Klimawandel: Mit grünen Oasen gegen die Wüste
Für viele Monate wurde es in Abraha Weatsbaha in der Nacht nicht still. Ein unermüdliches Hacken schallte durch die Täler und Auen rund um das Dorf im Norden Äthiopiens. Männer und Frauen gingen mit Spitz- und Feldhacken unter dem flackernden Licht von Kerosinlampen zu Werk, gruben Löcher, schaufelten Dämme, erschufen Terrassen. Eigentlich sollte Abraha Weatsbaha damals im Jahr 1998 schon gar nicht mehr bewohnt sein. Große Teile des verdorrten Landes in der Provinz Tigray waren so unfruchtbar geworden, dass die Regierung den Menschen schlicht empfahl wegzuziehen.
Doch das Dorf wehrte sich – gegen den Verlust der Heimat, gegen den Hunger und letztlich auch gegen ein sich änderndes Klima. Die Menschen versuchten, mit anderen, nachhaltigen Methoden der Natur neues Leben einzuhauchen. Manches hatten sie auch früher so gemacht, manches hatten ihnen Hilfsorganisationen vorgeschlagen, aber einiges hatten sie auch schlicht vergessen. »Eine solche engagierte Beteiligung aller Menschen ist der Schlüssel zum Erfolg. Besonders erfahrene Bauern wissen oft schon, was getan werden muss, und können ihr Wissen weitergeben«, sagt Chris Reij. Der Holländer von der amerikanischen Umwelt-Denkfabrik World Resources Institute befasst sich seit den 1970er Jahren mit Problemen der Land- und Forstwirtschaft in Afrika und den Folgen von Dürren und Klimawandel.
Reij hat diese Dämme, Brunnen und Terrassen in Nord-Tigray selbst viele Male gesehen und hochgerechnet, dass in den vergangenen 15 Jahren die Einwohner der Region dafür rund 90 Millionen Tonnen Steine und Erde mit einfachen Werkzeugen und ihren bloßen Händen bewegt haben mussten. »Vergleichbares kenne ich nur von den Pyramiden Ägyptens«, sagt der Forscher.
»Für billiges Palmöl, Sojabohnen oder Fleisch zahlen wir alle langfristig einen hohen Preis«
Thomas Silberhorn
Solche Initiativen im Kampf gegen Bodendegradation wie jene in Tigray tun bitter not. Eine weltweite ständige Verschlechterung von Bodenqualität durch Erosion, Klimawandel und damit verbundener Wasserknappheit, Entwaldung und Fehlnutzung wie einseitiger Landwirtschaft führt ultimativ zu immer größeren Wüsten. Nach Angaben der Vereinten Nationen dehnen sich die Wüsten der Erde jede Minute um 23 Hektar aus – das entspricht 30 Fußballfeldern.
»Für billiges Palmöl, Sojabohnen oder Fleisch zahlen wir alle langfristig einen hohen Preis: unfruchtbare Böden, unwiederbringlich zerstörte Wälder und fortschreitende Wüstenbildung«, erläutert Thomas Silberhorn, parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Nach Silberhorns Angaben fördere das BMZ deshalb seit 2015 Bodenschutz und Bodenrehabilitierung für Ernährungssicherung mit einem Volumen von 110 Millionen Euro in sechs Ländern.
»Besonders Bäume und Wälder spielen im Kampf gegen die Wüstenbildung eine große Rolle«, sagt Hany El Kateb von der Technischen Universität München. Der Forstwissenschaftler berät den ägyptischen Präsidenten in Sachen Landwirtschaft und entwickelt Konzepte für nachhaltige Agroökosysteme in Ägypten und Afrika. Da Wälder Kohlendioxid binden, die Qualität des Sickerwassers die Nährstoffversorgung des Bodens verbessert und Bäume vor allem Windgeschwindigkeit reduzieren und damit Erosion verhindern, seien Abholzung und Waldsterben Hauptgründe für Degradation.
