Meteorologie: Die 28-Tage-Wettervorhersage
Heute sind wir es gewohnt, auf der Basis verlässlicher Wettervorhersagen Entscheidungen für die nächsten Tage zu treffen: Bauern schützen ihre Obstbäume vor abzusehendem Nachtfrost, Anrainer von Flüssen verbarrikadieren ihre Häuser mit Sandsäcken, wenn Starkregen zu erwarten ist, Familien kaufen Grillzutaten für das Wochenende im Garten. Für viele Entscheidungen wären darüber hinaus genaue Vorhersagen für die nächsten drei oder vier Wochen nützlich, sei es für die landwirtschaftliche Planung, im Wassermanagement etwa von Stauanlagen oder einfach für die persönliche Freizeitgestaltung.
Seit einigen Jahren geben Atmosphärenforscher »subsaisonale« Wettervorhersagen für solche Zeiträume heraus. In der gängigen Vorhersage für sieben oder zehn Tage stehen Angaben für tägliche Höchst- und Tiefsttemperaturen, prozentuale Wahrscheinlichkeiten für Regen oder Schnee sowie Windbedingungen. Eine subsaisonale Prognose dagegen kündigt an, ob an einem bestimmten Tag über- oder unterdurchschnittliche Temperaturen und Niederschläge zu erwarten sind. Sie sagt außerdem gefährliche Wetterlagen und extreme Wetterereignisse voraus. Damit füllt sie die Lücke zwischen kurz- und mittelfristigen Wetterberichten sowie saisonalen Trends. Letztere geben allgemeinere Entwicklungen wieder, etwa ob das El-Niño-Phänomen im Pazifischen Ozean zu einem warmen Sommer in Nordamerika führen wird.
Subsaisonale Vorhersagen werden immer genauer. So prognostizierte das mit mehreren Wettermodellen arbeitende Projekt SubX (kurz für Subseasonal Experiment) unter meiner Leitung sowie der meines Kollegen Ben Kirtman an der University of Miami einige Wochen im Voraus die erhöhten Regenmengen in Verbindung mit dem Hurrikan Michael 2018, einen heftigen Kälteeinbruch im Mittleren Westen der USA Ende Januar 2019 sowie die Hitzewelle vom Juli 2019 in Alaska. SubX läuft seit 2017 und verknüpft Vorhersagen von sieben bedeutenden Klima- und Geoforschungszentren in den USA und Kanada.
Für den vorliegenden Artikel erstellte ich mit SubX am 27. Februar 2020 Wettervorhersagekarten für die USA und die ganze Welt für den Zeitraum zwischen dem 21. und dem 27. März 2020 – also 23 bis 29 Tage im Voraus. Aber nur ein Teil dieser Vorhersagen traf zu.
Die uns vertrauten Wettervorhersagen für sieben bis zehn Tage basieren auf Computermodellen. Sie simulieren, wie sich die Atmosphäre entwickeln wird, und arbeiten mit mathematischen Gleichungen, die zu erwartende Veränderungen von Temperatur, Wind und Feuchtigkeit beschreiben – von Sekunde zu Sekunde und von Tag zu Tag. Ein besseres wissenschaftliches Verständnis dieser physikalischen Zustände sowie Fortschritte bei der Rechenleistung vervollkommneten die Wettermodelle seit deren Einführung in den 1950er Jahren immer mehr. 1990 stimmten nur diejenigen Wettervorhersagen zu mindestens 80 Prozent, die maximal drei Tage vorausblickten. Die gleiche Genauigkeit erreichen heute Prognosen über bis zu sieben Tage.
Bei einer Vorhersage im Bereich von drei bis vier Wochen kommen jedoch viele weitere Faktoren ins Spiel. Wie bei einer Sieben-Tage-Prognose stehen am Anfang der Simulation die gegenwärtigen Bedingungen. Jeden Tag liefern die Beobachtungsdienste verschiedenster Länder etwa vier Millionen Datenpunkte von Temperatur, Luftdruck, Wind und Feuchtigkeit. Sie stammen von Wetterstationen, Wetterballons, Flugzeugen und Satelliten. Atmosphärenforscher führen alle Daten in ihren Modellen zusammen.
