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Mental Load: Erwerbstätige Frauen übernehmen den Großteil der Alltagsorganisation

Frauen scheinen sich stärker dafür verantwortlich zu fühlen, dass wichtige private Aufgaben erledigt und Termine eingehalten werden. Eine Befragung belegt das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern jetzt auch mit Zahlen.
Eine Mutter ist mit mehreren Dingen gleichzeitig beschäftigt
Termine organisieren, Abendessen planen, den Nachwuchs vom Kindergarten abholen: Die Liste der Dinge, die Mütter zusätzlich zu ihrer Erwerbstätigkeit schaukeln müssen, ist lang. Meist ist sie länger als die Liste der Väter.

Sie planen die Einkäufe, organisieren den Kindergeburtstag, kaufen die Weihnachtsgeschenke, rufen die kranken Schwiegereltern an und denken an die Unterlagen für die Steuererklärung: In heterosexuellen Paarbeziehungen kümmern sich überwiegend die Frauen um die Organisation des Alltags. Zu diesem Ergebnis kommen die beiden Soziologinnen Yvonne Lott und Paula Bünger in einer Untersuchung für das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Demnach liegt die »Wahrscheinlichkeit, die notwendigen Alltagsaufgaben im Haushalt zu planen, zu organisieren und an sie zu denken, für Frauen bei 62 Prozent, für Männer lediglich bei 20 Prozent«. Unter Frauen in Teilzeitbeschäftigung sei die Wahrscheinlichkeit höher als bei vollzeitbeschäftigten, aber selbst bei Letzteren liege sie bei 57 Prozent. Die Fragen stellten Lott und Bünger rund 2200 erwerbstätigen oder Arbeit suchenden Personen im November 2022 im Rahmen der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung. Die Stiftung wurde 1977 vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) gegründet.

Im Kontext der Alltagsorganisation findet der Begriff »Mental Load« zunehmend Beachtung in der öffentlichen Debatte. Darunter ist das Denken, Planen, Terminieren und Organisieren von notwendigen Alltagsaufgaben zu verstehen sowie das Gefühl, sich darum kümmern zu müssen beziehungsweise dafür verantwortlich zu sein. Häufig übernehmen Frauen diese unsichtbare Denkarbeit oder Kümmerarbeit zusätzlich zu ihrer Erwerbstätigkeit. Wird die Last zu groß, kann sich dies negativ auf die Freizeit, die psychische Gesundheit und die Partnerschaftszufriedenheit auswirken.

Die Stichprobe, auf der die Aussagen der Untersuchung beruhen, umfasst 2255 Personen, davon 1047 Frauen und 1208 Männer. Unter den Frauen befanden sich 341 Mütter, unter den Männern 463 Väter. Alle Befragten sind erwerbstätig, maximal 65 Jahre alt und leben mit ihrer Partnerin oder ihrem Partner im selben Haushalt. Die erste Frage lautete: »Wer plant, organisiert und denkt in Ihrem Haushalt an notwendige Alltagsaufgaben (zum Beispiel To-do-Listen erstellen, Termine vereinbaren, an Termine denken)?« Die möglichen Antwortkategorien waren: »(1) (fast) vollständig mein*e Partner*in, (2) überwiegend mein*e Partner*in, (3) beide zu etwa gleichen Teilen, (4) überwiegend ich und (5) (fast) vollständig ich«. Wer bei dieser Frage die Kategorien 3 bis 5 auswählte, sollte sich zudem dazu äußern, inwiefern ihn die kognitive Arbeit belastet. Es handelt sich ausschließlich um Selbsteinschätzungen.

Gefühlte Belastung durch kognitive Arbeit ist unterschiedlich

Frauen geben mit größerer Wahrscheinlichkeit als Männer an, den überwiegenden Teil der kognitiven Arbeit im Haushalt zu übernehmen (62 Prozent versus 20 Prozent). Auffallend ist, dass deutlich mehr Männer (knapp 66 Prozent) davon überzeugt sind, dass beide Partner zu gleichen Teilen die Alltagsorganisation übernehmen, während nur 35 Prozent der Frauen diese Aussage machen.

Auch die gefühlte Belastung durch kognitive Arbeit ist für Frauen und Männer unterschiedlich. Erstere geben eine höhere Belastung durch kognitive Arbeit an als Letztere. Auf einer Fünferskala zeigen Frauen einen geschätzten Wert von 3,3 gegenüber 2,8 bei den Männern. Die Unterschiede sind insbesondere dann statistisch signifikant, wenn Kinder im Haushalt leben (3,7 versus 2,9). Bei Männern dagegen hat es laut der Befragung keine Auswirkung auf ihr Belastungsgefühl, ob sie in Teilzeit oder Vollzeit arbeiten sowie ob sie in Haushalten mit oder ohne Kinder leben.

Es sei »beachtenswert, dass sich Frauen in Teilzeit ebenso wie Frauen in Vollzeit durch kognitive Arbeit belastet fühlen, sie also unabhängig vom Erwerbsumfang Mental Load erfahren«, schreiben die Forscherinnen in ihrem Fazit. Es scheint demnach nicht so zu sein, dass Frauen durch kürzere Arbeitszeiten mehr mentale Entlastung im Alltag spüren. »Im Gegenteil: Ihre emotionale Belastung durch kognitive Arbeit ist in Teilzeit etwas höher als in Vollzeit.« Da der Mental Load eine Fortsetzung der bestehenden, ungleichen Verteilung von Haus- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern ist, seien Maßnahmen geboten, die auf den Abbau traditioneller Geschlechterarrangements und die Förderung einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung abzielen, verlangen Yvonne Lott und Paula Bünger. Es seien vor allem Vorgesetzte und Personalverantwortliche gefordert, Väter auf die betrieblichen und gesetzlichen Angebote zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf anzusprechen sowie bei deren Inanspruchnahme zu unterstützen. Da die Studie ausschließlich auf den Selbsteinschätzungen der Befragten beruht, ist für genauere und verlässlichere Aussagen weitere Forschung notwendig.

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