2050 die Hälfte aller Wälder abgeholzt
Wenn gegenwärtige Trends nicht gestoppt werden, geht die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO davon aus, dass weltweit bis zum Jahr 2050 die Hälfte aller Wälder abgeholzt sein werden. »Wenn wir also einen sterbenden Wald haben, müssen wir uns zunächst darum kümmern. Gesunde Bäume verbessern auch das Mikroklima des von ihnen geschützten Gebiets«, ergänzt El Kateb.
All dies gilt besonders für Afrika. Vor allem hier verschlechtert Bodendegradation die Erträge der Landwirtschaft. Unsichere Lebensmittelvesorgung ist die Folge. Während weltweit die Zahl der Hungernden gesunken ist, sind die Statistiken für den Kontinent gegenläufig. So hungerten in Afrika im Jahr 1990 nach FAO-Angaben 181,7 Millionen Menschen. 2017 waren es 232,5 Millionen. Die immer wiederkehrenden Dürren verleiteten Bauern vor allem auch, kultiviertes Land zu vergrößern, um sinkende Erträge zu kompensieren. »Da brauchbares Land aber oft schon kultiviert war, wichen sie auf für Landwirtschaft ungeeignete Flächen aus«, erläutert Chris Reij. Dafür seien dann mehr und mehr Wälder und gesunde Vegetation abgeholzt wurden, was die Bodenqualität wiederum zusätzlich verschlechterte – ein Teufelskreis.
Betroffene Staaten und internationale Organisationen versuchen nun gegenzusteuern. In der im Jahr 1996 unterzeichneten UN-Wüstenkonvention hatten 194 Nationen vereinbart, ihren Kampf gegen Wüstenbildung zu koordinieren. Das dafür zuständige UN-Sekretariat hat seinen Sitz in Bonn. Dort wurde 2011 die so genannte Bonn Challenge vom Bundesumweltministerium gemeinsam mit dem Welt-Naturschutzverband (IUCN) ausgerufen, ein globales Projekt zur Wiederherstellung entwaldeter und erodierter Gebiete. Ihr Ziel: Bis zum Jahr 2030 weltweit 350 Millionen Hektar unfruchtbarer Gebiete zu renaturieren – das entspräche einem Gebiet größer als Indien. Afrika allein will dazu 100 Millionen Hektar beitragen.
Bäume wachsen zu langsam, um das Problem zu lösen
Doch der Erfolg hängt von einem fast wahnwitzigen Zeitplan ab. »Dies ist eine wichtige Initiative, doch pro Jahr gehen weltweit immer noch rund 15 Millionen Hektar Land durch Entwaldung und Degradation verloren. Um das Ziel bis 2030 zu erreichen, müssten jährlich 23 Millionen Hektar restauriert werden«, rechnet Chris Reij vor. Viele Staaten bevorzugten immer noch Baumpflanzen als gängigste Methode. »Das allein ist aber zu langsam«, sagt Reij. Gerade in den trockensten Regionen Afrikas, vor allem im Sahel, reiche dies nicht aus. »Ein Baumsämling in der Sahelzone hat einen Überlebenschance von 20 Prozent. Wenn alle dort gepflanzten Sämlinge überlebt hätten, sähe es dort aus wie im Amazonas«, so der Afrikaveteran. »Wir brauchen vor allem kosteneffiziente und praxiserprobte Methoden zur Regeneration existierender Grüngebiete. Und um die Bonn Challenge zu erfüllen, müssen wir die Menschen vor Ort motivieren, von sich aus solche Methoden aus eigenem Antrieb anzuwenden«, betont Reij. Einzig staatlich gesteuerte Maßnahmen seien dafür zu langsam.
Genau mit diesem Problem hatte zunächst auch eine ambitionierte Initiative afrikanischer Staaten zu kämpfen. Im Jahr 2007 schlug der damalige nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo den Mitgliedern der Afrikanischen Union (AU) ein Projekt vor, das die Ausdehnung der Sahara in die Sahelzone unterbinden sollte. Dort sind bereits 40 Prozent aller Anbauflächen durch Bodendegradation nutzlos geworden. Das betrifft rund 500 Millionen Menschen. Obasanjos Initiative sah vor, dass die Sahel-Anrainerstaaten eine Mauer aus Bäumen pflanzen sollten, um die Wüste zu stoppen – die Great Green Wall for the Sahara and Sahel Initiative (GGW), zu Deutsch etwa die Große Grüne Mauer für die Sahara und Sahel.
