Umwelt: "Meine Überwachung war nahezu perfekt"
Umweltschutz war in der DDR ein heikles Unterfangen, denn offiziell gab es weder Waldsterben noch Luftverschmutzung. Wer sich entsprechend engagierte, musste mit Repressalien rechnen. spektrumdirekt sprach darüber mit Ernst Paul Dörfler, einem der Pioniere der Ökologie in der DDR, 20 Jahre nach der deutschen Einheit.
spektrumdirekt: Sie bekommen am 5. Oktober den Naturschutzpreis von EuroNatur für Ihr langjähriges Engagement zum Schutz der Elbe verliehen. Wie kamen Sie Anfang der 1980er Jahre zur Ökologie?
Wie wurden Sie aktiv – in einem Regime, das Eigeninitiative unterdrückte?
Die einzige legale Möglichkeit, sich zu Missständen in der DDR zu äußern und eventuell etwas zu verändern, war das Einreichen einer Eingabe an die Staatsorgane. Das tat ich fleißig. Ich habe mich zum Beispiel beschwert, weil sich der Kindergarten meiner Tochter direkt neben der Stadtautobahn befand. Dies empfand ich als unzumutbar. Auf eine Eingabe folgte allerdings nie eine schriftliche Antwort, sondern man wurde zu einem Termin vor Ort bestellt. Dort wurde einem erklärt, warum das so ist und dass es momentan keine Mittel gäbe, dies zu ändern.
Auch öffentliche?
Ich habe sehr schnell gemerkt, wo die Grenzen lagen und wie weit ich gehen durfte. Manches hat mich aber auch überrascht: So durfte ich an der Volkshochschule zwei Semester lang Kurse zum Thema "Ökologie" halten. Das hatte ich zuerst einmal nicht erwartet, denn so etwas gab es zuvor noch nie. Nach der Wende zeigte sich dann bei der Akteneinsicht, dass fünf Stasimitarbeiter gleichzeitig in diesen Kursen saßen und fleißig protokollierten.
Warum gleich so viele?
Sie wussten nicht einmal etwas voneinander. Die Staatssicherheit wollte also wirklich ganz sichergehen und schickte mehrere Mitarbeiter hin, um nachher die Mitschriften vergleichen zu können. Gleichzeitig überprüften sie damit, welcher Zuträger verlässlich ist und welcher nicht.
Wie haben sich die Umweltschützer in der DDR untereinander vernetzt und verständigt?
Die Kommunikation war das Hauptproblem. Unser Aktionsradius beschränkte sich auf wenige dutzend Kilometer; darüber hinaus konnten wir mangels Mitteln kaum miteinander in Kontakt treten. Wie viele andere auch hatte ich die längste Zeit kein Telefon – die Wartezeiten waren enorm. Und die Medien schwiegen zum Umweltschutz.
Nach außen hin versuchte man, die DDR als Vorbild in Sachen Umweltschutz hinzustellen, und offiziell existierte auch gar keine Umweltverschmutzung. Es durfte sie im Sozialismus nicht geben, sondern nur im Westen! Und was nicht besteht, muss auch nicht beseitigt werden. So einfach war der Sprachgebrauch: Waldsterben? Luftverschmutzung? In der DDR war all dies nicht existent. Und wer das Gegenteil behauptete, lief Gefahr, wegen staatsfeindlicher Hetze verfolgt zu werden.
Wie erklärte man sich dann Smog in Leipzig oder Waldsterben im Erzgebirge?
Das hat die Staatsführung schlichtweg verleugnet. Auch die Begriffe führte man nicht im Mund: Sie wurden nicht gedruckt oder verwendet, weil sie auf einer ungeschriebenen Verbotsliste standen, die es in der Zeitung zu vermeiden galt. Wissenschaftler, die sich dennoch mit dem Waldsterben im Erzgebirge beschäftigten, prägten deshalb den Ausdruck "Rauchschäden".
Wurde trotz des Totschweigens dennoch versucht, das eine oder andere Problem zu beheben?
