in der Nähe der Krillkinderstuben stattfinden. Nur dann – das Aufrechterhalten des Walfangmoratoriums vorausgesetzt – könne man hoffen, dass sich mit der Zeit auch die Blauwalzahlen wieder erholen und das marine Ökosystem ins Lot kommt. Mit der Vermehrung der Wale könnte sich generell die Produktivität der Meere verbessern, glaubt Nicol. Und diese Nachricht dürfte Naturschützer und Fischer gleichermaßen erfreuen.
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