»Der afrikanische Flüchtlingsstrom, besonders nach Europa, hat mit Klimawandel zu tun«
Elvis Paul Tangem
So bombastisch der Name, so gewaltig die Zahlen: ein 15 Kilometer breiter und 8000 Kilometer langer Baumgürtel sollte sich entlang der Sahelzone von der West- bis zur Ostküste Afrikas erstrecken – ein elf Millionen Hektar großer Wald. Elvis Paul Tangem, der die Initiative für die AU von Addis Abeba aus koordiniert, erklärt die Hoffnungen, die in das Projekt gesetzt wurden: »Der afrikanische Flüchtlingsstrom, besonders nach Europa, hat mit Klimawandel zu tun. Die Armut der Menschen hat seine Ursache darin, dass sie nicht mehr von dem Land leben können.«
Geberländer und Hilfsorganisationen haben dem Projekt seitdem rund vier Milliarden US-Dollar an Mitteln zugesagt. Doch um die Ziele zu erreichen, musste an der ursprünglichen Idee nachgebessert werden. Schon 2012 warnte eine Gruppe französischer Wüstenexperten vor Fehlern in der Grundannahme. »Es ist unzutreffend, dass ein Meer aus Sand im Sahel einfällt«, schrieb das Comité Scientifique Français de la Désertification. Die Sahara sei keine Krankheit, die benachbarte Gebiete durch Kontakt systematisch anstecke. Wüstenbildung in der Sahel sei vielmehr verursacht durch geringen Niederschlag, Bevölkerungswachstum und unausgewogene Landwirtschaft.
»Ein Baumgürtel kann die Wüste nicht stoppen. Wenn zum Beispiel sich im nördlichen Senegal nun dieser Gürtel der Sahara entgegenstellt, kann im südlichen Senegal dennoch Wüste entstehen«, erläutert auch Chris Reij. Es sei nicht grundsätzlich falsch, Bäume zu pflanzen, »doch mehr kann erreicht werden, wenn der Schwerpunkt der GGW-Initiative darauf verlagert wird, alte Wurzelsysteme neu zu beleben und auf Farmland spontan von selbst auftauchende Bäume zu pflegen«, so Reij. Er bezieht sich dabei auf Erkenntnisse und technische Durchbrüche in der Landwirtschaft, die ihren Ursprung im Niger der 1980er Jahre haben.
»Ich stieg aus dem Wagen und sah mich um. In jeder Himmelsrichtung verbranntes Land und fast keine Bäume. Es war hoffnungslos«
Tony Rinaudo
An einem heißen Morgen im Mai 1982 fuhr ein einsamer gelber Datsun Pick-up-Truck über eine holprige Staubpiste in der Maradi-Region des südlichen Nigers. Am Steuer des Wagens saß Tony Rinaudo, ein australischer Missionar, der seit zweieinhalb Jahren versuchte, die Landwirte der Region in ihrer Arbeit auf den verdorrten Äckern zu unterstützen. In einem Anhänger lagen Sämlinge für das Dorf Sarkin Hatsi, von denen Rinaudo hoffte, dass sie einmal zu Bäumen werden, die das Farmland vor Erosion bewahren. Rinaudo stoppte, um Luft aus den Reifen zu lassen, damit sein Datsun nicht im Sand stecken blieb. »Ich stieg aus dem Wagen und sah mich um. In jeder Himmelsrichtung verbranntes Land und fast keine Bäume. Es war hoffnungslos«, erinnert sich Rinaudo. Selbst wenn der Australier ein Millionenbudget und hunderte Mitarbeiter gehabt hätte, hätte er nach eigenen Bekunden keine Chance gesehen, das karge Land zu verändern. Er war bereit aufzugeben.
Ein Busch am Rand der Piste weckte die Aufmerksamkeit des Missionars. Rinaudo hatte solches Gebüsch viele Male zuvor gesehen. Die Relevanz war ihm bis dato entgangenen. Der Busch entpuppte sich als Stumpf eines gefällten Baums, der wieder Sprossen austrieb. »In diesem Moment änderte sich alles. Ich wusste, dass dies die Lösung war«, berichtet der Australier.
