Werkstoffe: Metall mit Gedächtnis
Ein Team von Materialwissenschaftlern hat ein Metallgemisch identifiziert, das ein besseres Gedächtnis als bisher bekannte Materialien hat. Darunter verstehen Forscher Legierungen, die sich an ihre Ausgangsform erinnern, wenn man sie verformt. Werden diese Formgedächtnislegierungen erhitzt, nehmen sie wieder die Form an, in der sie einst gegossen wurden. Mit ihnen lassen sich beispielsweise Sensoren bauen, die auf Wärme reagieren. Auch in der Medizintechnik werden sie eingesetzt, beispielsweise in so genannten Stent-Implantaten, mit denen sich Arterien stabilisieren lassen. Bei solchen Anwendungen müssen sich Materialien zigmal ausdehnen und wieder zusammenziehen können. Diese Reversibilität sei bei ihrer Legierung deutlich höher als bei früheren Formgedächtnislegierungen, berichtet ein Team um Yintao Song von der University of Minnesota in Minneapolis.
Gewöhnliche Metalle sind nur in sehr geringem Maß reversibel – sie können lediglich nach sehr kleinen Verformung wieder in ihre ursprüngliche Form zurückfinden. Der Grund: Jeder größere äußere Druck verschiebt einzelne Fehlstellen in der für Metalle typischen Gitterstruktur der Atome; die Defekte lassen sich anschließend nur mit enorm großer Kraft zurückschieben. Formgedächtnislegierungen verhalten sich anders: Übt man auf ihre Oberfläche einen Druck aus, wandelt sich mit einem Mal die Form des gesamten Atomgitters: Aus einem kubisch geordneten Kristallsystem wird beispielsweise eines, in dem die Atome Sechsecke bilden. Erhitzt man das Gitter anschließend, bewegen sich die Atome von selbst in die energetisch günstigere Ursprungsstruktur zurück.
Schon länger kennen Forscher solche "Memorymetalle", am bekanntesten ist eine Legierung aus Titan und Nickel. Allerdings benötigt man bei ihnen stets einen anderen Druck, um das Material zu biegen, als man schließlich für ihre Rückverformung aufbringen muss – Forscher sprechen von Hysterese. In der praktischen Anwendung ist das ein Problem, auch weil jeder Verformungszyklus die Legierung beschädigt und die Gedächtniseigenschaft so recht schnell verloren geht. Vermutlich, weil übereinanderliegende Atomschichten stark aneinanderreiben, während sich ihre Struktur beim Biegen der Legierung ändert. So entstehen nach und nach Defekte im Gitter, welche die Eigenschaften herkömmlicher Memorymaterialien mit der Zeit verschlechtern.
Hier setzte Songs Team mit seiner Arbeit an: Die Forscher berechneten, welche Gitterform beim Übergang zu einer neuen Form die geringste Reibung verursacht – und identifizierten anschließend eine Legierung mit einer bestimmten Zusammensetzung aus Zink, Gold und Kupfer, deren Atome sich just in dieser Form anordnen. Die Hysterese dieser Legierung sei 35-mal geringer als die einer Titan-Nickel-Legierung, schreiben die Autoren, sie lasse sich aber genauso gut verformen.
Song und seinen Kollegen sei ein Durchbruch gelungen, schreiben Toshihiro Omori und Ryosuke Kainuma von der japanischen Tohoku-Universität in einem Begleitkommentar. Allerdings sei die Zink-Gold-Kupfer-Legierung teuer und schwer in großen Mengen zu produzieren, was praktische Anwendungen des Konzepts erschweren könne. Auch hätte Songs Team bisher nur gezeigt, wie sich die Legierung beim Erhitzen und anschließenden Abkühlen verhalte – konkret verformt haben die Forscher die Legierung noch nicht. Dennoch sind Omori und Kainuma sicher, dass die Veröffentlichung einige Aufregung unter Materialwissenschaftlern auslösen und den Weg in Richtung des Designs verlässlicher Formgedächtnislegierungen weisen werde.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben