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Anthropologie: Menschliche Privilegien

Was macht den Mensch zum Menschen? Sein Verstand? Seine Sprache? Ja, sicherlich auch. Doch jetzt spürten Forscher zwei weitere, typisch menschliche Eigenschaften auf: seinen Hang zu Besitz und - Fast Food.
Fast Food für Mäuse
Edel sei der Mensch,
Hilfreich und gut!
Denn das allein
Unterscheidet ihn
Von allen Wesen,
Die wir kennen.


Johann Wolfgang von Goethe – seines Zeichens nicht nur kreativer Dichter, sondern auch scharfsinniger Naturwissenschaftler – sah in der Unterscheidung zwischen Gut und Böse ein wesentliches Merkmal der menschlichen Spezies, das ihn grundlegend gegenüber den niederen Tieren auszeichnet. Heutige Forscher sehen das etwas nüchterner. Schließlich gehört im biologischen Sinne auch Homo sapiens zum Tierreich – die Differenzen zwischen ihm und seinen tierischen Mitgeschöpfen sollten fließend sein.

Schimpanse und Mensch | Was unterscheidet den Mensch vom Affen? Im Erbgut nur wenig: Zu 98,8 Prozent besitzen wir die gleichen Gene wie der Schimpanse.
So verwundert es nicht, dass unser nächster animalischer Vetter immer wieder herhalten muss, um nach menschlichen, allzu menschlichen Besonderheiten zu suchen. Doch Pan troglodytes, wie der Schimpanse in Systematikerkreisen genannt wird, brachte bereits mehrfach die strikte Trennung zwischen Mensch und Tier ins Wanken. Berühmt wurde beispielsweise die Schimpansendame Washoe, die im vergangen Jahr im gesegneten Alter von 42 Jahren verschied und in den 1960er Jahren als erstes nicht-menschliches Wesen galt, das in einer menschlichen Sprache – der amerikanischen Zeichensprache – kommunizieren konnte. Und auch die inzwischen entzifferten Genome von Mensch und Schimpanse zeigen eine ernüchternde Bilanz: Zu 98,8 Prozent sind sie deckungsgleich.

Der schnöde Mammon

Was unterscheidet dann noch die beiden Primatenarten? Es ist die Wirtschaft, meint Primatenforscherin Sarah Brosnan von der Georgia State University in Atlanta. Denn ein wesentliches Phänomen in der Menschheitsgeschichte stellt die Etablierung von Handel dar: Wer sich zum Spezialisten mausert, kann seine Waren gegen andere hochwertige Güter eintauschen. Frei nach Adam Smith profitieren beide Seiten von dieser Marktwirtschaft, sodass sie zur Triebfeder der menschlichen Entwicklung avancierte.

Schimpanse Kelly | Schimpansen können zwar im Labor Tauschgeschäfte erlernen, in der freien Natur fehlt ihnen jedoch die ökonomische Ader.
Doch auch hier erweisen sich unsere tierischen Verwandten zunächst als Spielverderber. Denn mit dem schnöden Mammon kommen Affen durchaus zurecht – wenn es ihnen ein menschlicher Lehrer nahebringt: Schnell begreifen sie den Wert belangloser Steine, die sich gegen begehrte Leckereien eintauschen lassen. Mit einem bargeldlosen Zahlungsverkehr haben Schimpansen allerdings ihre Probleme, hat Brosnan zusammen mit ihren Kollegen jetzt herausgefunden [1].

Die Forscher wollten ihren tierischen Probanden beibringen, Ware gegen Ware einzutauschen.
"Der Widerwillen gegenüber dem Handel ist tief in der Psyche der Schimpansen verwurzelt"
(Sarah Brosnan)
Mit etwas Widerwillen tun sie das schließlich – allerdings nur, wenn es sich wirklich lohnt: wohl schmeckende Weintrauben gegen öde Möhren zum Beispiel. Auf andere Tauschgeschäfte lassen sie sich im Labor kaum ein; in freier Wildbahn verzichten sie gänzlich darauf.