Unterirdischer Wald unter Baumstümpfen
In Niger gab es Millionen solcher Stümpfe gefällter Bäume, deren Wurzelwerk noch intakt war – »ein gewaltiger unterirdischer Wald«, wie Rinaudo es formuliert. Jedes Jahr wuchsen neue Sprossen aus diesen Stümpfen. Wenn sie etwa einen Meter Höhe erreichten, hackten die Farmer sie entweder zu Feuerholz oder verbrannten sie, um dadurch den Boden zu düngen. »Solange diese Praxis bestand, blieben diese unsichtbaren Wälder unter der Erde verborgen«, sagt Rinaudo.
Für die meisten gefällten Bäume gilt, dass das Wurzelwerk vital bleibt, weil es Zugang zu tieferen Erdschichten mit mehr Nährstoffen hat. Solchen Bäumen kann extrem schnell wieder Leben eingehaucht werden. Schon bald entwickelte Rinaudo einfache Techniken, um den Bäumen zu helfen: »Es geht um einen gut geplanten Beschnitt und darum, die stärkeren Sprossen zu pflegen und die schwachen zu schneiden – einfache und intuitive Arbeit.« Bald fand sich ein Name für die Technik: Farmer Managed Natural Regeneration (FMNR), auf Deutsch etwa durch den Landwirt kontrollierte natürliche Regeneration.
In den folgenden Jahren versuchte Tony Rinaudo, die Menschen in Maradi von dieser Idee zu überzeugen. »Wiederaufforstung war nun nicht mehr von Budgets, Zeit, Technologie oder Arbeitskräften abhängig. Es ging vielmehr darum, Traditionen zu ändern, Glauben an die alte koloniale Kultur der Landwirtschaft in Frage zu stellen und darum, die Menschen einen Nutzen darin sehen zu lassen, Bäume auf ihren Äckern großzuziehen«, berichtet der Entwicklungshelfer.
Kolonialzeit wirkt nach in falscher Landwirtschaft
Es war nicht einfach. »Dies symbolisierte eine Gegenkultur, und niemand in Niger wollte anders sein«, sagt Rinaudo. Viele Menschen nannten ihn den verrückten weißen Farmer. Außerdem hatten dort alte Methoden und Gesetze aus der französischen Kolonialzeit eine lang wirkende baumfeindliche Mentalität unter den Landwirten geschaffen. »Die landwirtschaftlichen Praktiken, die von Kolonialmächten in Afrika eingeführt wurden, basierten auf dem kühleren Klima der nördlichen Hemisphäre und gingen von fruchtbareren Böden aus«, erläutert Dennis Garrity vom World Agroforestry Centre in Nairobi.
In Europa mache es keinen Sinn, Bäume in Anbauflächen zu integrieren, im tropischen Afrika sei das aber anders. Noch problematischer war allerdings das Recht. »Französische Kolonialgesetze legten fest, dass alle Bäume dem Staat gehörten, egal ob sie auf Farmland oder in Wäldern wuchsen«, sagt Garrity, der zugleich auch ein Botschafter für Trockengebiete unter der UN-Wüstenkonvention ist: »Die Landwirte durften weder von ihren eigenen Bäume ernten noch Holz schlagen und verkaufen.« Das gab Landwirten keinerlei Motivation, Bäume zu pflegen. »Wollten sie etwas mit den Bäumen anfangen, mussten die Bauern ein umständliches und korruptes Genehmigungsverfahren durchlaufen und Anträge stellen, jedes Mal wenn sie Bäume beschneiden, beernten oder fällen wollten«, so Garrity. So verschwanden die Bäume von den Äckern.
»Afrika sollte sich so seiner primitiven Lebensweise entledigen. Im Erdnussbecken des Senegals erhielten die Landwirte sogar günstige Kredite, wenn sie belegen konnten, dass sie Bäume und andere Vegetation von ihren Plantagen entfernt hatten«, sagt Rinaudo. Kolonialmächte, aber auch junge unabhängige Staaten wollten so Kontrolle über Natur und Ressourcen bewahren. Stattdessen schufen sie eine ökologische Zeitbombe. Als Tony Rinaudo Niger 1999 verließ, um FMNR in anderen Ländern bekannt zu machen, wusste er, dass ein Anfang gemacht war – wie viel er genau erreicht hatte, war ihm noch nicht klar.
