Nudging: Menschen lassen sich nicht zu etwas verleiten, was sie nicht wollen
Manchmal braucht es tatsächlich nicht viel. In einer Feldstudie mit knapp 50 000 Menschen testete ein US-Forschungsteam im Herbst 2020, ob eine Kurznachricht auf dem Handy zu einer Grippeimpfung bewegen kann. Knapp 20 Varianten wurden ausprobiert. Die erfolgreichste Botschaft war besonders knapp formuliert: »Grippeimpfung für Sie reserviert.« Wurde dieser Text zweimal verschickt, stieg die Rate der Geimpften um fünf Prozent. Eine Feldstudie mit mehr als 100 000 Menschen kam zu ähnlichen Ergebnissen, als ein Gesundheitszentrum in Kalifornien in Kurznachrichten eine Corona-Impfung anbot. Der Grundgedanke dahinter: Jenen Menschen den Schritt zu erleichtern, die sich eigentlich impfen lassen wollten, es aber immer wieder vergaßen oder aufschoben.
In Deutschland würde eine solche Maßnahme vermutlich am Datenschutz scheitern, und wenn nicht, würde sie von manchem als manipulativ empfunden. Denn am so genannten Nudging, wie diese Art von Maßnahmen in der englischen Fachsprache heißen, entzündete sich bereits eine Debatte, als Angela Merkel vor einigen Jahren einen US-Experten zu dem Thema ins Kanzleramt einlud.
Als Nudging (to nudge = schubsen, stupsen) gelten einfache, psychologisch fundierte Maßnahmen, die Menschen sanft in die »richtige Richtung« lenken sollen. Ein bekanntes und äußerst erfolgreiches Beispiel sind Urinale, in deren Mitte eine Fliege abgebildet ist und Männer dazu motiviert, darauf zu zielen. Befürworter sehen in dem »sanften Schubs« einen Weg, Menschen zu ihrem eigenen Besten zu beeinflussen, zum Beispiel umweltbewusst und gesund leben. Der Staat wolle den Menschen damit zu einem gesünderen Leben verhelfen – ein Gegengewicht zu Supermärkten, die mit denselben Methoden arbeiten.
Kritiker halten Nudging für eine Form der Bevormundung und Manipulation, unvereinbar mit dem Recht auf autonome Entscheidungen. Die Leute wüssten in der Regel nicht, dass sie gerade beeinflusst werden, und das sei Absicht: Nudges müssten im Verborgenen wirken, denn die meisten würden sonst aus Trotz das Gegenteil tun. Auch wenn Werbung und Marketing genau das längst täten: Die Regierung solle ihre Bürger nicht wie Kinder behandeln.
Menschen sind auch für offensichtliche Nudges empfänglich
Dem widerspricht jetzt ein Team von der Universität Utrecht in den Niederlanden. »Menschen sind gleichermaßen empfänglich für Nudges, wenn deren Anwesenheit, Zweck oder Wirkmechanismus offenbar ist«, schreibt die Gruppe um Sozialpsychologin Denise de Ridder in einer Forschungsübersicht.
In einem Feldexperiment von 2016 verglich ein Team um de Ridder die Auslagen von drei verschiedenen Snack-Shops. Einer hatte die üblichen Produkte an der Kasse stehen, einer tauschte sie gegen gesunde Lebensmittel aus, und ein weiterer tat das auch, wies aber auf einem Schild auf das Ansinnen hin, damit gesunde Ernährung fördern zu wollen. Unter den letzten beiden Bedingungen wurden mehr gesunde Produkte verkauft, und die Aufklärung minderte den Effekt nicht.
Und in einer Studie an der Universität Mannheim sollten sich Versuchspersonen vorstellen, sie hätten sich kürzlich an einer Universität eingeschrieben. Sie bekamen Kurse angeboten, darunter einige vorausgewählt. Ließ man sie glauben, dass die Universitätsverwaltung die Vorauswahl getroffen hatte, beließen es mehr Leute dabei.
Präferenzen lassen sich verstärken – aber nicht ändern
Die Wirkung von Nudges sei allerdings eher bescheiden, fasst das Autorenteam in ihrer aktuellen Forschungsübersicht zusammen: »Entscheidungen sind gar nicht so leicht und so stark durch Nudges beeinflussbar wie allgemein angenommen.«
Die Wissenschaft arbeitet außerdem oft mit Nudges, die auf ein Verhalten abzielen, zu dem die meisten Menschen schon ein wenig motiviert sind, etwa sich mehr zu bewegen oder gesünder zu ernähren. Aber könnten Nudges auch dazu verleiten, den eigenen Überzeugungen zuwiderzuhandeln – beispielsweise einen Impfgegner zu einer Impfung bewegen?
Das niederländische Team sagt nein: In der Regel wirkten Nudges nur, wenn sie vorhandene Präferenzen bestärken. Zum Beispiel könne man Umweltfreunde mit Nudging nur dazu ermuntern, umweltfreundliche Produkte zu wählen – nicht aber auf umweltschädliche umzusteigen. Ob jemand eine kleine oder große Limonade trinkt, hänge vom Durst und vom Gesundheitsbewusstsein ab, nicht von Nudges. Und wer seine Steuerrückzahlung ausgeben wolle, der lasse sich auch von einer Vorauswahl auf einem Formular nicht zur Überweisung auf ein Sparkonto motivieren.
Wer schon eine klare Präferenz hat, sei also kaum zu beeinflussen: Entweder bringt der Nudge nichts oder es hätte seiner gar nicht bedurft. Anders ist es, wenn jemand grundsätzlich gewillt oder noch unentschlossen ist. In so einem Fall kann eine Kurznachricht auf dem Handy womöglich den kleinen Schubs verpassen, den es noch braucht.
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