Schimpansen fehlt schlicht die Vorstellung von persönlichem Eigentum, erklären Brosnan und Co die ökonomische Zurückhaltung. "Der Widerwillen gegenüber dem Handel scheint tief in der Psyche der Schimpansen verwurzelt zu sein", meint die Anthropologin. "Sie sind durchaus zu Tauschgeschäften in der Lage, doch sie nutzen sie nicht, um ihren Profit zu steigern." Ohne diese Grundlage des Kapitalismus funktioniert jedoch kein Tauschhandel; das Wachstum der Affenwirtschaft bleibt begrenzt.

Schlussfolgerung: Im kapitalistischen Denken offenbart sich das wahrhaft humane Wesen des Menschen – der "weise" Homo sapiens entwickelt sich zum knallhart kalkulierenden H. oeconomicus. Mehr bleibt nicht?

Kulinarische Vorlieben

Doch! Denn der Mensch ist, was er isst. Während Schimpansen als ziemlich eingefleischte Vegetarier gelten, die nur ganz selten zum "Stück Lebenskraft" greifen, frönt unsereiner häufiger fleischlichen Gelüsten – vor allem, wenn sie gekocht, gebraten, geschmort oder sonst wie thermisch behandelt daherkommen. Und diese kulinarischen Vorlieben sollten sich auch im Erbgut widerspiegeln.

Mäusefutter | Fast Food für Mäuse: Der ausgiebige Genuss von Pommes und Hamburgern verändert die Genaktivitäten in der Leber.
Ob die Ernährung tatsächlich Genaktivitäten beeinflusst, haben jetzt Mehmet Somel und seine Kollegen vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie getestet. Als genetisches Modell für Mensch und Schimpanse dienten den Forschern – Mäuse.

Eine erste Gruppe der Versuchsnager ernährte sich zwei Wochen lang von einer Kost nach Schimpansenart aus Obst und Gemüse, eine weitere Gruppe bekam frisch gekochte Speisen aus der Institutskantine serviert, das dritte Mäuseteam durfte sich an Leckereien einer berühmt-berüchtigten US-amerikanischen Fast-Food-Kette delektieren, und die Kontrolltiere mussten sich mit üblichen Mäusefutter begnügen. Anschließend maßen die Forscher die Genaktivitäten in Leber und Gehirn der Mäuse [2].

Gewichtszunahme | McDonald's macht dick: Im Vergleich zu Mäusen, die normales Futter (Pellet), Obst und Gemüse nach Schimpansenart (Chimpanzee) oder Kantinenessen (Cafeteria) gefressen hatten, nahmen die mit Fast-Food-Kost gefütterten Tiere besonders kräftig zu.
Tatsächlich verfehlte die Umstellung auf menschliche Ernährungsgewohnheiten nicht ihre Wirkung – zunächst im Gewicht: Die mcdonaldisierten Mäuse nahmen erwartungsgemäß an Körperfülle zu.

Doch auch genetisch tat sich etwas: 830 von insgesamt 13 168 abgelesenen Lebergenen zeigten nach Kantinen- und Hamburgermenü im Vergleich zur vegetarischen Variante veränderte Aktivitäten. Davon wiederum 117 Stück arbeiten auch in den Lebern von Mensch und Schimpanse unterschiedlich.

Das Gehirn blieb von allem unbeeindruckt.
"Das wirft die faszinierende Frage auf, welche Effekte eine Fast-Food-Ernährung auf das Gehirn hat"
(Mehmet Somel et al.)
Mit einer Ausnahme: Das Diner aus dem Schnellrestaurant schien auf die Genaktivität des Denkorgans einzuwirken. "Das wirft die faszinierende Frage auf, welche Effekte eine Fast-Food-Ernährung über einen längeren Zeitraum auf das Gehirn hat", merken die Autoren süffisant an.

Davon ungeachtet schließen die Forscher aus ihren Ergebnissen, dass in den Anfängen der Menschheitsgeschichte ein Wechsel der Tischsitten sich im Erbgut und damit auch in der Evolution von Homo sapiens niederschlug. Mit einer warmen Mahlzeit im Bauch und einem gehörigen Maß an Besitzerstolz stand der aufstrebenden Primatenart nichts mehr im Wege. Übrig bleibt nur noch ein kleiner Schritt zu Goethes Ideal des "Göttlichen":

Der edle Mensch
Sei hilfreich und gut!
Unermüdet schaff' er
Das Nützliche, Rechte,
Sei uns ein Vorbild
Jener geahneten Wesen!

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