Mut machende Beweise in Satellitenbildern
Seit 35 Jahren dokumentiert Gray Tappan die Veränderungen der Landschaften Westafrikas. Der amerikanische Geograf von der US Geological Survey hat in unzähligen Flügen Luftaufnahmen von Wäldern, Savannen, von Farmland und unberührter Natur gemacht und diese mit Satellitenbildern verglichen. Die enorme Zahl seiner vergleichenden Bilder erlaubt Tappan, Veränderungen selbst in kleinen Gebieten über die Jahre hinweg präzise nachzuweisen. »Die Geschichte meiner Aufnahmen ist eine Mischung aus Gutem und Schlechtem, doch was Mut macht, sind die Beweise, die ich gefunden habe, in denen es ersichtlich ist, wie hunderttausende Farmer sich um Boden, Wasser und Vegetation kümmern«, sagt Tappan.
Im Jahr 2004 erhielt Tappan einen Anruf von Chris Reij. Reij hatte zuvor bei einem Vortrag an der Universität von Niamey einen Hinweis erhalten, dass in der Maradi-Region des Nigers zahlreiche Bäume auf Farmland aufgetaucht seien. »Wir machten uns also dorthin auf. Die Baumdichte auf den Farmen versetze uns in helle Aufregung. Schnell wurde uns klar, dass dies eine große Geschichte ist«, berichtet Tappan. »Ich stieg also in meine Cessna und begann Aufnahmen zu machen. Als wir die Bilder der nigrischen Regierung zeigten, wollten man uns fast nicht glauben«, so der Amerikaner. Tappans Fotos zeigten auch mehr Menschen in der Region: »Ich fand hunderte neuer Dörfer, wo 25 Jahre vorher nur karges Land war.«
Es sollte bis 2006 dauern, ehe die Forscher eine Vorstellung über das Ausmaß hatten. »Wir kamen letztlich zu dem Schluss, dass Kleinbauern auf ihren Gütern Bäume auf einer Gesamtfläche von fünf Millionen Hektar großgezogen hatten. Über einen Zeitraum von 20 Jahren hatten sie dem Land unglaubliche 200 Millionen neue Bäume hinzugefügt – ohne einen einzigen davon selbst zu pflanzen«, berichtet Reij. Als Tappan und er Fragen über den Ursprung dieser neuen Agroforstlandschaft stellten, tauchte in den Antworten bald ein Name auf: Tony Rinaudo.
Kampf um Anerkennung
Rinaudo, der inzwischen für die internationale Hilfsorganisation World Vision arbeitet, hat seit seiner Zeit in Niger inzwischen in über zwei Dutzend Ländern FMNR eingeführt und bekannt gemacht – neben afrikanischen Staaten wie dem Südsudan, Somalia, Uganda oder Simbabwe auch in Indien, Indonesien oder Myanmar. Es war nach seinem eigenen Bekunden ein 35-jähriger Kampf um Anerkennung für die zuvor unbekannte Methode. Anfänglicher Skepsis sowohl bei den Menschen als auch bei Geberländern ist inzwischen einem großen Interesse gewichen an einer Methode, die das Potenzial hat, die Misere in Afrikas Landwirtschaft abzuwenden. »FMNR ist eine überraschend einfache Methode, auf degradierten Böden Bäume und Sträucher wieder wachsen zu lassen. Auf den richtigen Standorten kann es eine kostengünstige Alternative für die Wiederaufforstung von Baumgruppen und Wäldern (durch Anpflanzung) sein«, bestätigt auch BMZ-Staatssekretär Silberhorn.
Im November 2018 erhielt Rinaudo in Stockholm den Right Livelihood Award, der auch als Alternativer Nobelpreis bekannt ist. Der Preis war entstanden, nachdem die Einführung eines Nobelpreises für Ökologie und Entwicklung gescheitert war. Die Stiftung würdigte damit Rinaudos Lebenswerk und besonders FMNR als Beitrag zur Gestaltung einer besseren Welt.
