Ökologiemodelle: Wir sind gefräßig wie Sardinen
Im Leben regelt sich erstaunlich viel nach dem Prinzip "fressen oder gefressen werden". Daher analysieren Forscher auch komplexe Ökosystem mit zahlreichen, verwirrend interagierenden Lebensformen ziemlich exakt, indem sie ihr "Nahrungsnetz" aufdröseln. Dazu sortieren sie die Arten nach "Trophieebenen" – je niedriger, desto häufiger wird man gefressen. Ganz unten steht die harmlose Biomasse aus sonnenlichtnutzenden Primärproduzenten; ganz oben die Top-Prädatoren, die alle anderen konsumieren und sich das erlauben können, weil sie größere Zähne, stärkere Muskeln oder besonders clevere Jagdstrategien haben. Und auch wenn der Mensch oft als der größte Feind aller möglichen Spezies beschrieben wird: Unter Ökologen gilt es als unüblich, Homo sapiens eine Trophieebene im globalen Ökosystem zuzuweisen. Tut man es doch, meinen nun französische Forscher, bekommt man allerdings spannende Dinge recht einfach heraus.
Das Tier Mensch – größter Feind der Natur?
Unter dem Strich landet der Mensch zunächst einmal mit seinem "Human-Trophieniveau" (human trophic level, HTL) von exakt 2,21 im Mittelfeld einer ökologischen Skala, die von 1 (Grünalge) bis 5,5 (Eisbär und Schwertwal) reicht, errechnete das multidisziplinäre Team um Sylvain Bonhommeau. Der Wert ergibt sich aus der Ernährungsgewohnheit: Berücksichtigt wird, welche Organismen welcher Trophieebenen die Spezies selbst verspeist. Menschen ähneln damit am ehesten Sardinen und Hausschweinen, so die Forscher mit Blick auf den HTL lakonisch, während zum Beispiel Schwertwale sich zumeist an andere Fleischfressern und generell nur an Fleisch delektieren.
Die Forscher sehen in ihrem Ansatz allerdings nicht nur eine Vorlage für Kalauer: Relevant sei die Bewertung, weil ein solide berechneter HTL unterschiedlicher ethnischer oder nationaler Untergruppen der Menschheit sozioökonomische, umweltschutzbezogene oder gesundheitliche Zusammenhänge und Muster verdeutlichen könne. So fällt etwa auf, wie sehr der HLT mit einzelnen von der Weltbank errechneten Indikatoren für die Entwicklungshöhe der Nationen weltweit korreliere. Womöglich sei das Trophieniveau ein vergleichsweise einfach nutzbares Werkzeug, um globale Entwicklungen zu modellieren und zu überblicken.
Nahe liegt etwa, dass Reichtum und Ernährungssicherheit der Bewohner einzelner Staaten sich in ihrem nationalen Durchschnitts-HTL widerspiegelt: Reiche Länder mit höherem Pro-Kopf-Fleischkonsum heben sich von unterentwickelten Staaten ab. Insgesamt lässt sich per Clusteranalyse des HTL tatsächlich eine deutliche Unterteilung der Erde in fünf Gruppen von Staaten ausmachen. Diese hält im Einzelnen aber auch Überraschungen bereit – vor allem, wenn zusätzlich die Entwicklung der letzten Jahrzehnte mit einfließt. So finden sich in der Gruppe mit den zwar höchsten, aber stetig sinkenden HTLs so unterschiedliche Regionen wie Island und Skandinavien, aber auch Mauretanien und die Mongolei. Ein genauer Blick auf die Trends der Ernährung in den verschiedenen Regionen erklärt solche zunächst überraschenden Details aber oft, schreiben die Forscher: In Mauretanien etwa ist die traditionell fleisch- und milchproduktlastige Ernährung unter anderem wegen Naturkatastrophen stark zurückgegangen, in der aufstrebenden Mongolei hat eine zuletzt rapide wachsende neue urbane Mittelschicht den Trend zur als modern empfundenen mehr vegetarischen Ernährung entdeckt.
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