Das wurde durchaus probiert. Kollegen von mir haben Sanierungskonzepte erarbeitet: Wie bekommt man die Flüsse wieder sauber? Wo sitzen die größten Verschmutzer? Diese Vorarbeiten wurden gemacht, unterlagen aber der absoluten Geheimhaltung, und es durfte nicht darüber gesprochen werden. Genauso lief das immer.
Wurden Sie von den Behörden persönlich bedroht?
Meine Überwachung war nahezu perfekt. Man versuchte unaufhörlich, mich zu verunsichern. Immer wieder wurde ich zu meinem Vorgesetzten zitiert und belehrt, dass ich nicht öffentlich über den Umweltschutz reden sollte. In der DDR wusste man nie, wie weit man gehen durfte. Es gab keine Rechtssicherheit, dafür herrschte Willkür: Man konnte jederzeit mit fadenscheinigen Begründungen verhaftet oder mit einem Berufsverbot belegt werden. Ich hatte natürlich keine Lust, in den Knast zu kommen – das wäre tödlich für mich gewesen. Deshalb musste ich immer einen Weg finden, so weit wie möglich die Dinge zu benennen, ohne der staatsfeindlichen Hetze angeklagt zu werden – diese Ängste waren nach jedem öffentlichen Vortrag vorhanden.
Trotz der schwierigen Bedingungen haben Sie sich nicht unterkriegen lassen und gründeten schließlich in den Wendezeiten die Grüne Partei der DDR, für die Sie zusammen mit Matthias Platzeck und Vera Wollenberger 1990 in die erste frei gewählte Volkskammer zogen. Was blieb Ihnen aus dieser Zeit besonders im Gedächtnis?
Das war die euphorischste Zeit meines Lebens, auch wenn ich damals kaum zum Schlafen kam. Es war wie ein Dammbruch: Nachdem ich all die Jahre die Defizite und Mängel der DDR beklagt hatte, war plötzlich die Möglichkeit da, selbst zu gestalten und frei zu reden. Und diese Chance wollte ich ergreifen und mich politisch offen engagieren – nachdem ich in der DDR die Mitgliedschaft in einer Blockpartei strikt vermieden hatte. Vieles mussten wir natürlich erst lernen, denn von parlamentarischer Arbeit hatten die Wenigsten Ahnung.
Konnten Sie politisch etwas erreichen?
Ich musste schnell erfahren, dass Umwelt- und Naturschutz in der Politik auch nach der Wende völlig nachrangig blieb. So fand sich zum Beispiel keine Mehrheit für meinen Antrag, dass sich die westdeutschen Konzerne nicht die ostdeutsche Stromversorgung einverleiben dürfen. Eine neue Energiepolitik schien mir mit diesen Unternehmen unmöglich – weder die nötigen Investitionen in erneuerbare Energien noch Programme zum Energiesparen.
Empfinden Sie heute Genugtuung, wenn Sie sehen, welche wichtige Rolle die erneuerbaren Energien mittlerweile spielen?
Ja, natürlich. Wir könnten aber bereits viel weiter sein, wenn wir mit dem ökologischen Umbau schon damals begonnen hätten. Der Problemdruck und Reformstau sind durch das Nichtstun enorm gewachsen. Das Gleiche gilt für die ökologische Landwirtschaft, der damals kaum eine Zukunft bescheinigt wurde.
Immerhin gelang es doch, das "Tafelsilber der deutschen Einheit" zu bewahren, die Nationalparks und Großschutzgebiete Ostdeutschlands?
Das war wohl der einzige große und nachhaltige Erfolg. In der vereinten Bundesrepublik wäre die Ausweisung der Naturreservate nicht mehr möglich gewesen – das gelang uns gerade noch rechtzeitig vor Torschluss.
Mich enttäuscht, wie viele vergessen haben, wofür sie früher gestanden und sich eingesetzt haben. Matthias Platzeck kommt ja aus der Umweltbewegung. 20 Jahre an der Macht haben ihn offensichtlich verändert, denn Umwelt und Natur spielen für ihn bei seinen Entscheidungen kaum noch eine Rolle. Mich irritiert, wie man das vergessen kann.
Haben Sie sich deshalb aus der Politik zurückgezogen?