Chris Reij stimmt zu: »Gray Tappan und ich haben auf unseren Erkundungen weitere Entdeckungen gemacht, wie FMNR Landschaften verändert hat – zum Beispiel in Mali, im Senegal oder in Malawi. Aber Niger stellt immer noch die größte positive Veränderung der Umwelt im Sahel dar, vielleicht sogar in ganz Afrika. Dort haben die Menschen etwas erschaffen, das noch besser ist als eine große grüne Mauer – eine große grüne Landschaft.«
Ein grünes Mosaik
Auch die AU hat von den ursprünglichen Fehleinschätzungen gelernt und inzwischen FMNR in die Projekte der Grünen Mauer eingebettet. Dort spricht man ohnehin inzwischen lieber von einem Mosaik als einer Mauer. »Wir haben dutzende Projekte für nachhaltige Landwirtschaft, inklusive Agroforstwirtschaft und Renaturierungsinitiativen«, sagt AU-Koordinator Tangem. Dazu zählen Wiederaufforstung und nachhaltige Brennholzproduktion in Benin, Projekte für den Ökotourismus in Mali, eine Antierosionsinitiative in Nigeria, nachhaltige Wasserwirtschaft an den Ufern des Blauen Nils im Sudan sowie weitere Projekte für Bewässerungssysteme für Landwirte im Tschad, Äthiopien, Ghana oder Mauretanien.
Gerade was solche Bewässerungsprojekte angeht, so ist auch Hany El Kateb klar, dass Wiederaufforstung immer einer gesicherten Wasserversorgung bedarf. Mit der Regierung Ägyptens hat der Forstwissenschaftler deswegen in seinem trockenen Heimatland insgesamt 36 Projekte ins Leben gerufen, die Wasser und Bäume zusammenbringen und so die ägyptische Wüste begrünen. Eine dieser Anlagen verwertet die Abwässer der 500 000-Einwohner-Stadt Ismailia in Unterägypten. Mit diesen Abwässern entstand der Forst von Serapium.
»Das ist meine Vision für die Zukunft: Grünflächen in der Wüste, die die Chancen auf Regen erhöhen«
Hany El Kateb
»Die Resultate dort waren unglaublich. Hier wachsen nun große Bäume mitten in der Wüste«, sagt El Kateb. Der Trick: Im Gegensatz zu Kläranlagen in vielen westlichen Ländern wie auch Deutschland wurden im Reinigungsprozess Stickstoff und Phosphor nicht herausgefiltert. Normalerweise wird dies getan, um eine Überdüngung von Flüssen und anderen Gewässern zu verhindern. Doch für die Aufforstungsprojekte Ägyptens ist der Dünger willkommen. »Und dank der Bäume haben wir zusätzliche Verdunstung und Feuchtigkeit in der Wüste, die in die Atmosphäre gelangt und Wolken entstehen lässt. Für Regen müssen die Forstflächen noch größer werden – doch das ist meine Vision für die Zukunft: Grünflächen in der Wüste, die die Chancen auf Regen erhöhen«, erklärt der Forstwissenschaftler.
Auch in Abraha Weatsbaha fließt inzwischen wieder mehr als genug Wasser. Das äthiopische Dorf, das 1998 der Dürre geopfert werden sollte, hat inzwischen sogar einen Überschuss. Dank der Methoden wie FMNR, der Dämme, Quellen und Terrassen haben die Menschen hier die Kehrtwende geschafft. »Jetzt haben sie eine 14 Kilometer lange Pipeline gebaut, um die nächste Stadt, Wukro, mit ihrem Trinkwasser zu versorgen«, berichtet Chris Reij. Nach der Beobachtung von Wissenschaftlern ist die Region Tigray so grün wie seit 145 Jahren nicht mehr. »Wir wissen jetzt endlich mehr darüber, was wir machen müssen, um die Wüste zu stoppen«, so der Holländer. Noch sei nichts gewonnen – »doch ich bin heute optimistischer, als ich es 1980 war, als ich begann, im Sahel zu arbeiten«, betont Reij.
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