Immer komplexere globale Zusammenhänge für immer bessere Modelle
Um die Vorhersage auf mehrere Wochen zu erweitern, bauen sie weitere Variablen ein, etwa Ozeantemperaturen und Meeresströmungen. Sie analysieren die Bedingungen in Böden, die innerhalb ein paar warmer Tage austrocknen können. Daraufhin bildet sich möglicherweise weniger Luftfeuchte durch Verdunstung, was in geringerem Niederschlag mündet. Die Wissenschaftler berücksichtigen auch Windströmungen in der Stratosphäre, einer in etwa 10 bis 48 Kilometer Höhe gelegenen Schicht oberhalb des Bereichs, in dem Flugzeuge verkehren. Die dortigen Winde wechselwirken mit dem Jetstream, der als Sturmband über der Nordhalbkugel von West nach Ost fegt und je nach Lage und Stärke für Extremtemperaturen sorgen kann.
Die subsaisonalen Modelle beziehen auch globale Wetter- und Klimaphänomene ein, etwa die so genannte Madden-Julian-Oszillation (MJO). Dieses große Wolken-, Regen- und Windgebiet entsteht in den tropischen Bereichen des Indischen und Pazifischen Ozeans und wandert im Verlauf einiger Monate von West nach Ost um den Erdball. Das passiert vier- bis sechsmal im Jahr, manchmal in regelmäßiger Folge, manchmal zufällig. Die MJO wirkt sich vielerorts auf Windströmungen und die Lage von Hoch- und Tiefdruckgebieten aus. Sie bestimmt, wo sich Wetterfronten bilden. So hat sie etwa großen Einfluss darauf, wo es im Westen Nordamerikas durch »atmosphärische Flüsse« regnet – das sind lange, schmale Bänder extrem feuchter Luft, die sich vom zentralen Pazifik bis zur Westküste erstrecken. Atmosphärische Flüsse können je nach ihrem Verlauf verheerende Überschwemmungen verursachen oder auch dringend benötigtes Wasser liefern. Die MJO kann innerhalb einer Woche Scherwinde mancherorts verstärken und anderswo abschwächen. Diese wiederum sind entscheidend dafür, wo sich tropische Zyklone bilden. Wahrscheinlich beruhte darauf zum Teil die erfolgreiche SubX-Vorhersage zum Hurrikan Michael.
Die Nordatlantische Oszillation (NAO) ist ein weiteres bedeutendes Phänomen. Dabei handelt es sich um eine beständige Kopplung von niedrigem und hohem Luftdruck über dem Nordatlantik. Sie kann die Lage des Jetstreams beeinflussen wie auch die Position des Polarwirbels, der zuweilen extrem kalte Luft aus der Arktis in den amerikanischen Nordosten und nach Europa lenkt.
Subsaisonale Prognosen füllen die Lücke zwischen Wetterberichten und saisonalen Trends
Die für eine subsaisonale Wetterprognose notwendige, gewaltige Menge an Daten und Rechenschritten fordert selbst die leistungsfähigsten Supercomputer heraus. Ein Vorhersagemodell unterteilt die dreidimensionale Atmosphäre in zahlreiche virtuelle Volumenstücke. So besteht etwa das globale Wettermodell der US-Wetter- und Ozeanografiebehörde NOAA aus rund 200 Millionen solcher Gitterelemente. Die der Erdoberfläche am nächsten gelegenen Zellen decken jeweils eine 13 Kilometer lange und 13 Kilometer breite Grundfläche ab und sind 50 Meter hoch. Weitere stapeln sich über ihnen. Mit zunehmender Entfernung vom Boden werden die Bausteine höher, in der Stratosphäre bis zu 700 Meter. Das Modell berechnet, wie sich die Atmosphäre in jedem Volumenelement in Abständen von 20 Sekunden vermutlich entwickeln wird. Dafür verwendet es Gleichungen etwa für die Temperatur, den Druck, die horizontale und vertikale Windgeschwindigkeit sowie die Feuchte.