Das war eine schwere Entscheidung, denn ich stand vor der Wahl, wieder zu kandidieren oder es zu lassen. Ich habe jedoch bemerkt, dass das Leben als Politiker mir sehr fremd war. Auch fiel mir auf, wie ungesund Politiker leben. Stress und Bewegungsmangel stehen auf der Tagesordnung. Bei manchen scheint sich das regelrecht auf die geistige Beweglichkeit auszuwirken. Mich zieht es weniger in Sitzungsräume, dafür mehr in die Natur. Als Mensch, der die Natur liebt, möchte ich einen Teil meines Lebens dort verbringen. Zudem fand ich den Umgang der Politiker untereinander bisweilen sehr verletzend. All das hat dazu beigetragen, dass ich der Politik als Abgeordneter letztlich den Rücken gekehrt habe. Hoffnungsvolle Politiker unterstütze ich jedoch sehr gerne auch weiterhin.
Jetzt haben Sie wieder mehr Zeit, sich Ihrem Lieblingsfluss, der Elbe, zu widmen.
Die letzten zwei Jahrzehnte meines Lebens und 90 Prozent meiner Arbeitszeit habe ich der Elbe gewidmet. Erst nachdem ich die Flüsse in Westdeutschland gesehen hatte, begriff ich wirklich, welcher Schatz mit der Elbe erhalten geblieben ist. Sie ist in weiten Teilen noch recht naturnah mit ihren Auwäldern und Sandbänken.
Das wollen Sie bewahren?
Die letzten frei fließenden Abschnitte unserer Flüsse dagegen so auszubauen, dass sie zu technisch genormten Wasserstraßen werden, ging mir nicht in den Kopf. Das entspricht dem Denken des 19. Jahrhunderts, als es noch keine Alternativen wie die Eisenbahn gab. Deshalb begann ich, den Widerstand zu organisieren – bis heute. Damals konnte ich aber noch nicht ahnen, dass die von Westdeutschland übernommenen Strukturen wie Behörden und Gesetze zwangsläufig dazu führen müssen, dass Flüsse kanalisiert werden. Nur weil sich viele Menschen aktiv gegen die Verbauung und Steinigung des Flusses wehren, konnten wir die Elbe bislang vor ihrer Zerstörung bewahren.
Legen Sie sich da nicht mit übermächtigen Gegnern an?
Unsere Widersacher sind stark: Sie haben das Geld. Doch vor ein paar Monaten äußerten sie sich wortwörtlich in der Magdeburger Volksstimme, dass wir, die Umweltschützer, sehr mächtig seien. Das ist ein Kompliment. Umfragen zeigen, dass eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung gegen den Neubau eines Elbe-Saale-Kanals votiert. Das werden die Politiker zur Kenntnis nehmen müssen.
Könnte man die Elbe sanft ausbauen – etwa mit Buhnen?
Man wird sich entscheiden müssen: Entweder will man eine nach heutigen Kriterien leistungsfähige Wasserstraße, dann müsste man sie auf mindestens 2,5 Meter vertiefen – oder man will einen naturnahen Fluss mit schwankenden Wasserständen. Im Sommer und Herbst erreicht die Elbe oft nur eine naturgegebene Tiefe von 1,5 Metern – zu wenig für die Frachtschifffahrt. Um eine verlässliche Schiffbarkeit zu gewährleisten, wäre es zwingend erforderlich, den Fluss zu kanalisieren und ihn aufzustauen – mit Kosten von mehreren Milliarden Euro. Geld, das wir nicht haben. Am Ende hätten wir den frei fließenden Fluss verloren und ihn hinter 30 Staustufen gezwängt.
Benötigt die ostdeutsche Wirtschaft aber nicht die Elbe als Verkehrsweg?
Die Elbe wurde schon schiffbar gemacht – im 19. Jahrhundert und in den 1930er Jahren –, und seitdem haben wir immer wieder in den Strom investiert, um ihn als Wasserstraße zu erhalten. Mit einem paradoxen Ergebnis: Je mehr Geld der Staat dafür ausgab, desto weniger Güter wurden auf der Elbe transportiert. Das ist doch ein klares Signal. Auch das Bundesamt für Güterverkehr bestätigte schriftlich, dass die Wirtschaft der Elbe den Rücken kehrt. Heute befahren zwei bis drei Containerschiffe pro Woche die Elbe, und die Schiene nebenan ist bei Weitem nicht ausgelastet.
