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Metallischer Wasserstoff: Das Unmögliche wird bei 577 Gigapascal möglich

Schon lange ist bekannt, wie man metallischen Wasserstoff herstellen könnte. Gelungen ist es noch nicht. Nun ist klar, warum: Man braucht einen gigantisch hohen Druck.
Eine Diamantstempelzelle in einem Versuchslabor.
In einer Diamantstempelzelle liegt ein Kristall zwischen zwei Diamanten – und wird unter extrem hohen Druck gesetzt. Ein solcher Versuchsaufbau soll die Bedingungen im Erdinneren nachahmen und die molekulare Struktur einer Probe verändern.

In der Physik gibt es mehr als nur einen »Heiligen Gral« – metallischer Wasserstoff ist einer von ihnen. Gelänge es, die Atome des Wasserstoffs in eine feste, dreidimensionale Gitterstruktur zu pressen, sollten sich die Elektronen frei darin bewegen können. Und was noch viel besser wäre: Metallischer Wasserstoff soll laut den theoretischen Vorhersagen ein Supraleiter bei Raumtemperatur sein, also elektrischen Strom ohne jeden Widerstand leiten können.

Doch um ein molekulares Wasserstoffgas in einen auf atomarem Wasserstoff basierenden, metallischen Festkörper zu verwandeln, braucht es vor allem eines: extrem hohen Druck. Nun zeigt eine im Fachmagazin »Nature Physics« erschienene Studie, dass dieser Druck noch viel höher sein muss als bislang angenommen: Erst bei 577 Gigapascal könne man metallischen Wasserstoff herstellen. Das entspricht dem 5,77-Millionenfachen des Atmosphärendrucks.

Metallischer Wasserstoff als Supraleiter bei Raumtemperatur

Metallischer Wasserstoff war erstmals im Jahr 1935 theoretisch vorhergesagt worden – doch das Interesse der Physikerinnen und Physiker an diesem exotischen Aggregatzustand wurde erst in den 1960er Jahren geweckt: Neil Ashcroft (1938–2021) stellte damals die Vermutung auf, dass diese Hochdruckform des Wasserstoffs ein Hochtemperatursupraleiter sein könnte. Ein solcher Supraleiter könnte nicht nur bei extrem tiefen Temperaturen von knapp über dem absoluten Nullpunkt funktionieren, sondern auch bei Raumtemperatur.

In den folgenden Jahrzehnten versuchten Forschende immer wieder, metallischen Wasserstoff herzustellen – bisher ohne Erfolg. Zwar behauptete im Jahr 2017 eine Forschungsgruppe, das Material bei einem Druck von 495 Gigapascal mit Hilfe einer Diamantstempelzelle erzeugt zu haben, doch die Ergebnisse werden bis heute angezweifelt. Tatsächlich wird Wasserstoff inzwischen Materialien beigemischt, die Fachleute bei nicht ganz so hohen Drücken zu Hochtemperatursupraleitern verwandeln möchten: So veröffentlichte dieselbe Forschergruppe um Ranga Dias von der University of Rochester kürzlich einen Fachartikel, laut dem es ihr gelungen ist, einen Supraleiter bei Raumtemperatur und einem Druck von einem Gigapascal zu erzeugen. Dabei verwendeten die Forschenden ein Gemisch aus Lutetium, Stickstoff und Wasserstoff.

Während diese außergewöhnliche Behauptung noch auf einen Beweis in Form unabhängiger experimenteller Wiederholungen wartet, ist weiterhin nicht ganz klar, bei welchem Druck reiner Wasserstoff metallisch werden würde – und ob er dann überhaupt auch bei Raumtemperatur supraleitend wäre.

Wie man metallischen Wasserstoff theoretisch vorhersagt

Hier setzt nun die Forschungsarbeit von Lorenzo Monacelli von der Universität La Sapienza in Rom und seinem Team an: Die Forscher haben berechnet, ab welchem Druck sich Wasserstoff in metallischen, atomaren Wasserstoff verwandeln sollte. In ihren Simulationen mussten sie dabei nicht nur die Wechselwirkungen zwischen den Elektronen berücksichtigen, sondern auch die Bewegungen der Atomkerne. So erhielten sie ein simuliertes Phasendiagramm von Wasserstoff bei hohen Drücken.

Laut den Berechnungen kann Wasserstoff bei zunehmendem Druck mehrere Phasenübergänge durchlaufen. So tritt etwa bei einem Druck von 410 Gigapascal ein Phasenübergang von einer metallischen Phase zu einer weiteren metallischen Phase auf. Allerdings beruhen beide noch auf molekularem Wasserstoff, also Wasserstoff, bei dem zwei Atome miteinander ein Molekül bilden. Der gesuchte atomare, metallische Wasserstoff ergibt sich laut den Simulationen hingegen erst bei einem Druck ab 577 Gigapascal. Dann, so die Studienautoren, würde das Material glänzend werden und fast 80 Prozent des sichtbaren Lichts reflektieren.

Ein Druck von 577 Gigapascal ist sehr viel höher, als bei bisherigen Berechnungen veranschlagt wurde oder bei Experimenten zum Einsatz kam, bei denen metallischer Wasserstoff angeblich hergestellt worden ist. Das Team um Monacelli schreibt, dass dies an anharmonischen Schwingungen der Atomkerne liegt. Diese erhöhten den nötigen Druck, bei dem dieser Aggregatzustand stabil würde. Unklar ist daher weiterhin, ob metallischer Wasserstoff tatsächlich supraleitend oder ob er lediglich metastabil wäre – also auch noch seinen Zustand behalten würde, sobald der Druck nachlässt.

In einer ersten Version des Textes haben wir geschrieben, dass es eine gigantische Herausforderung sei, einen Druck von 577 Gigapascal in einem Labor auf der Erde nachzustellen. Tatsächlich hat ein Team um Leonid Dubrovinsky von der Universität Bayreuth im Jahr 2022 in »Nature« eine Methode beschrieben, mit der Drücke von 600 bis 900 Gigapascal erzeugt worden sind. Auch andere Gruppen konnten bereits zeigen, dass mit speziell geformten Diamantstempelzellen Drücke von bis zu einem Terapascal möglich sein müssten.

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