Vergleichbar mit den Bildpunkten eines digitalen Fotos liefern die Zellen in der Zusammenschau ein komplettes Bild des künftigen Wetters. Für eine Fünf-Tage-Vorhersage verarbeitet ein Modell Hunderte von Gleichungen insgesamt etwa 23 000-mal. Ein solcher Durchlauf beschäftigt alle 1500 Prozessorkerne eines großen Supercomputers zirka 40 Minuten lang.
Die Meteorologen müssen die bestmögliche Auflösung mit einer praktikabel kurzen Rechenzeit in Einklang bringen. Selbst die modernen Fünf-Tage-Modelle erfassen nicht alle Faktoren in den Zellen wie einzelne Wolken, Gewitter und die Effekte komplexer Geländeformen etwa an Bergen und Küsten. Um diese sinnvoll abzubilden, müsste die horizontale Auflösung des Modells auf sechs mal sechs Kilometer pro Zelle erhöht werden. Doch dann würde die Simulation mehr als fünf Stunden dauern. So lange will kein Meteorologe auf eine zeitnahe Wettervorhersage warten müssen.
Für ein praktikables Modell für Vier-Wochen-Vorhersagen, das zusätzliche Phänomene wie die MJO berücksichtigt, müssen wir also das Gitter vergrößern. Das reduziert die Zahl der Boxen je nach Modell von 200 Millionen auf zwei bis zehn Millionen. Eine Verbreiterung von 50 auf 100 Kilometer ermöglicht es uns, die vielen erforderlichen komplexen Kalkulationen mit der gleichen Rechenleistung in etwa 40 Minuten durchzuführen. Allerdings gehen dabei Details verloren. Eine Vorhersage für drei bis vier Wochen ist derzeit noch mit einem niedrig aufgelösten Foto vergleichbar – grobe Strukturen sind zu erkennen, doch Einzelheiten bleiben unscharf. Die Gebiete mit Temperaturunterschieden und Regenfällen sind immer noch schemenhaft auszumachen, während Details wie ein spezielles Gewitterereignis verschwimmen. Immerhin gelingt es inzwischen dank des modernen Verständnisses für globale Phänomene, der Effizienz der Datenverarbeitung und der Verfeinerung der Algorithmen, mit den Wettermodellen zufrieden stellende Bilder zu produzieren.
Jede Woche erstellen die sieben an dem SubX-Projekt teilnehmenden Institute ihre eigenen Prognosen für 32 bis 45 Tage im Voraus. Dazu verwenden sie einige tausend Beobachtungsdaten mehr als bei einer Sieben-Tage-Vorhersage. Sie übermitteln die Werte an eine zentrale Datenbank im International Research Institute for Climate and Society an der Columbia University in New York. SubX führt die Zahlen auf Computern der George Mason University zusammen. Das SubX-Team kombiniert für die Wettervorhersage mehrere Modelle – das ist im weltweiten Vergleich etwas Besonderes. Rund zehn weitere Gruppen, die subsaisonale Prognosen erstellen, darunter das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage, setzen stattdessen auf ein einzelnes Modell.
SubX gibt eine Temperaturverteilungskarte aus, die zeigt, wo es voraussichtlich wärmer oder kälter als im vieljährigen Mittel sein wird, sowie eine Niederschlagskarte, in der Gebiete verzeichnet sind, die feuchter oder trockener als üblich sein werden. Die sieben Wettermodelle bieten in Kombination eine genauere Vorausschau als jedes einzelne, da Durchschnittswerte aus allen verfügbaren Daten entstehen und Vorzüge aus jedem Ansatz mitgenommen werden. So berechnet zum Beispiel jede Simulation die Wolkenentwicklung innerhalb jeder Gitterbox etwas anders. Die Verknüpfung sorgt für die bestmögliche Einschätzung. Für Temperaturvorhersagen in den USA liefert SubX in 60 Prozent der Fälle akkuratere Werte als ein einzelnes Modell, für Niederschlagsvorhersagen sind es sogar 81 Prozent.