Dazu verschärft der Klimawandel die Problematik: Donau und Rhein speisen sich aus den Alpen, so dass sie meist das ganze Jahr über gute Zuflüsse bekommen. Für die Elbe gilt das nicht: Sie entspringt in einem Mittelgebirge und bekommt auch nur von dort Wasser. Wenn es lange Zeit nicht regnet, herrscht hier Ebbe.
Abgesehen von den Ausbauplänen: Hat die Elbe in den letzten Jahren so etwas wie eine Wiedergeburt erlebt?
Auf alle Fälle! Früher hat man sich von der Elbe abgewendet: Sie war ein sterbender Fluss. Seit der Wende wurde der Fluss jedoch wieder so einladend, dass er Menschen von nah und fern anzieht. Das Flussbaden wurde hier wiederentdeckt, ihre Sandstrände locken die Badenden an – kein Vergleich zu ausgebauten Flüssen mit ihren Beton- oder Schlackeufern! Und an der Elbe befindet sich der beliebteste Fernradweg der Bundesrepublik – mit zweistelligen Wachstumsraten jedes Jahr.
Wo gefällt Ihnen die Elbe am besten?
Wer sie als Gebirgsfluss erleben möchte, muss in die Böhmische-Sächsische Schweiz, die urwüchsigsten Auwälder stehen bei Wittenberg-Dessau, und wer die Elbe in einer fast menschenleeren, weiten Landschaft sehen will, muss in den Raum Magdeburg hinab nach Schnackenburg fahren.
Herr Dörfler, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Ernst Paul Dörfler: Es war nicht der einfachste Weg, aber es hat mich schlichtweg dazu gedrängt. Ich wuchs in einem kleinen Dorf im Landkreis Wittenberg zwischen Elbe und Heide auf – und sah, was dort mit dem Fluss und der Landschaft passierte. Während des Studiums in Magdeburg bemerkte ich dann, dass vieles mit der Umwelt nicht stimmte: Mir stockte der Atem wegen der Luftverschmutzung, die Gewässer stanken zum Himmel. Damals begann ich über Umweltfragen nachzudenken.
Wie wurden Sie aktiv – in einem Regime, das Eigeninitiative unterdrückte?
Die einzige legale Möglichkeit, sich zu Missständen in der DDR zu äußern und eventuell etwas zu verändern, war das Einreichen einer Eingabe an die Staatsorgane. Das tat ich fleißig. Ich habe mich zum Beispiel beschwert, weil sich der Kindergarten meiner Tochter direkt neben der Stadtautobahn befand. Dies empfand ich als unzumutbar. Auf eine Eingabe folgte allerdings nie eine schriftliche Antwort, sondern man wurde zu einem Termin vor Ort bestellt. Dort wurde einem erklärt, warum das so ist und dass es momentan keine Mittel gäbe, dies zu ändern.
Später schloss ich mich den Rettungsschwimmern und -tauchern an, weil ich raus wollte aus der Stadt. Dabei bemerkte ich, dass die Flüsse und Seen am Sterben waren. Daraufhin begann ich meine Mitstreiter für den Gewässerschutz zu interessieren und Vorträge zum Thema zu halten.
Auch öffentliche?
Ich habe sehr schnell gemerkt, wo die Grenzen lagen und wie weit ich gehen durfte. Manches hat mich aber auch überrascht: So durfte ich an der Volkshochschule zwei Semester lang Kurse zum Thema "Ökologie" halten. Das hatte ich zuerst einmal nicht erwartet, denn so etwas gab es zuvor noch nie. Nach der Wende zeigte sich dann bei der Akteneinsicht, dass fünf Stasimitarbeiter gleichzeitig in diesen Kursen saßen und fleißig protokollierten.
Warum gleich so viele?
Sie wussten nicht einmal etwas voneinander. Die Staatssicherheit wollte also wirklich ganz sichergehen und schickte mehrere Mitarbeiter hin, um nachher die Mitschriften vergleichen zu können. Gleichzeitig überprüften sie damit, welcher Zuträger verlässlich ist und welcher nicht.
Wie haben sich die Umweltschützer in der DDR untereinander vernetzt und verständigt?
Die Kommunikation war das Hauptproblem. Unser Aktionsradius beschränkte sich auf wenige dutzend Kilometer; darüber hinaus konnten wir mangels Mitteln kaum miteinander in Kontakt treten. Wie viele andere auch hatte ich die längste Zeit kein Telefon – die Wartezeiten waren enorm. Und die Medien schwiegen zum Umweltschutz.
Gab es auch in der DDR-Regierung Personen, denen die Umweltprobleme bewusst waren? Oder hielt man diese unter Verschluss?
Nach außen hin versuchte man, die DDR als Vorbild in Sachen Umweltschutz hinzustellen, und offiziell existierte auch gar keine Umweltverschmutzung. Es durfte sie im Sozialismus nicht geben, sondern nur im Westen! Und was nicht besteht, muss auch nicht beseitigt werden. So einfach war der Sprachgebrauch: Waldsterben? Luftverschmutzung? In der DDR war all dies nicht existent. Und wer das Gegenteil behauptete, lief Gefahr, wegen staatsfeindlicher Hetze verfolgt zu werden.
Wie erklärte man sich dann Smog in Leipzig oder Waldsterben im Erzgebirge?
Das hat die Staatsführung schlichtweg verleugnet. Auch die Begriffe führte man nicht im Mund: Sie wurden nicht gedruckt oder verwendet, weil sie auf einer ungeschriebenen Verbotsliste standen, die es in der Zeitung zu vermeiden galt. Wissenschaftler, die sich dennoch mit dem Waldsterben im Erzgebirge beschäftigten, prägten deshalb den Ausdruck "Rauchschäden".
Wurde trotz des Totschweigens dennoch versucht, das eine oder andere Problem zu beheben?
Das wurde durchaus probiert. Kollegen von mir haben Sanierungskonzepte erarbeitet: Wie bekommt man die Flüsse wieder sauber? Wo sitzen die größten Verschmutzer? Diese Vorarbeiten wurden gemacht, unterlagen aber der absoluten Geheimhaltung, und es durfte nicht darüber gesprochen werden. Genauso lief das immer.
Wurden Sie von den Behörden persönlich bedroht?
Meine Überwachung war nahezu perfekt. Man versuchte unaufhörlich, mich zu verunsichern. Immer wieder wurde ich zu meinem Vorgesetzten zitiert und belehrt, dass ich nicht öffentlich über den Umweltschutz reden sollte. In der DDR wusste man nie, wie weit man gehen durfte. Es gab keine Rechtssicherheit, dafür herrschte Willkür: Man konnte jederzeit mit fadenscheinigen Begründungen verhaftet oder mit einem Berufsverbot belegt werden. Ich hatte natürlich keine Lust, in den Knast zu kommen – das wäre tödlich für mich gewesen. Deshalb musste ich immer einen Weg finden, so weit wie möglich die Dinge zu benennen, ohne der staatsfeindlichen Hetze angeklagt zu werden – diese Ängste waren nach jedem öffentlichen Vortrag vorhanden.
Trotz der schwierigen Bedingungen haben Sie sich nicht unterkriegen lassen und gründeten schließlich in den Wendezeiten die Grüne Partei der DDR, für die Sie zusammen mit Matthias Platzeck und Vera Wollenberger 1990 in die erste frei gewählte Volkskammer zogen. Was blieb Ihnen aus dieser Zeit besonders im Gedächtnis?
Das war die euphorischste Zeit meines Lebens, auch wenn ich damals kaum zum Schlafen kam. Es war wie ein Dammbruch: Nachdem ich all die Jahre die Defizite und Mängel der DDR beklagt hatte, war plötzlich die Möglichkeit da, selbst zu gestalten und frei zu reden. Und diese Chance wollte ich ergreifen und mich politisch offen engagieren – nachdem ich in der DDR die Mitgliedschaft in einer Blockpartei strikt vermieden hatte. Vieles mussten wir natürlich erst lernen, denn von parlamentarischer Arbeit hatten die Wenigsten Ahnung.
Konnten Sie politisch etwas erreichen?
Ich musste schnell erfahren, dass Umwelt- und Naturschutz in der Politik auch nach der Wende völlig nachrangig blieb. So fand sich zum Beispiel keine Mehrheit für meinen Antrag, dass sich die westdeutschen Konzerne nicht die ostdeutsche Stromversorgung einverleiben dürfen. Eine neue Energiepolitik schien mir mit diesen Unternehmen unmöglich – weder die nötigen Investitionen in erneuerbare Energien noch Programme zum Energiesparen.
Empfinden Sie heute Genugtuung, wenn Sie sehen, welche wichtige Rolle die erneuerbaren Energien mittlerweile spielen?
Ja, natürlich. Wir könnten aber bereits viel weiter sein, wenn wir mit dem ökologischen Umbau schon damals begonnen hätten. Der Problemdruck und Reformstau sind durch das Nichtstun enorm gewachsen. Das Gleiche gilt für die ökologische Landwirtschaft, der damals kaum eine Zukunft bescheinigt wurde.
Immerhin gelang es doch, das "Tafelsilber der deutschen Einheit" zu bewahren, die Nationalparks und Großschutzgebiete Ostdeutschlands?
Das war wohl der einzige große und nachhaltige Erfolg. In der vereinten Bundesrepublik wäre die Ausweisung der Naturreservate nicht mehr möglich gewesen – das gelang uns gerade noch rechtzeitig vor Torschluss.
Viele Ihrer Weggefährten zogen sich aus der Politik zurück oder wechselten die Partei wie Matthias Platzeck, der zur SPD ging, oder Vera Wollenberger, die bei der CDU eine neue Heimat fand. Hat Sie das enttäuscht?
Mich enttäuscht, wie viele vergessen haben, wofür sie früher gestanden und sich eingesetzt haben. Matthias Platzeck kommt ja aus der Umweltbewegung. 20 Jahre an der Macht haben ihn offensichtlich verändert, denn Umwelt und Natur spielen für ihn bei seinen Entscheidungen kaum noch eine Rolle. Mich irritiert, wie man das vergessen kann.
Haben Sie sich deshalb aus der Politik zurückgezogen?
Das war eine schwere Entscheidung, denn ich stand vor der Wahl, wieder zu kandidieren oder es zu lassen. Ich habe jedoch bemerkt, dass das Leben als Politiker mir sehr fremd war. Auch fiel mir auf, wie ungesund Politiker leben. Stress und Bewegungsmangel stehen auf der Tagesordnung. Bei manchen scheint sich das regelrecht auf die geistige Beweglichkeit auszuwirken. Mich zieht es weniger in Sitzungsräume, dafür mehr in die Natur. Als Mensch, der die Natur liebt, möchte ich einen Teil meines Lebens dort verbringen. Zudem fand ich den Umgang der Politiker untereinander bisweilen sehr verletzend. All das hat dazu beigetragen, dass ich der Politik als Abgeordneter letztlich den Rücken gekehrt habe. Hoffnungsvolle Politiker unterstütze ich jedoch sehr gerne auch weiterhin.
Jetzt haben Sie wieder mehr Zeit, sich Ihrem Lieblingsfluss, der Elbe, zu widmen.
Die letzten zwei Jahrzehnte meines Lebens und 90 Prozent meiner Arbeitszeit habe ich der Elbe gewidmet. Erst nachdem ich die Flüsse in Westdeutschland gesehen hatte, begriff ich wirklich, welcher Schatz mit der Elbe erhalten geblieben ist. Sie ist in weiten Teilen noch recht naturnah mit ihren Auwäldern und Sandbänken.
Das wollen Sie bewahren?
Die letzten frei fließenden Abschnitte unserer Flüsse dagegen so auszubauen, dass sie zu technisch genormten Wasserstraßen werden, ging mir nicht in den Kopf. Das entspricht dem Denken des 19. Jahrhunderts, als es noch keine Alternativen wie die Eisenbahn gab. Deshalb begann ich, den Widerstand zu organisieren – bis heute. Damals konnte ich aber noch nicht ahnen, dass die von Westdeutschland übernommenen Strukturen wie Behörden und Gesetze zwangsläufig dazu führen müssen, dass Flüsse kanalisiert werden. Nur weil sich viele Menschen aktiv gegen die Verbauung und Steinigung des Flusses wehren, konnten wir die Elbe bislang vor ihrer Zerstörung bewahren.
Legen Sie sich da nicht mit übermächtigen Gegnern an?
Unsere Widersacher sind stark: Sie haben das Geld. Doch vor ein paar Monaten äußerten sie sich wortwörtlich in der Magdeburger Volksstimme, dass wir, die Umweltschützer, sehr mächtig seien. Das ist ein Kompliment. Umfragen zeigen, dass eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung gegen den Neubau eines Elbe-Saale-Kanals votiert. Das werden die Politiker zur Kenntnis nehmen müssen.
Könnte man die Elbe sanft ausbauen – etwa mit Buhnen?
Man wird sich entscheiden müssen: Entweder will man eine nach heutigen Kriterien leistungsfähige Wasserstraße, dann müsste man sie auf mindestens 2,5 Meter vertiefen – oder man will einen naturnahen Fluss mit schwankenden Wasserständen. Im Sommer und Herbst erreicht die Elbe oft nur eine naturgegebene Tiefe von 1,5 Metern – zu wenig für die Frachtschifffahrt. Um eine verlässliche Schiffbarkeit zu gewährleisten, wäre es zwingend erforderlich, den Fluss zu kanalisieren und ihn aufzustauen – mit Kosten von mehreren Milliarden Euro. Geld, das wir nicht haben. Am Ende hätten wir den frei fließenden Fluss verloren und ihn hinter 30 Staustufen gezwängt.
Benötigt die ostdeutsche Wirtschaft aber nicht die Elbe als Verkehrsweg?
Die Elbe wurde schon schiffbar gemacht – im 19. Jahrhundert und in den 1930er Jahren –, und seitdem haben wir immer wieder in den Strom investiert, um ihn als Wasserstraße zu erhalten. Mit einem paradoxen Ergebnis: Je mehr Geld der Staat dafür ausgab, desto weniger Güter wurden auf der Elbe transportiert. Das ist doch ein klares Signal. Auch das Bundesamt für Güterverkehr bestätigte schriftlich, dass die Wirtschaft der Elbe den Rücken kehrt. Heute befahren zwei bis drei Containerschiffe pro Woche die Elbe, und die Schiene nebenan ist bei Weitem nicht ausgelastet.
Dazu verschärft der Klimawandel die Problematik: Donau und Rhein speisen sich aus den Alpen, so dass sie meist das ganze Jahr über gute Zuflüsse bekommen. Für die Elbe gilt das nicht: Sie entspringt in einem Mittelgebirge und bekommt auch nur von dort Wasser. Wenn es lange Zeit nicht regnet, herrscht hier Ebbe.
Abgesehen von den Ausbauplänen: Hat die Elbe in den letzten Jahren so etwas wie eine Wiedergeburt erlebt?
Auf alle Fälle! Früher hat man sich von der Elbe abgewendet: Sie war ein sterbender Fluss. Seit der Wende wurde der Fluss jedoch wieder so einladend, dass er Menschen von nah und fern anzieht. Das Flussbaden wurde hier wiederentdeckt, ihre Sandstrände locken die Badenden an – kein Vergleich zu ausgebauten Flüssen mit ihren Beton- oder Schlackeufern! Und an der Elbe befindet sich der beliebteste Fernradweg der Bundesrepublik – mit zweistelligen Wachstumsraten jedes Jahr.
Wo gefällt Ihnen die Elbe am besten?
Wer sie als Gebirgsfluss erleben möchte, muss in die Böhmische-Sächsische Schweiz, die urwüchsigsten Auwälder stehen bei Wittenberg-Dessau, und wer die Elbe in einer fast menschenleeren, weiten Landschaft sehen will, muss in den Raum Magdeburg hinab nach Schnackenburg fahren.
Herr Dörfler, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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