Die an SubX beteiligten Wissenschaftler arbeiten derzeit daran, die Modelle besser zu vereinen. Außerdem optimieren wir sie durch einen Blick in die Vergangenheit. Ein Jahr lang hat SubX zahlreiche Vorhersagen für drei bis vier Wochen auf Grundlage der wöchentlichen Wetterverhältnisse zwischen 1999 und 2015 erstellt und damit eine mehr als 20 Terabyte umfassende Sammlung geschaffen. Für jeden Programmdurchlauf verglichen wir die Vorhersage mit dem tatsächlichen Wetter, das später im entsprechenden Zeitraum auftrat. So konnten wir prüfen, wie sich die unterschiedlichen Klimafaktoren auswirken.
Im Härtetest wechselhaft, aber aufklarend
Wir versuchen, die Leistung unserer Modelle anhand der von uns identifizierten Erfolge und Ungenauigkeiten zu verbessern. Dazu ermitteln wir etwa, wie genau sie stratosphärische Bedingungen nachstellen, die MJO und die NAO abbilden sowie deren Einflüsse auf das Wetter in verschiedenen Regionen erfassen. Zwei Modellierungsgruppen der NOAA, die Daten für SubX bereitstellen, konnten beispielsweise ihre Gleichungen für Wolken, Gewitter und Regen für die MJO optimieren. Sie überprüften das am realen Wetter der Vergangenheit, und nun waren ihre erneut erstellten historischen Vorhersagen korrekter als zuvor.
Wie gut schlug sich nun also die Simulation für die Woche vom 21. bis zum 27. März? Die von dem Programm erstellten Karten zeigen warme Temperaturen für den Osten der USA und kühlere für den Westen, was auf frühlingshafte Bedingungen an der Ostküste und anhaltenden Winter im Westen hindeutete. Für den Südosten wurde für die Jahreszeit wiederum feuchteres Wetter als normal erwartet.
Und tatsächlich hielt dort außergewöhnliche Feuchte an. So eine Vorhersage könnte wertvolle Hinweise auf Hochwasser liefern. Der Mississippi in New Orleans stand am 27. Februar wirklich kurz davor, über die Ufer zu treten. SubX schlug sich teilweise gut, indem es korrekt warme Ozeantemperaturen für den Golf von Mexiko vorhersah, eine zentrale Voraussetzung für Regen im Südosten der USA. Auch prognostizierte SubX die außergewöhnlich kühlen Temperaturen entlang der Westküste zutreffend, ebenso die Trockenheit in Nordkalifornien und an der Küste von British Columbia.
Auf globaler Ebene sah SubX außergewöhnliche Trockenheit in Europa und auffallend hohe Temperaturen in Asien kommen, indem es die künftigen Positionen von Hoch- und Tiefdrucksystemen richtig ermittelte. Die treffende Vorhersage in Bezug auf die Temperaturen über Australien lag an der Fähigkeit des Modells, die mit der MJO zusammenhängenden bewölkten und sonnigen Regionen zu prognostizieren.
Andererseits überschätzte SubX die geografische Verbreitung außerordentlich warmen Wetters in einigen US-Staaten. Das Modell versagte auch bei der Vorhersage der unüblich feuchten Wetterverhältnisse in Oregon, wobei allerdings der starke Regen am 24. und 25. März von relativ kurzer Dauer war. Die meisten der sieben Einzelmodelle, die wir in der Woche davor erneut laufen ließen, sagten ihn ebenfalls nicht voraus. Der Sturm, der zu dem Niederschlag führte, brachte selbst die kurzfristigere Vorhersage an ihre Grenzen. In der Atmosphäre kommt es eben doch auch zu unkalkulierbarem Chaos.
Es wird noch ein langer Weg sein, bis subsaisonale Prognosen an die heutigen Sieben-Tage-Trends herankommen, falls sie überhaupt jemals so gut sein werden. Doch zahlreiche Atmosphärenforscher arbeiten beharrlich daran. Jede Woche veröffentlichen wir unsere globale Vier-Wochen- Vorhersage. Das Klimaprognosezentrum der NOAA gibt für die USA bereits einen Ausblick auf die kommenden drei bis vier Wochen heraus und bezieht sich dabei auf SubX. Vielleicht ist die Forschung in zehn Jahren so weit, dass Sie beim Blick auf die Wetter-App ein Sonnen- oder Wolkenpiktogramm mit der Beschriftung »28-Tage-Vorhersage« sehen können.
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